Die Saisonvorbereitung ist für die Athleten und Trainer wegen der vielen Regeländerungen stets herausfordernd. Sie müssen immer wieder eine Mischung zwischen Wissenschaft und Gefühl finden.

Stuttgart - Jetzt geht es nur noch um die Feinabstimmung. Bis zum vergangenen Mittwoch haben die deutschen Skispringer in Oberstdorf bei ihrem vorletzten Lehrgang an den Details gefeilt. Wieder und wieder sind sie die Eisspur der Schattenbergschanze hinuntergeglitten. Wieder und wieder haben sie die technischen Abläufe am Schanzentisch, beim Absprung oder in der ersten Flugphase durchexerziert.

 

In zwei Wochen geht es wieder los, dann beginnt im norwegischen Lillehammer die neue Saison – und damit die Hatz von einem Weltcuport zum nächsten. Zumindest die für die Öffentlichkeit sichtbare Hetzerei, weil im Fernsehen bald an jedem Wochenende erneut rund um die Uhr Wintersport laufen wird. Dabei sind die Skispringer bereits seit Mai auf dieser Hatz: Trainingslager, Lehrgänge, Wettbewerbe im Sommer-Grand-Prix – das ist nach einer kurzen Pause zwischen Ende März und Anfang Mai der übliche Ablauf in den Wintersportarten. Und auch wenn der Spruch natürlich abgedroschen klingt, für Werner Schuster hat er nach wie vor Bestand: „Ein guter Wintersportler wird im Sommer gemacht.“

Der Bundestrainer weiß, die Vorbereitung ist immer auch „ein Drahtseilakt“, besonders im Skispringen. Dort treibt das Ansinnen, die Sportart spannender, fairer und verständlicher – also fernsehgerechter – zu machen, die Verantwortlichen seit einiger Zeit dazu, fast in jedem Jahr signifikante Änderungen vorzugeben, an die sich die Athleten stets aufs Neue anpassen müssen. Sei es bei den Anzügen, der Skibindung oder dem Body-Mass-Index.

Dieses Mal gibt es neue Anzugsregeln

All diese Änderungen sind für den Außenstehenden nicht so leicht zu erkennen wie zum Beispiel die Umstellung vom Parallel- auf den V-Sprungstil Anfang der neunziger Jahre. Doch in Zeiten hochgerüsteter Schanzen und Skier haben auch diese Umstellungen auf die Athleten einen immensen Einfluss. „Ein veränderter Faktor zieht eine Kettenreaktion nach sich“, sagt Schuster. Und wenn dann wieder etwas Neues auf ihn und seine Skispringer zukommt, handelt er nach der Devise: „Bloß nicht zu spät anfangen. Bloß nicht lamentieren – sondern arbeiten.“ Damit hat der Österreicher auch seine Athleten angesteckt. „Es ist gut, neue Aufgaben zu kriegen, die man überwinden muss“, sagt Richard Freitag, als Gesamtsechster der beste Deutsche der vergangenen Saison. „Man kann neu investieren und muss neue Kraft schöpfen.“

Die neuen Aufgaben für diesen Winter beziehen sich auf die Anzüge. Für das Kleidungsstück gibt es hinsichtlich der Passform nun die Regel: Körperumfang plus zwei Zentimeter Toleranz. Bisher galt die Vorgabe: plus sechs Zentimeter. Der Anzug ist also deutlich enger. Und das bewirkt, wie von Schuster angemerkt, eine Kettenreaktion. „Worauf es nun genau ankommt, traue ich mich noch nicht zu sagen“, betont selbst Severin Freund, der Achte im Gesamtweltcup 2011/12. Aber es scheint, als ob kleinere Springer mit kürzeren Skiern – wie Richard Freitag – mehr Probleme mit der Umstellung haben, weil die Oberkörperfläche nun geringer ist und der Anzug in der Luft nicht mehr so trägt. Es geht dabei um Drehmomente und die Skiausführung, klingt also alles sehr wissenschaftlich und kompliziert und weit weg von den Fans, die „Ziiiieh“ rufen und denjenigen bejubeln wollen, der am weitesten fliegt.

Der Bundestrainer setzt auch auf die Gefühlskomponente

Schuster ist sich dessen bewusst, aber es geht nun mal nicht anders, wenn man ganz nach vorne kommen möchte. Seit vielen Jahren arbeitet der Deutsche Ski-Verband (DSV) mit Wissenschaftlern zusammen, um noch das kleinste Detail herauszufiltern, das dann im Wettbewerb dafür sorgen könnte, dass die Zuschauer den deutschen Sieger bejubeln. Ein beliebtes Hilfsmittel war zuletzt auch der Windkanal eines Sponsors. Zweimal pro Jahr (Juli und Oktober) simulieren sie dort die Flugphase. Statt nach dem Absprung von der Schanze nur wenige Sekunden zu haben, sind es nun drei bis vier Minuten Zeit, um die Position von Kopf, Schulter, Arm und Bein zu halten, die Fußstellung zu überprüfen und Muskelspannungen zu lösen. „So können wir den Sportler bei seiner Flugposition in Feinstform schulen“, sagt Schuster.

Aber so sehr er diese technischen Möglichkeiten schätzt, zu viel messen und kategorisieren will der 43-Jährige auch nicht. „Ich setze mehr auf die Gefühlskomponente, der Sportler muss spüren, was abgeht.“ Zu kompliziert darf das Skispringen aus seiner Sicht für die Athleten und die Fans auf keinen Fall werden: „Denn nicht jede Änderung wird den Sport voranbringen.“