Die Sexismus-Debatte wirft die Frage auf: Was ist ein Flirt, was Belästigung und was sogar Missbrauch? Ein Abend im Kulturhaus Schwanen hat gezeigt: Erotik auf Augenhöhe funktioniert – und kann sogar witzig sein

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Waiblingen - „Oh Anaschdasia, du machsch me ganz narrisch“, haucht Marco Rother alias Christian Grey seiner Bühnenpartnerin Martina Ferro ins Ohr – das Publikum bricht in Gelächter aus. „Fifty Shades of Grey“ gehört nicht gerade zu den anspruchsvollsten Büchern. Doch wenn die beiden Mitarbeiter der Beratungsstelle Profamilia szenisch – und schwäbisch angehaucht – aus der Sadomaso-Schmonzette vorlesen, taugt diese hervorragend als Kabarettstück. Die beiden sind Laien, ihr Thema ist pikant. Doch bei den Zuhörern kommt es an, wie die beiden erotische Werke umsetzen – mal ernsthaft-sinnlich, mal herrlich albern.

 

Am Freitagabend hatte der „Sinneskitzel“ im Kulturhaus Schwanen Premiere – ein Abend mit sexy Literatur, Verkostung sinnlicher Pralinenkompositionen und der Möglichkeit, den eigenen Horizont etwas zu erweitern. Stattgefunden hat das Event für einen guten Zweck: Die Einnahmen kommen dem Projekt Flügel der Waiblinger Beratungsstelle Profamilia zugute. Flügel soll den Opfern von sexualisierter Gewalt helfen, ist jedoch chronisch unterfinanziert. Das Team von Profamilia denkt derzeit darüber nach, den „Sinneskitzel“ zu wiederholen.

Was unterscheidet ein gutes erotisches Buch von Schund?

Ein Erotik-Event für Missbrauchsopfer – wie passt das zusammen? „Wir wollen positive Beispiele bringen, etwas Sinnliches, Schönes machen“, erklärt dieVeranstalterin Christine Hofstätter von Profamilia. In der aktuellen Debatte über Sexismus und sexuelle Gewalt gehe es keineswegs darum, jegliche Flirts oder Komplimente zu verbieten: „Richtig miteinander in Kontakt zu treten muss man lernen – und auch, wie wir mit unseren Körper und dem des Partners umgehen können.“

Zu diesem Zweck liegen beim „Sinneskitzel“ nicht nur aufklärerisch angehauchte Fotobände aus, sondern auch sinnliche Romane und Erzählungen. Doch was macht eigentlich gute erotische Literatur aus? Martina Ferro, die eben auf der Bühne noch die „Anaschdasia“ gemimt hat, findet: „Ein Autor oder eine Autorin sollte die Kunst der Worte beherrschen – und die richtige Balance finden darin, es bei der Fantasie zu belassen und gleichzeitig deutlich zu werden.“ Ihr sinnlicher Lesetipp: Die im Jahr 1979 erschienene Kurzgeschichtensammlung „Verborgenen Früchte“ von Anais Nin.

Winzige Vibratoren als „Stauversüßerle“

Dass ausgelebte Sexualität nicht zwingend etwas mit dem Hochleistungsgerammle auf Internetplattformen wie Youporn zu tun haben muss, beweist auch der Auftritt von Mascha Hülsewig. Mit einer Schulfreundin betreibt sie seit März 2014 im Stuttgarter Westen den Laden „Frau Blum“– eine sogenannte Boutique Erotique. „Viele halten uns zunächst für einen Schmuckladen“, erzählt sie.

Denn die Spielzeuge und Accessoires, die sie der Moderatorin und Profamilia-Leiterin Oranna Keller-Mannschreck sowie dem – mal verlegen kichernden, mal staunenden – Publikum präsentiert, haben nichts gemein mit den Latexdödeln, an die manch eine(r) beim Wort „Vibrator“ vielleicht denken mag. „Wir wollten die Erotik aus der Schmuddelecke holen“, sagt Hülsewig.

Das Sexspielzeug von heute: Schreibgerät statt Latexdödel

Die Sexspielzeuge von heute sind klein, schlank und könnten auch als elegantes Schreibgerät, als Naschwaren oder als Glücksbringer durchgehen. Hülsewig hält eine kleine Gummimaus in die Höhe: „Die passen in jede Handtasche – wir nennen sie auch Stauversüßerle.“ Gerade im Straßenverkehr der Region Stuttgart fänden sich ja immer wieder Gelegenheiten zur Anwendung, sagt Hülsewig augenzwinkernd.

Nach dieser eindrucksvollen Präsentation zieht es manche Besucher auf die Tanzfläche, um zu Motown, Funk und Soul der Waiblinger DJane Bella die Hüften kreisen zu lassen. Andere zieht es dagegen eilig nach Hause – ein kleines Schächtelchen vom Stand der Erotikboutique in der Handtasche. Falls auf der Bundesstraße ein Stau kommt, frau kann ja nie wissen.