Sie wollten endlich wieder um den Gesamtsieg mitspringen, sind zur Halbzeit aber schon chancenlos. Was ist passiert bei Österreichs Skispringern bei der Vierschanzentournee?

Innsbruck - Es soll ja durchaus schon vorgekommen sein, dass Menschen das neue Jahr mit einem veritablen Kater begonnen haben. Meist besteht in solchen Fällen ein Zusammenhang zu übermäßigem Alkoholkonsum an Silvester, allerdings nicht immer: Die österreichischen Skispringer reisen am Abend des 1. Januar regelmäßig mit einem dicken Kopf aus Garmisch-Partenkirchen ab, nachdem sie beim Neujahrsspringen mal wieder einen üblen Absturz erlebt haben – samt bitterem Nachgeschmack. Denn die Durststrecke bei der Vierschanzentournee will einfach nicht enden.

 

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Dabei sind die Zeiten, in denen am Ende ausgelassen gefeiert wurde, noch gar nicht so lange her. Zwischen 2009 und 2015 dominierten die Alpen-Adler die Tournee. Die Sieger hießen Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern, Gregor Schlierenzauer (2x), Thomas Diethart und Stefan Kraft. Seither? Herrscht Flaute bei den einstigen Überfliegern. Und Alexander Pointner, der Trainer der goldenen Generation um Schlierenzauer und Morgenstern, analysiert als Kolumnist der „Tiroler Tageszeitung“, dass der Lack ab ist: „Die Österreicher sind zu verkrampft. Wenn es schwierig wird, sind sie dem Druck nicht gewachsen. Die Angst, zu versagen, ist groß.“

Keine Hoffnung auf den Tourneesieg

Das sind harte Worte, die sich durch Ergebnisse allerdings nicht entkräften lassen. Nachdem Stefan Kraft beim Neujahrsspringen 2018 und 2019 jeweils den zweiten Durchgang verpasst und alle Chancen auf den Tournee-Sieg eingebüßt hatte, fuhr er diesmal voller Hoffnung nach Garmisch. Und landete wieder nur auf Rang 13. In der Gesamtwertung ist er zwar Fünfter, der Rückstand auf Ryoyu Kobayashi (Japan), Karl Geiger (Oberstdorf) und Dawid Kubacki (Polen) ist aber bereits gewaltig. „Damit nach vorne noch etwas geht“, sagt Stefan Kraft, „muss ein Wunder passieren.“ Hoffnung hört sich anders an.

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Der Frust der Österreicher ist auch deshalb so groß, weil sie im Weltcup aktuell die führende Nation sind. Vor dem Auftakt der Tournee in Oberstdorf hatte Kraft noch davon gesprochen, sein Team könne aus dem Gefühl der Stärke heraus agieren. Und nun? Ist alles in Schieflage geraten, was für Skispringer eine gefährliche Position ist. Kraft, Philipp Aschenwald (15.), Michael Hayböck (22.), Jan Hoerl (25.), Daniel Huber (33.) und Gregor Schlierenzauer (36.) hecheln nicht nur der Konkurrenz hinterher – sondern auch den eigenen Erwartungen. „Bisher war ich konstant“, sagt Michael Hayböck, „konstant nicht so weit vorne.“

Die Kritik wird immer lauter

Logisch, dass die Kritik immer lauter wird. Auch Legende Andreas Goldberger gefällt nicht, was seine Nachfolger zeigen: „Sie verkaufen sich deutlich unter Wert.“ Was zwei Dinge impliziert: dass es die österreichischen Skispringer besser können. Aber auch, dass sie es nun endlich zeigen müssen. Bei den Heimspielen in Innsbruck an diesem Samstag (14 Uhr/ZDF, Eurosport) und in Bischofshofen am Montag (17.15 Uhr/ARD, Eurosport) können Kraft und seine Kollegen die Tournee nicht mehr gewinnen. Aber sie können vor 22 000 Fans am Bergisel und 20 000 Zuschauern in Bischofshofen wenigstens den Schaden begrenzen. In der Qualifikation in Innsbruck hat das schon mal geklappt: Kraft wurde Zweiter, Aschenwald Dritter. Was (noch) nichts daran ändert, dass die Österreicher seit 13 Tournee-Springen auf einen Tagessieg warten, einen solchen Negativlauf gab es letztmals vor 15 Jahren. Weshalb Cheftrainer Andreas Felder sagt: „Bisher sind wir an unseren Fehlern gescheitert, der Gesamtsieg ist unmöglich. Jetzt müssen wir zu alter Stärke finden.“

Welche Rolle spielt künftig Werner Schuster?

Was sich anhört, als würde Felder Durchhalteparolen verbreiten, sind auch welche. Nicht zuletzt in eigener Sache. Auch der Coach, der seit April 2018 im Amt ist, braucht Höhenflüge seiner Adler. Zumal einer der erfolgreichsten Trainer der Welt derzeit ohne festen Job ist. Werner Schuster, bis März 2019 Chef der deutschen Skispringer, widmet sich aktuell der Aufgabe, den schwächelnden Gregor Schlierenzauer zu beraten („Bei ihm ist es gerade wie beim Flippern, wenn die Kugel immer in die falsche Ecke geht“), und er ist der Mann, den der Österreichische Skiverband liebend gerne an sich binden würde. Die Athleten hätten vermutlich nichts dagegen. „Werner Schuster“, sagt Schlierenzauer, „ist für mich definitiv der beste Skisprung-Trainer der Welt.“

Und sicher einer, der den Österreichern mit seiner Erfahrung aus der Krise helfen könnte. Denn auch Schuster weiß, wie sich ein Kater bei der Tournee anfühlt: Der Tiroler hat als Trainer alles gewonnen – nur nicht den goldenen Adler, den der Sieger in Bischofshofen erhält.