Die Amerikanerin Mikaela Shiffrin ist offenbar unschlagbar – dabei kann die skirennläuferin auch so zerbrechlich sein.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Wie süß. In der Vorbereitungsphase auf das Rennwochenende in St. Moritz verlor Mikaela Shiffrin kurz mal die Nerven. Oberhalb des Schweizer Nobelskiorts stand der Sessellift still, die Amerikanerin geriet in Panik, wollte aussteigen – dabei ging es zwölf Meter in die Tiefe. Ihr Nebenmann beruhigte sie mit den Worten, der Lift werde irgendwann wieder weiterfahren, und so kam es auch. Es war nicht das erste Mal, dass die Skirennläuferin aus Colorado bei Menschen in ihrer Umgebung einen Beschützerinstinkt auslöste. Bei den Winterspielen in Südkorea musste sie sich vor Aufregung übergeben. Der Grund: Ein Skirennen stand bevor.

 

Mikaela Shiffrin ist entweder Mensch oder Maschine, dazwischen bewegt sie sich selten. Als Mensch ist sie das nette blonde Mädchen, das so lustig und laut über sich selbst lachen kann. Sie ist lebensfroh, unverbraucht, höflich und frei von Allüren.

Doch wenn sie sich mit aller Wucht aus dem Starthaus rammt, geschieht irgendetwas mit ihr, das nicht von dieser Welt ist. Sie fährt in ihrem eigenen Kosmos und lässt Gegnerinnen oft aussehen, als befänden sie sich auf Europacup-Niveau. Im Jahr 2015 siegte sie in Aspen mit 3,07 Sekunden vor Veronika Velez-Zuzulová – das war der größte Vorsprung in einem Weltcupslalom seit Erfindung des Skisports.

Der Alpin-Diva Lindsey Vonn hat das Zepter längst übergeben an Mikaela Shiffrin – von Amerikanerin zu Amerikanerin.

Vonn kämpft noch um den Rekord

Vonn kämpft zwar noch krampfhaft darum, zumindest vorübergehend eine gewisse Unsterblichkeit zu erlangen, in dem sie im fortgeschrittenen Rennläuferalter von 34 Jahren den Rekord des Schweden Ingmar Stenmark bricht: der große Stilist gewann 86 Weltcups, Vonn steht bei 82.

Aber sie spürt, dass auch ihre Bestmarke, sollte sie sie aufstellen, nur ein paar Jahre Bestand haben könnte. Shiffrin ist 23 Jahre jung – und steht schon jetzt bei 48 Erfolgen. „Sie kann meine Rekorde brechen“, sagte Miss Vonn mit erstaunlicher Ehrfurcht. Und die andere, sich bereits im Ruhestand weilende Ski-Primadonna Maria Höfl-Riesch fiel zu Shiffrin nur das ein: „Ich bin froh, dass ich nicht mehr gegen sie fahren muss.“

Das Wunder von Colorado, wo in ihrem Heimatort Eagle-Vail bereits eine Straße den Namen „Mikaela Way“ trägt, läuft in Dauerschleife. Bleibt Shiffrin verletzungsfrei, pulverisiert sie die Stenmark- oder Vonn-Bestmarke mit links. Seit ihrem Super-G-Erfolg kürzlich in Lake Louise gehört sie dem erlauchten Kreis von sieben Rennläuferinnen an, die in allen fünf Disziplinen siegreich waren. Nimmt man den relativ neuen Parallel-Slalom in diese Statistik mit auf, ist die US-Lady gar die erste Skifahrerin, die in sechs Kategorien gewann. Shiffrin ist zweifache Olympiasiegern, dreifache Weltmeisterin – und alles geschah (und geschieht noch) in beeindruckendem Tempo. Sie debütierte mit 15 im Weltcup, bereits im achten Rennen raste sie aufs Podium. Für den ersten Sieg musste sie nur 24 Wettkämpfe warten, mit 17 wurde sie Weltmeisterin, mit 18 Olympiasiegerin. Unfassbar!

Der Aufstieg zur Speed-Queen

Dass aus der Slalom-Göttin auch eine Speed-Queen werden könnte, auch das kam früher als erwartet. „Ich habe gedacht, dass ich es in meiner Karriere irgendwann mal schaffen werde, einen Super-G zu gewinnen, aber definitiv nicht, dass es so schnell klappt“, sagte Shiffrin nach ihrem Erfolg in Lake Louise, um diesem Meisterstück in St. Moritz eine Woche später in derselben Disziplin in zweites folgen zulassen – und am Sonntag gewann sie auch noch den Parallelslalom. Ihr Motto lautet: „Es gibt kein Limit“. Dabei könnte sie morgen aufhören – und wäre mit 23 eine der erfolgreichsten Rennläuferinnen der Sportgeschichte.

Das wird sie aber nicht tun. Stattdessen bastelt Mikaela Shiffrin weiter an ihrer sportlichen Zukunft. Sie hat jüngst ein Haus gekauft – und die Eltern sind mit eingezogen. Das Shiffrin-Team besteht Mutter, Vater, Tochter – und einer Handvoll Betreuer. Vater Jeff beschreibt das Erfolgsrezept der Shiffrin-Combo zwar simpel („Wir feiern nicht zu viel“), doch die wichtigste Figur für die Athletin ist Mama Eileen. Sie sei Mutter, Trainerin, Freundin, Managerin, Sportpsychologin, Reise-Organisatorin und „auch Leibwächterin, wenn sie mir den Weg durch die Menschenmassen bahnt“, sagt die Sportlerin. Aber vor allem sorgt sie dafür, dass ihre sensible Tochter mental in der Spur bleibt. „Sie bewahrt mich davor“, sagt Mikaela Shiffrin, „während der Saison verrückt zu werden.“ Gut so – denn nur Verrückte springen tatsächlich aus dem Sessellift.