Er kann auch Kleider, aber meistens sind die Figuren des Bildhauers Peter Lenk nackt. So hält er den Mächtigen den Spiegel vor und kehrt ihr Innerstes nach außen. Zum 70. Geburtstag zeigt der Skandalkünstler vom Bodensee sein Werk in Überlingen. Doch wann beglückt er endlich Stuttgart?

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Überlingen - Drei junge Kerle in Muskelshirts schlendern über den Überlinger Landungsplatz. Plötzlich fällt ihr Blick auf eine Skulptur an einer der Häuserwände, die zur städtischen Galerie „Fauler Pelz“ gehören. „He, das ist doch der Deutsche“, sagt einer und deutet nach oben. Die Kumpels bleiben interessiert stehen. Ja, der Schäuble sei das, stellen sie fest. Als Witzfigur hängt er da, vornüber gebeugt über den behelmten Kopf einer genervt dreinblickenden Europa. Dann verschwinden die Männer in der Gasse, wo sich der Eingang zur Galerie befindet.

 

Peter Lenk ist im Herzen in der Pubertät geblieben

In der Pizzeria nebenan sitzt Peter Lenk mit verbeulter Arbeitshose, ungebügeltem weißen Hemd und Hosenträgern unter einem der Sonnenschirme und hat seine Freude. „Das sind auch nicht die typischen Galeriebesucher“, sagt er. 70 wird er jetzt, doch im Herzen ist er in der Pubertät geblieben. Oder wie soll man es deuten, wenn ein Künstler eine Vorliebe für dicke Männer mit kleinen Gemächt, für gestandene Weibsbilder mit ausladender Oberweite und für viel nackte Haut pflegt? Für das große Feuilleton war Lenk jedenfalls meist einfach zu bäh.

Schon vor 45 Jahren an der Stuttgarter Kunstakademie war der Bildhauer ein Außenseiter. Als zu gegenständlich wurde sein Schaffen empfunden. Abwechselnd sei er in die Tradition von Nazikünstlern oder des DDR-Realismus gestellt worden, sagt Lenk. Dabei imponierte ihm doch das, was bis 1945 als entartete Kunst bezeichnet wurde. Ein einziger Professor habe ihn damals richtig eingeschätzt. „Sie sind ja gar nicht ernst zu nehmen“, habe der gesagt.

So entfloh Lenk dem Stuttgarter Kunstbetrieb und siedelte in die Idylle des Bodensees über, um dort eine völlig neue Kunstrichtung zu entwickeln. Dreidimensionale Karikaturen, in Beton gegossene Satire, immer hart jenseits des guten Geschmacks. In Anbetracht der Obszönitäten, die Politiker und Wirtschaftsbosse in dieser Welt an den Tag legten, seien seine Werke eigentlich harmlos, findet Lenk. „Da kommt ja kein Künstler mehr mit.“

Der Schriftsteller Martin Walser sieht sein Standbild als „ästhetischen Reinfall“

Kunst beginnt da, wo der Geschmack aufhört, hat der Kunsthistoriker Jean-Christophe Ammann einmal festgestellt. Viele von Lenks Opfern haben es trotzdem nie verstanden. Da wäre zum Beispiel Martin Walser, der seit 1999 draußen auf dem Landungsplatz hoch zu Ross sitzt mit Schlittschuhen an den Füßen. Sie erinnern den im Überlinger Ortsteil Nußdorf wohnenden Dichter stets daran, wie er in seiner Paulskirchenrede 1998 auf dem Glatteis deutscher Erinnerungskultur eingebrochen ist. Er könne nicht mehr zu seinem Stammfriseur, klagte Walser nach der Enthüllung. Zum 80. Geburtstag verlangte er sogar vergeblich die Verhüllung des Brunnenensembles. Und auch zum 90., den er vor zwei Monaten feierte, konnte er noch nicht lachen. Er halte das Reiterstandbild „für einen ästhetischen Reinfall“. In einer Plastik könne man sich niemals witzig ausdrücken, erklärte er dem örtlichen „Südkurier“. Dabei hatte es Lenk doch so gut gemeint und ihm sogar seine eigene Schwiegermutter zu Füßen gelegt.

Die Konstanzer Imperia als Wirtschaftsfaktor

In Konstanz wurde tatsächlich einmal ein Kruzifix verhüllt, nachdem Lenk dort einen Brunnen eingeweiht hatte. Man wolle dem Gekreuzigten den Anblick ersparen, argumentierte der Münsterdekan. Und auch die sich im Konstanzer Hafen drehende Imperia zog mit einem Skandal in die Stadt ein, übrigens nicht über Land, sondern über den See. Sonst hätte der damalige CDU-Kulturbürgermeister wohl persönlich die Aufstellung verhindert. In einer Nacht- und Nebelaktion und gegen den Willen des Gemeinderats hatte Lenk die zehn Meter hohe Schönheit, die in der Linken ein Päpstlein und in der Rechten ein Kaiserlein hält, per Fähre angeliefert.

Längst ist Konstanz ohne die wenig pathetische, dafür umso offenherzigere Freiheitsstatue nicht mehr zu denken. Niemand würde das Wahrzeichen mehr hergeben. So ist es oft bei Lenks Streichen, die zunächst auf Probe aufgestellt werden, dann für einen Skandal sorgen und schließlich doch bleiben dürfen. „Jetzt müssen wir das Ding kaufen, sonst sind wir blamiert“, fasste einmal ein Kommunalpolitiker das Dilemma zusammen. Und oft werden die Lenk-Skulpturen wie in Konstanz zu einem echten Wirtschaftsfaktor. Der Bürgermeister von Lenks Heimatgemeinde Bodman-Ludwigshafen (Kreis Konstanz) stellte dies ohne Umschweife heraus. Seit sich an der Rathausfassade in der Lenk-Skulptur „Global Players“ Bundespolitiker wie Edmund Stoiber, Hans Eichel und Gerhard Schröder gegenseitig die Stange hielten, sei das Knöllchenaufkommen für falsches Parken um 5000 Euro gestiegen.

Nur Merkel bleibt mal wieder cool

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Mittelpunkt der nackten Herrenrunde bildet, nahm die Satire übrigens in gewohnter Gelassenheit. Zu Kunstwerken äußere sie sich nicht, hieß es seinerzeit aus dem Bundeskanzleramt. Andere haben es ohnehin schlimmer erwischt. So ließ Lenk dem Bild-Chef Kai Diekmann in einer Skulptur am Redaktionsgebäude der Berliner Tageszeitung „taz“ einen 15 Meter langen Penis wachsen. „Pimmel über Berlin“ nennen die bei Spitznamen stets findigen Hauptstädter das Kunstwerk heute.

AfD-Politiker hat Lenk noch nicht verewigt. „Eine Restsympathie muss schon sein“, sagt er. Ansonsten schafft er lieber in der Provinz. Zwei Dutzend Städte, vor allem im Südwesten, hat er beglückt. Und bald kommt auch Stuttgart an die Reihe. Eine Fassade in der Innenstadt habe er sich schon gesichert. Einige Details seien noch zu klären. Zum Inhalt nur so viel: es gehe um den Tiefbahnhof und – das ist klar – auch diesmal werde es „geschmacklos“.