Nach dem Olympiasieg von Skispringerin Carina Vogt laufen bei ihrem Heimatclub SC Degenfeld in der Nähe von Schwäbisch Gmünd die Vorbereitungen für einen rauschenden Empfang.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Schwäbisch Gmünd - Die Kalte-Feld Halle von Degenfeld hielt, aber sie hat gelitten. Von den 460 registrierten Ortseinwohnern sahen beim Public Viewing am Dienstagabend, als Carina Vogt zu ihrem entscheidenden Sprung ansetzte, „alle zu, die man sonst immer im Dorf sieht“, sagt die Ortsvorsteherin Angelika Wesner. Dann war tosender Jubel. Olympiasieg! Olympiasieg für eine von ihnen, für Carina Vogt, 22, vom SC Degenfeld. Seit Mittwochmorgen ist die Halle wegen freudiger Verwüstung geschlossen nach diesem Abend mit sporthistorischer Dimension, ist Vogt doch die erste Olympiasiegerin in der Geschichte des Skispringens des Frauen. Der Rest vom Fest? „Wir müssen jetzt erst mal sauber machen“, sagt Ortsvorsteherin Wesner.

 

Und planen, viel planen, denn schon am Freitagabend wird die Olympiasiegerin zurück in ihrer Heimat erwartet. Die liegt ein paar Kilometer von Degenfeld entfernt, im Örtchen Weilerstoffel, der zur Gemeinde Waldstetten bei Schwäbisch Gmünd gehört. Der Gmünder Oberbürgermeister Richard Arnold hat bereits einen rauschenden, großen Empfang für die 22-jährige Sportlerin von daheim angekündigt, und auch die Degenfelder wollen nicht nachstehen. Zusammen mit dem Vorstand des Skiclubs Degenfeld werde man sich Gedanken machen, wie gefeiert werden solle. Vermutlich „familiärer“ als das in der Stadt geschehe, sagt Angelika Wesner, so wie es auch dem Charakter von Carina entspreche. „Sie ist eine Bescheidene, schüchtern und sympathisch.“ Was man nach dem Siegsprung im Fernsehen habe sehen können: Die Tränen und die Sprachlosigkeit einer jungen Sportlerin, sei völlig authentisch gewesen.

Bewegende Momente

Es waren bewegende Momente in den Bergen von Sotschi nach diesem Sprung in die Geschichtsbücher. Und auch am Tag danach wirkte es so, als hätte Carina Vogt die Dimension dieses Vorabends noch kaum erfasst. Vielleicht ist das in so kurzer Zeit auch schwer möglich. „Die Anzahl der Glückwünsche habe ich nicht im Kopf, ich kann sie wahrscheinlich auch gar nicht alle zählen. Mein Handy hat die ganze Zeit nicht stillgestanden, das war unglaublich“, sagte die Bundespolizistin. „Ich habe dann noch mit den wichtigsten Leuten telefoniert. Vor allem meine Mama war überglücklich und sehr, sehr stolz.“

Ein bisschen schrullig zu sein, jedenfalls anders als andere Mädchen, diesen Eindruck hat die Skispringerin längst abgeschüttelt. Im vergangenen Jahr holte sie WM-Bronze im Mixed-Team, stand in diesem Winter achtmal auf dem Podest, wenn auch nie ganz oben. Aber es gab auch andere Zeiten, da war Carina Vogt sechs Jahre alt und hob zum ersten Mal von einer Schanze in Degenfeld ab, während Gleichaltrige sich mit Spielzeug beschäftigten. Dass Frauen-Skispringen einmal ein ernsthafter Sport, gar olympisch werden sollte, zeichnete sich damals nicht ab. Besorgt schauten vornehmlich ältere Degenfelder auf das Kind, das mit glühenden Augen die Anlaufspur hinaufschaute. Aber die Eltern der kleinen Carina, Franz und Iris Vogt, haben das Kind trotzdem zum Training gefahren und ihm nichts ausgeredet.

Für den 300 Mitglieder zählenden Skiclub, der wie alle Vereine in Mittellage unter dem winterlichen Wetterwechsel leidet, ist der Sensationserfolg der Skispringerin eine Möglichkeit, mehr Nachwuchs anzusprechen. „Man hat jetzt eine einmalige Chance, sich zu positionieren“, sagt die Ortsvorsteherin Wesner. In diesem Winter war wegen Schneemangels mal wieder kein Training auf Naturschnee möglich, die Matten mussten ausgerollt werden. So ist das oft in dem Club, der derzeit über keinen ordentlich gewählten ersten Vorstand verfügt. Die Geschäfte führt der Bankfachmann Frank Ziegler. In seinen „kühnsten Träumen“ hätte er nicht mit Olympiagold gerechnet.

Eine neue Schanze entsteht

In baulicher Hinsicht hat sich der SC Degenfeld schon auf Wachstum eingerichtet, bevor Carina Vogt die Weltbühne eroberte. Im April 2013 kam es zum Spatenstich für eine neue Mattenschanze von mittlerer Größe. Zehn Jahre hat es gedauert, bis die Finanzierung von rund 1,3 Millionen Euro auf die Beine gebracht werden konnte, 2015 soll die neue Anlage in Betrieb gehen. Die Hoffnung ist, dass Degenfeld als Wintersportort wieder an alte, glänzende Zeiten anknüpfen kann.

Die örtliche Winterhalderschanze ist 1926 eingeweiht worden, 1927 wurden hier die ersten Schwäbischen Meisterschaften ausgetragen. Nach einer Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg blieb die Naturschanze bis in die 1950er Jahre Austragungsort großer Springerwettkämpfe. Anfang der 1990er Jahre wurden dann zwei kleinere Mattenschanzen, die Kaltefeldschanzen, gebaut. Degenfeld wurde Stützpunkt des Schwäbischen Skiverbandes.

Carina Vogt ist den Anlagen daheim längst entwachsen, sie trainiert seit Jahren auf größeren Anlagen, zum Beispiel in Hinterzarten. Dorthin werden die Lieben in der Heimat ihre Olympiasiegerin aber so schnell sicher nicht wieder lassen. Erst mal wird gefeiert. Nach dem Fest ist schließlich vor dem Fest. Waldstetten sei jetzt, sagt der Ortsbürgermeister Michael Rembold stolz, eine „Gold-Gemeinde“.