Auch 20 Jahre nach dem Ende des Bosnienkriegs scheinen die ex-jugoslawischen Nachfolgestaaten von einer Aussöhnung noch immer Lichtjahre entfernt. Die EU sollte ihren Druck zum Dialog trotzdem aufrechterhalten, meint der Belgrader StZ-Korrespondent Thomas Roser.  

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Die Steinwürfe auf Serbiens Premier im bosnischen Srebrenica spiegeln keineswegs das gegenwärtige Verhältnis der einstigen Gegner wider. Doch zwei Jahrzehnte nach Ende des Bosnien- und Kroatienkriegs sind sie symptomatisch für das Ausbleiben einer nachhaltigen Annäherung im zerfallenen Jugoslawien. Nicht nur im Vielvölkerstaat Bosnien und Herzegowina, sondern zwischen fast allen früheren Brudervölkern ist statt Aussöhnung zunehmende Entfremdung, ethnische Abgrenzung und die Zementierung lieb gewordener Vorurteile angesagt.

 

Die offene Konfrontation mit den im Namen der eigenen Nation begangenen Kriegsverbrechen bleibt weitgehend aus. Den wenigen Bürgerrechtlern, die für eine schonungslose Aufarbeitung streiten, haftet in ihren Ländern der Ruf der Querulanten und Landesverräter an. In dem von Massenmedien und der jeweiligen Politikerkaste kräftig geschürten Selbstmitleid werden die an den Brudervölkern begangenen Verbrechen entweder kaum thematisiert oder mit dem Verweis auf eigene Opfer systematisch kleingeredet. Der Krieg hat die einstigen Brudervölker Jugoslawiens entzweit – und die scheinbar endlose Nachkriegszeit sie noch weiter entfremdet. Vor allem den jüngeren Kroaten, Serben, Albanern oder Bosniaken sind die Nachbarn mittlerweile völlig fremd geworden. Gemeinsam hat die ex-jugoslawische Staatenwelt nur noch ihre triste Wirtschaftslage und eine ebenso geschäftstüchtige wie sich kaum erneuernde Politiker-Kaste: Nicht nur in Bosniens Politlabyrinth sind es schon seit zwei Jahrzehnten dieselben Gladiatoren, die mit dem regelmäßigen Schüren vertrauter Vorurteile und Konflikte vor allem eigene Pfründe wahren.

Scheinheilige Versöhnungsgesten der Politiker

Ob Fuß-, Hand- oder Wasserballspiele, ob Urnengänge oder die Jahrestage erlittener oder verübter Kriegsverbrechen: Überzeugungstäter und kühl kalkulierende Stimmenjäger lassen mit Hilfe der von ihnen gesteuerten und leicht entzündbaren Massenmedien kaum eine Gelegenheit zum Rückfall in die Kriegsrolle der rhetorischen Vaterlandsverteidiger aus. Gleichzeitig üben sich dieselben Politiker auf dem internationalen Parkett pflichtschuldig, aber eher scheinheilig in der von der Europäischen Union verordneten Rolle als vermeintliche Versöhner. Tatsächlich ist es weniger Überzeugung als der Druck der EU für gutnachbarschaftliche Beziehungen, der die Machthaber in Belgrad, Pristina, Sarajevo und Zagreb zu regelmäßigen Gruppenfotos und zum Versichern freundschaftlicher Absichten zwingt. Doch hernach wird fast jede Geste und jedes Zugeständnis gegenüber der heimischen Wahlklientel als schweres, aber eben von Brüssel abgenötigtes Opfer gerechtfertigt.

Ob beim willfährig zugelassenen Genozid von Srebrenica, bei den fatalen Webfehlern des Dayton-Friedensabkommens oder beim Nato-Bombenhagel im Kosovo-Krieg: auch die internationale Gemeinschaft hat sich weder während der Jugoslawien-Kriege noch bei deren Beendigung oder der Bewältigung von deren Folgen mit Ruhm bekleckert. Das Interesse der Weltöffentlichkeit an der Region ist fast zwei Jahrzehnte nach Srebrenica merklich erlahmt. Brüssel hat auf anderen Baustellen ohnehin genug zu tun: Die EU-Strategie gegenüber den einstigen Kriegsgegnern scheint eher hilflos zwischen gutväterlichem Schönreden und pflichtschuldigen Reform-Ermahnungen zu schwanken. Den Druck zum Dialog sollte Brüssel aufrechterhalten, allzu große Hoffnungen damit aber nicht verbinden.

Aussöhnung lässt sich unterstützen, aber kaum von außen verordnen. Nur wenn in den einzelnen Staaten ein echter Wille zur Konfrontation mit den eigenen Kriegsverbrechen besteht, lässt sich Vergangenheit gemeinsam mit den einstigen Gegnern aufarbeiten. Doch genau davon scheinen die ex-jugoslawischen Nachfolgestaaten noch immer Lichtjahre entfernt.