Unsere Autorin feiert dieses Jahr alleine Silvester – mit einem Raclette und allen Pfännchen. Über stille Jahreswechsel, Vernunft und Erkenntnisse.

Stadtkind: Laura Müller-Sixer (six)

Stuttgart – „Ich feiere Silvester alleine“ – obwohl „feiern“ in diesem Zusammenhang auch mehr als übertrieben ist. Statt mitleidigen Blicken ernte ich dieses Jahr anerkennendes Nicken. „Vernünftig!“ Wow, wäre was für die Tinder-Bio: „Laura, 26 Jahre alt, vernünftig, bleibt alleine zu Hause.“ Vernünftig ist das neue Sexy. Noch nie wurde es so respektiert, alleine zu bleiben wie in der Pandemie. Und selten war ein Jahreswechsel so still wie dieser.

 

Die letzten Reste 2020

Dieses Jahr an Silvester gibt es weniger Feuerwerk, keine knutschenden Pärchen um 0 Uhr – während man selbst nur die Sektflasche umarmt, (hoffentlich) eine überschaubare Anzahl von Jahresrückblicken auf Instagram und eine indiskutable Ausrede für weniger Dates und ausgelassene Partys: Ging ja nicht!

„Und was machst du dann?“, fragt eine Kollegin im Zoom-Call. Loslassen, am Netflix-Kaminfeuer alleine Raclette essen – aber mit allen Pfännchen! An der Idee für eine neue Dating-App arbeiten: Zeig mir deine Raclette-Pfännchen und ich sage dir, wer du bist! Rote Unterwäsche tragen, Sekt trinken und betrunken Nachrichten schreiben, die ich am nächsten Tag bereue. Hey, das kann mir Corona nicht nehmen!

Gurkenglas-Momente

Und während ich auf dem Balkon selbstgeschriebene Zettel mit Dingen, die ich im alten Jahr lassen will, in einem leeren Gurkenglas anzünde – und mir dabei mehrere Finger verbrenne –, wird mir klar, dass ich vor allem dankbar bin. Dankbar für all die Liebe, diese fürchterlichen und doch so wichtigen Zoom-Calls, den gegenseitigen Support und die Zeit, die wir miteinander haben. Vielleicht bin ich auch ein klein wenig stolz, bisher nicht ganz den Verstand verloren zu haben.

Klar, die 21 hinter der 20 macht nicht schlagartig alles besser, aber auch nicht schlechter. Anders eben. Und wenn ich daran denke, dass es gerade verdammt vielen so geht, fühle ich mich an diesem Abend nicht einsam. Im Gegenteil. Eher verbunden – sogar mit Menschen, die ich nicht einmal richtig kenne.

Nun brutzelt in (all) meinen Raclette-Pfännchen der Käse und draußen im Gurkenglas die letzten Reste 2020. Mein Telefon klingelt. Es ist ein WhatsApp-Videoanruf von meiner Mutter. „Brennt’s da?“, fragt sie. „Ne, ist nur mein Netflix-Kaminfeuer!“, antworte ich. Wir prosten uns virtuell zu. Auf ein Neues!