Von Freitag an findet im Europapark Rust die Deutsche Meisterschaft im Skateboarden statt. Auch Stuttgarter Teams sind am Start. Doch die Besten einer Meisterschaft sind nicht immer die besten Skateboarder. Für viele zählt nur das Freiheitsgefühl.

Rust - Jonas Reiff muss keine Sekunde lang überlegen, voller Begeisterung sagt er: „Das ist wie eine Schatzsuche!“ Dann erzählt der 17-Jährige, wie er sich immer wieder mit seinen Freunden in Stuttgart auf den Weg macht, um nach neuen Orten zum Skateboarden zu suchen. Nach Treppen, von denen er mit dem Board herunterspringen kann. Nach Geländern, die er heruntergleiten kann. Einfach nach allem, auf dem er entlangrollen kann. Spots nennt Jonas Reiff diese Orte. Und wenn er mit seinen Freunden einen neuen entdeckt, sei das wie ein Schatz. Denn dann haben sie wieder einen Platz gefunden, an dem sie sich vollkommen ausleben können. „Diese Freiheit auf der Straße ist unglaublich faszinierend“, sagt Jonas Reiff, und allein schon wenn er davon spricht, ist er absolut mitgerissen. „Ich bin völlig unabhängig auf dem Board – das ist ein ganz anderes Gefühl. Ich entdecke die Welt anders.“

 

Bis zum Sonntag findet im Europa-Park Rust die deutsche Skateboard-Meisterschaft statt, auch Jonas Reiff wird dann zum ersten Mal dabei sein. Der Schüler aus Oberderdingen fährt für das Team des Stuttgarter Skateboard-Shops „Blue Tomato“. Seine Motivation für die Meisterschaft unterscheidet sich aber von der, die man üblicherweise vom Teilnehmer einer Meisterschaft erwartet. „Ich will Spaß haben“, sagt er. „Ich will da einfach nur fahren, die Platzierung ist mir nicht so wichtig.“

Das eine Top-Ereignis gibt es im Skateboarden nicht

Die Skateboard-Meisterschaft ist für die deutsche Szene natürlich eine wichtige Veranstaltung, aber das alles überragende Ereignis ist es für Jonas Reiff und die übrigen Starter nicht. Das eine Topereignis gibt es auch gar nicht. Die Szene definiert sich ganz anders. Von den Besten einer Meisterschaft leiten die Skater nicht ab, wer die besten Skateboarder sind. Dafür ist die Szene zu vielschichtig. Es gibt Skateboarder, die keine Wettkämpfe fahren und trotzdem vom Skateboarden leben können. Sie präsentieren ihre Tricks auf Videos, in Magazinen, auf Blogs. Und wer dort seine besonderen Fähigkeiten beweist, findet Sponsoren.

So ein Skateboard-Profi ist Christoph „Willow“ Wildgrube. Der 32-jährige Berliner, der in Köln wohnt, ist einer der bekanntesten deutschen Skateboarder. In Rust startet er nicht. Profi ist er auch nicht wegen sportlicher Erfolge bei Wettkämpfen, sondern wegen Videos seiner Tricks auf der Straße. Mittlerweile designt Christoph Wildgrube eigene T-Shirts, die er über seine Webseite vertreibt. Zudem entwirft er Möbel.

Skateboarden ist mehr als ein Sport

Für Wildgrube ist das Skateboarden mehr als ein Sport, es ist eine Kunstform, nur eben auf einem Holzbrett mit vier Rollen. „Wenn ich meine Tricks zeige, ist das, wie wenn ein Maler ein Bild malt“, sagt er. „Es gibt da keine Grenzen: keine Trainer, keine Regeln, wie man fahren muss. Jeder kann sich auf dem Board selbst verwirklichen.“ Auch Jonas Reiff sieht Skateboarden eher als eine Lebenseinstellung als einen Sport: „Wir schauen ja auch ganz anders aus als die normalen Sportler.“

Zum Skateboarden gehören der eigene Kleidungsstil, die Skaterschuhe und die eigene Musik. So dient Skateboarden als eine Art Plattform für zahlreiche andere Ausdrucksformen: Graffiti, Fotografie oder Videokunst. „Jeder kann bei uns kreativ sein, jeder kann skaten, wie er will. Und wenn man sich seinen Trick selbst erarbeitet, ist das ein größeres Glücksgefühl als ein Sieg mit der Fußballmannschaft“, sagt Jonas Reiff, der lange im Verein Fußball gespielt hat. Dieses Freiheitsgefühl geht den Skateboardern über alles. Sie alle streben danach, sich selbst zu entfalten und Spaß zu haben. Das haben auch die jungen Skateboarder wie Jonas Reiff noch immer gemein mit den ersten Skateboardern.

Entstanden ist dieser Sport, diese Lebenseinstellung, diese Kunstform in den 1960er Jahren in Kalifornien. Surfer wollten das Wellenreiten auf die Straßen bringen. Schnell weiteten die Skateboarder ihre Spielwiese auf andere Orte aus. Als während der großen Dürre Anfang der 70er Jahre in Kalifornien viele Swimmingpools nicht befüllt werden durften, skateten die Pioniere in den Pools. Deren Wände waren damals nicht senkrecht, sondern geschwungen wie bei einer Schüssel. Davon leiteten sich später die Half-Pipes und Rampen ab, auf denen Skateboarder heute ihre Tricks und Sprünge zelebrieren.

Das Freiheitsgefühl geht den Skateboardern über alles

Von den USA breitete sich das Skateboarden dann in der ganzen Welt aus. Mittlerweile hat fast jede deutsche Provinzstadt einen kleinen Skatepark. Ein Massenphänomen ist das Skateboarden trotzdem nicht geworden. Und weil es sich nicht in Ligen oder Verbände pressen lassen will, haftet dem Skateboarden stets das Image der Subkultur an.

Christoph Wildgrube stört das nicht. „Wir werden immer ein Untergrund-Ding sein“, sagt er. Natürlich möchte er, dass sich viele Leute für das Skateboarden begeistern – und er und Jonas Reiff nehmen auch wahr, dass die Szene wächst. Zudem kämen immer mehr Mädchen und Frauen zum Skateboarden, stellt Wildgrube fest. „Diese Sehnsucht nach der Freiheit auf der Straße wird nie aussterben.“ Er ist aber überzeugt, dass dieser Drang der Skateboarder auf Dauer nicht zusammenpassen würde mit Regelvorgaben oder TV-Übertragungen.

Auch Jonas Reiff fährt nicht Skateboard, weil er damit einmal Geld verdienen will. Er möchte einfach nur Skateboard fahren – natürlich will er das Abitur machen und studieren, sagt er. Nebenbei hat sich Jonas Reiff aber ein besonderes Ziel gesetzt. Er arbeitet an einem vierminütigen Video seiner besten Tricks, zwei Jahre hat er dafür veranschlagt. Es soll schließlich ein wahrer Schatz werden.