Ambitionierte Amateure, hitzegeplagte Promis und mancher skurrile Performance-Ort: In Ludwigsburg klangen am Samstag Stimmen und klingelten Kassen – alles unter dem Motto „Ludwigsburg singt“.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Patrick „Memphis“ Bopp von der A-cappella-Gruppe Füenf hat einen Platz an der Sonne. Sie brennt ihm gnadenlos aufs Haupt. Er sitzt auf dem Marktplatz am E-Piano, nimmt die Strapaze professionell und praktiziert mit einer hitzeresistenten Publikumsschar Schnulzen-Schmettern für Fortgeschrittene.

 

Deo, Deo, Deo

„Und es war Sommer“ soll es jetzt sein. „Rrrrollt das R mal wie der Maffay“, animiert Bopp die Menge. Die gibt alles und skandiert inbrünstig: „Und als ein Mann sah ich die Sonne aufgeeeeh’n.“ Dass keine E-Gitarre fürs charakteristische Zwischenspiel zur Hand ist, ist weiter kein Problem. Bopp albert: „Da singt ihr stattdessen einfach immer biou-biou-biou. Oder Deo-Deo-Deo. Bei dem Wetter. . .“

Die können auch Elvis

Das Festival, dem der Einsatz des Füenf-Stars zu verdanken ist, heißt aber nicht „Ludwigsburg schwitzt“, sondern „Ludwigsburg singt“. Kleine, Große, Alte, Junge, Wohltöner und Knapp-daneben-ist-auch-vorbei-Sänger machen mit. Gerade beim offenen Singen befindet sich mancher in Marcel Prousts Fußstapfen auf der Suche nach dem verlorenen Ton. Geboten ist die ganze Bandbreite ambitionierten Amateurgesangs. Und das teils an Orten, die einem nicht automatisch als Gesangspodium in den Sinn kommen würden.

Der Männerchor GSV Höpfigheim etwa hat sich vor der Weinstube Klingel aufgebaut und versucht, trotz vorbeiratternden Verkehrs zarte Pianissimi zu hauchen. Die Mannen haben, passend zum Ort, Wein- und Volksseliges parat. „Wir können aber auch Elvis“, scherzt Sven Becker, der mit 31 Jahren einer der Jungspunde der Sangesformation ist und viel Vergnügen dabei hat. Der Verein macht sich nichts vor: Männergesang ist nicht en vogue, der letzte Neuzugang zählt fast 85 Lenze. Auch Günther Häußermann, der aus Neckarweihingen zu dem Chor stieß, bedauert: „Mein vorheriger hat sich leider aufgelöst.“

„Einer geht noch!“ feuert ein Zuhörer die Remsecker A-cappella-Formation Barberlights an, die sich im Modehaus Oberpaur auf der Treppe aufgebaut hat. Man darf davon ausgehen, dass sein Enthusiasmus der Qualität des Gesangs gilt und nicht der Hoffnung, noch ein paar Minuten bis zum nervenzehrenden Weitershoppen mit seiner besseren Hälfte zu schinden.

Singen für Shopper

Zwischen Kassenpiepsen, Khakihosen und Krawatten machen sich die Barbershopperinnen ausnehmend gut. Irgendwie passt ihre Musik ja von der Genese her in die Herrenabteilung: Die Barbershop-Songs entstanden einst zum Zeitvertreib in Rasier- und Friseursalons. „Damals“, sagt die Sängerin Christiane Daske, „gab’s ja noch keine Auto- und Motorradzeitschriften.“

Zusammen ist’s schöner

Auf den Podien tummelt sich auch erfrischend viel Jugend: Beim Kinder-Zauberflöte-Kooperationsprojekt etwa, das in der evangelischen Stadtkirche zu hören ist, oder gegenüber in der katholischen Kirche beim mitreißenden Auftritt des kroatischen Kinderchors Slavuji, der 2017 beim „Klassik-Radio“-Chorgipfel unter die Top Ten kam. Von den Nachtigallen – so die deutsche Bedeutung des Namens – hat am Samstag nur die Hälfte Zeit. Die Hälfte sind immer noch satte 50. „Bei uns Kroaten wird einfach viel gesungen“, erzählt die quirlige Leiterin Monika Peter. Die Kinder genießen das Zusammensein. „Die Gemeinschaft ist toll“, finden Matej (14), Aurelija (11) und Izabela (13). „Sonst“, meint Matej, „sitzen wir zuhause vor unseren PCs.“

Die einen geben mit ihren Auftritten Einblicke in ihr Repertoire, andere – etwa der Eltern-Lehrer-Chor des Goethe-Gymnasiums mit seinen „Marien-Echos“ – haben eigens für den Chortag Programme erarbeitet. Die Mädchenkantorei der Stuttgarter Domkirche St. Eberhard und der Knabenchor Collegium Iuvenum Stuttgart nutzen „Ludwigsburg singt“ gar für eine Premiere: Ein gemeinsamer Kammerchor kredenzt erlesene Kostbarkeiten aus dem baltischen und skandinavischen Raum.

Kloß im Hals

Aufführungsorte, die abseits des Einkaufsgeschehens liegen und von keinen Shopping-Stoßzeiten profitieren, haben es nicht so leicht, Publikum zu finden. Nicht nur einmal ist der geknickte Kommentar zu hören: „Es hat ja kaum Werbung gegeben.“ Wer nicht die eigenen Netzwerke mobilisiert hat, droht vor fast leeren Reihen zu stehen – ein Wermutstropfen gerade für ambitionierte, aufwendig organisierte Veranstaltungen.

So wartet der Abend im Scala vor einer Handvoll Zuhörern mit Beiträgen auf, die zu den eindrücklichsten, hochwertigsten des Tages gehören – so Susanne Godels und Peter Pelz’ Jugendmusikschul-Weltmusikensemble mit der fabelhaften jungen Sängerin Sila Yumrutepe. Oder das interkulturelle Gesang- und Instrumentalensemble auf den Spuren von Liedern der 150 Nationen, die in Ludwigsburg leben. Als sich am Ende die 85-jährige Helga Wittek ins Rampenlicht wagt und formvollendet ihr Sehnsuchtslied „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ singt, hat sie zum Glück keinen Kloß im Hals. Die Zuhörer schon.