Richard Pitterle, der Bundestagsabgeordnete und Stadtrat der Linken erklärt, warum er im Parlament gesungen hat – und warum er trotz der Attacken des Liedermachers Wolf Biermann gegen seine Fraktion gelassen bleibt.

Sindelfingen - Als leidenschaftlicher Tangotänzer und Fan von Salsamusik, die er gelegentlich auch als DJ auflegt, war der Sindelfinger Bundestagabgeordnete Richard Pitterle bisher bekannt. Seit der Feierstunde im Bundestag zum Mauerfall am vergangenen Freitag weiß die ganze Republik, dass der 55-Jährige auch Lieder von Wolf Biermann liebt. Als einziger Abgeordneter der Linken sang Pitterle den Song „Ermutigung“ mit. Auch die verbalen Attacken des Liedermachers gegen die Linken parierte der Sindelfinger, der auch im Gemeinderat sitzt, mit einem Lächeln. Das sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit bei den Medien. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt er, woher seine Gelassenheit kommt.
Herr Pitterle, seit wann sind Sie ein Biermann-Fan?
Ich habe in meiner Jugend gerne Liedermacher gehört: Hannes Wader, Konstantin Wecker, Franz Josef Degenhardt und eben Wolf Biermann. Auch in der Gewerkschaftsjugend, der ich angehörte, und der Friedensbewegung im Kreis Böblingen, die ich mitbegründet habe, wurde oft sein Lied „Ermutigung“ gesungen, gerade auch von den christlichen Gruppen. 1990 habe ich Biermann bei einem Konzert in Dresden auch live gehört. Ich halte ihn für einen großen Künstler, und er hat durch sein Engagement die Bürgerrechtsbewegung in der DDR befördert.
Nun hat Biermann Sie und ihre Kollegen der Links–Fraktion scharf angegriffen. Er nannte Die Linke als Nachfolge der DDR-Partei SED „den Rest dessen, was hier überwunden wurde“. Hat Sie das nicht geärgert?
Nein, Wolf Biermann kann wegen seiner Vergangenheit nicht differenzieren. Ich weiß nicht, ob ich das könnte, wenn man mich ausgebürgert und damit meine Karriere als Künstler beendet hätte. Ich nehme ihm das nicht übel. Geärgert habe ich mich über den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Er hat Wolf Biermann eingeladen und damit ganz bewusst diesen Auftritt provoziert.
Sie halten das von Lammert für geplant?
Wer Biermann einlädt, weiß, worauf er sich einlässt. Ich war dabei, als Lammert Biermann vor einigen Wochen bei dessen Auftritt bei der KfW- Bank eingeladen hat. Da hat Biermann uns Linke noch viel schärfer attackiert. Von daher war klar, was wir zu erwarten haben. Ich habe mich darauf eingestellt und mir gesagt: davon lasse ich mich nicht verbittern – so wie Biermann es auch singt. Hinterher habe ich dem Sänger aber gesagt, dass ich seine Attacken für überzogen halte. Er sieht das nicht so.
Was ist dran an Biermanns Vorwurf. Wie viel SED steckt in der Linken?
Rein rechtlich gesehen sind wir die Nachfolgepartei, aber inhaltlich sind wir eine demokratisch-sozialistische Partei, in der um die richtige Richtung gerungen wird. Ich halte solche pauschalen Verurteilungen für problematisch. Sie können in unserer Partei eine Wagenburg-Mentalität befördern, durch diese könnte die Offenheit für gesellschaftliche Entwicklungen verloren gehen.
Nun ist es für Sie mit Ihrer Biografie einfacher, solche Vorwürfe zu ignorieren als für Ihre Ost-Kollegen.
Das stimmt sicher. Aber von den 64 Abgeordneten unserer Fraktion waren nur elf in der SED. Wir haben Abgeordnete aus dem Westen und auch einige aus dem Osten, die waren beim Mauerfall noch Kinder.
Wie sehen Sie persönlich den Mauerfall. Ist das für Sie ein Grund zum Feiern?
Der Mauerfall stand symbolisch für das Ende des Kalten Krieges, für die Auflösung der Blockkonfrontation, in der Gefahr bestand, dass Deutsche auf Deutsche schießen. Dass das vorbei ist, das ist für mich ein Grund zum Feiern.