Die Skulptur-Projekte in Münster sind keine Gegen-Documenta, nehmen aber durch kluge Selbstbeschränkung für sich ein. Zugleich reflektiert die alle zehn Jahre stattfindende Schau über den öffentlichen Raum und seine Wandlungen.

Münster - Auf der Promenade in Münster lagern fünf Gestalten um ein Wasserbecken herum, zwei aus Bronze, drei aus Gips. Es sind seltsam außerirdische Wesen, weder Mann noch Weib, sondern irgendwas dazwischen, dafür aber von riesenhafter Statur. Und als wär’s ein Brunnen der Barockzeit, wird hier das Fließen, Sprühen, Plätschern und Rinnen des Wassers als Spektakel inszeniert, nur dass die Fluten nicht Schalen und Muschelhörnern entspringen, sondern aus Knien und Schienbeinen der extraterrestrischen Freizeitgesellschaft sprinklern, als feiner Nebel aus Schulterblättern aufsteigen und aus der Bierdose quellen, die eine der im Gras dösenden Figuren auf dem Bauch balanciert. „Sketch for a Fountain“, wie die Gruppe der amerikanischen Künstlerin Nicole Eisenman betitelt ist, zählt zu den stärksten, sinnlich eindrücklichsten, Tradition und Gegenwart, Komik und Kontemplation verbindenden Werken der Skulptur-Projekte 2017.

 

Alle zehn Jahre – und nun zum fünften Mal seit 1977 – finden sie in der beschaulichen westfälischen 300 000-Einwohner-Stadt statt und gehören nach schwierigem Start inzwischen zu den sommerlichen Superkunstschauen mit internationalem Renommee und bekannten Künstlernamen. „Schwarz, schwärzer, Münster“ lautete einst ein Spottspruch über die Stadt und ihre ultrakonservativen Bewohner, die sich – ihrem Ruf alle Ehre machend – anfangs nur schwer mit moderner Kunst im öffentlichen Raum anfreunden konnten. Aber längst ist die Ablehnung in Stolz umgeschlagen, sind Begehrlichkeiten geweckt, die Skulptur-Projekte im gleichen Fünfjahrestakt wie die Documenta stattfinden zu lassen. Kasper König, künstlerischer Leiter von Beginn an und mittlerweile so etwas wie ihr knorriger Übervater, beharrt jedoch auf dem Zehnjahresrhythmus, auf Entschleunigung und Langsamkeit. Auch darauf, dass die Ausstellung ein kostenlos zugängliches, also maximal demokratisches, größtenteils mit öffentlichen Geldern finanziertes Kunstfest für alle bleibt.

Wider den Kunstrummel

König und seine Co-Kuratorinnen Marianne Wagner und Britta Peters erachten es als essenziell, die Skulptur-Projekte vor dem gierigen Zugriff des Stadtmarketings zu bewahren, sie der gängigen, immerzu und überall geforderten Kosten-Nutzen-Relation zu entziehen. Mit Schweinchen, Kühen oder Bären, dieser zum Glück abgeklungenen Seuche, die vor einiger Zeit landauf, landab die Straßen und Plätze deutscher Städte erfasst hatte, hat diese sich kritisch mit dem öffentlichen Raum auseinandersetzende Ausstellung denn auch nicht das Geringste zu tun. Tatsächlich gelingt den Kuratoren das Kunststück, eine mit insgesamt 35 Arbeiten überschaubare, ortsbezogene Schau ohne jeden Zug von Kunstrummel zu präsentieren, aber auch ohne dass unmittelbare Erfahrbarkeit und Vergnügen zu kurz kommen.

Dennoch fällt an diesen Skulptur-Projekten ihre Zurückhaltung auf: keine bunten Wimpel von Daniel Buren über den Straßen wie vor zwanzig Jahren oder gigantische Billardkugeln von Claes Oldenburg, die seit 1977 zum festen Inventar am Aasee gehören, stattdessen vielfach eine Verlagerung ins Innere. So findet Alexandra Piricis Performance „Leaking Territories“, mit der sie den in Münster geschlossenen Westfälischen Frieden von 1648 angesichts aktueller globaler Spannungen „rekonfiguriert“, im historischen Friedenssaal des Rathauses statt. Für Gerard Byrnes Video „In Our Time“, das einen Radiomoderator in einem antiquierten Studio zeigt, muss man ins Untergeschoss der Stadtbücherei hinabsteigen, für „Bye Bye Deutschland!“, eine Videoinstallation des Künstlerduos Benjamin de Burca und Barbara Wagner, die sich mit dem deutschen Schlager(un)wesen beschäftigt, eine versteckt in einer Ladenpassage gelegene Diskothek aufsuchen.