Monatelang war die Kunsthalle Baden-Baden eingehüllt. Zur Wiedereröffnung hat der Künstler Michael Müller das Haus auf den Kopf gestellt. „SKITS – 13 Ausstellungen in 9 Räumen“ ist ein komplexes Sammelsurium, das die Besucher überwältigen soll.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Man reibt sich die Augen. Monatelang war die Kunsthalle Baden-Baden wegen Sanierung des Daches geschlossen. Am Wochenende ist das Gebäude nun wieder eröffnet worden – aber nicht nur das Dach, auch das Innere wirkt wie neu: Teppich wurde verlegt, Böden wurden angehoben, in Kabinette Räume eingebaut. Hier tritt man auf noch feuchten Ton, dort hat man ein Wasserbecken installiert. Vor allem ist aus dem großen Saal ein Strand geworden. Sechzehn Tonnen Quarzsand wurden aufgeschüttet, in den man die Zehen strecken kann.

 

Deshalb heißt es am Eingang der neuen Ausstellung auch: bitte Schuhe ausziehen. Denn der Künstler Michael Müller will das Publikum einbinden in seine Arbeit und es den Unterschied spüren lassen zwischen Sand, Teppich und kalten Fliesen. Besonders Hartgesottene können sogar den weichen Ton betreten, der für die Dauer der Ausstellung feucht gehalten wird, damit die Besucher ihre Fußabdrücke hinterlassen können. Erst nach der Schau wird das Material gebrannt und das Kollektivwerk damit verewigt werden.

„SKITS“ nennen sich die „13 Ausstellungen in 9 Räumen“, mit denen sich die Kunsthalle Baden-Baden nach einer knapp halbjährigen Schließzeit wieder zurückmeldet. Für rund eine halbe Million Euro wurde das Dach erneuert, um das mehr als hundert Jahre alte Gebäude energetisch zu ertüchtigen. Zur Wiedereröffnung reizt Michael Müller die Möglichkeiten des Baus auf besondere Weise aus und hat zahlreiche Umbauten der Räume vorgenommen. Es sei die aufwendigste Ausstellung in der Geschichte der Kunsthalle, sagt der Direktor Johan Holten, „zumindest was den physischen Umfang anlangt.“

Vom tibetanischen Kloster nach Berlin

So ist es dem ambitionierten Direktor wieder einmal gelungen, mit einem spektakulären Projekt Schlagzeilen zu machen – und damit dem starken Nachbarn Frieder Burda Paroli zu bieten, der ja keineswegs nur mit gefälligen Ausstellungen zur Klassischen Moderne das Publikum anzieht, sondern mit interessanten, eigenständigen Konzepten – wie etwa bei der aktuellen Themenschau zur Kerze (siehe unten).

Mit Michael Müller setzt die Kunsthalle auf einen Vertreter einer jüngeren Generation: Er wurde 1970 in Ingelheim am Rhein geboren, hat kurz Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und lebte danach zehn Jahre lang bei einer tibetanischen Bauernfamilie und im Kloster. Seit 2015 ist er Professor an der Universität der Künste Berlin.

Müller „überwältige“, meinen Holten und der Kurator Hendrik Bündge. Man könnte auch sagen: Er fordert und überfordert sein Publikum. Denn Müller hat nicht nur viel Material zusammengetragen. Diese neun ganz unterschiedlich gestalteten Räume strotzen nur so von inhaltlichen Bezügen und Referenzen, Fragestellungen und Themen. So hat Müller aus Plexiglas einen Kubus gebaut, an dem Fotografien von Objekten präsentiert werden, die in der noch geschlossenen Kunsthalle ausgestellt wurden. Ein netter Gedanke, eine Ausstellung ohne Publikum stattfinden zu lassen und nur noch die Dokumentation zu zeigen.

Louis-Vuitton-Tasche mit Dürer-Monogramm

Seit fast zwanzig Jahren arbeitet Müller auch an seiner Zeichensprache „K4“, in die er Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ transkribiert. 630 dieser Notate füllen nun ein ganzes Kabinett. Hier schwimmen in einem Aquarium blinde Albino-Fischlein durch eine vom Künstler geformte Unterwasserlandschaft, dort hat er eine Wunderkammer eingerichtet mit Skulpturen, abgezeichneten Künstlerporträts und Zitaten an den Wänden – Stendhal und Paul Valéry lassen grüßen.

Müller geht es vor allem um den Kunstbegriff selbst, weshalb er auch auf eine Louis-Vuitton-Tasche statt LV das Monogramm von Albrecht Dürer gedruckt hat. Er hinterfragt auch den Autorenbegriff, nutzt verschiedenste Medien und ist nicht mehr an klassischen, markttauglichen Artefakten interessiert. In seinem kunterbunten Kosmos und Erlebnisparcours wird viel zitiert, referiert, ironisiert, paraphrasiert – aber zum Schluss bleibt doch das ungute Gefühl zurück, dass die „Überwältigung“ nichts als ein Ablenkungsmanöver ist, um das Fehlen einer eigenen Position zu kaschieren.