Sie sind das Beste, was England derzeit zu bieten hat: 60 Minuten Pöbeleien von den Sleaford Mods in der ausverkauften Manufaktur in Schorndorf
Schorndorf - So voll hat man die Manufaktur schon lange nicht mehr gesehen. Viele Stuttgarter fahren am Freitagabend nach Schorndorf. Manche erinnern sich an Konzerte von den Kings of Convenience oder Wanda, die ähnlich gut besucht waren. Andere denken an den „legendären“ Abend vor drei Jahren, als die Sleaford Mods im Esslinger Komma aufgetreten sind und die Leute das Gefühl hatten, bei „etwas Großem“ dabei zu sein, wie sie es heute sagen.
Im Internet gibt es immer mal wieder so genannte „Rants“. Rants sind Wutreden zu einem bestimmten Thema. Sie sind oft emotional, manchmal aggressiv. Jüngst machte etwa eine Städtebeschimpfung über München die virtuelle Runde. Die Sleaford Mods, zwei Typen Mitte vierzig aus der britischen Stadt Nottingham, machen musikalische Rants. Jedes Lied ist eine grantige Beschimpfung, eine Beschwerde über Britannien, das Leben und den Alltag. Über alles. Der Guardian nennt sie „Britain‘s angriest band“. Und genau das sind sie – Großbritanniens wütendste Band. Dabei wundern sie sich immer wieder selbst, wie sie nach zehn Jahren so populär werden konnten, mit dem, was sie da machen. Die Musik kommt aus dem Computer, zu den LoFi-Drumbeats spuckt Jason Williamson seine zornigen Worte. Das wirkt auf den ersten Blick nach nicht sehr viel - und ist gerade deshalb so gut. Jetzt nach dem Pro-Brexit-Beschluss scheint ihre Musik noch relevanter als zuvor. Und sie kommt auch im Ausland gut an.
Am Freitagabend in Schorndorf haben die Sleaford Mods gleich zwei Vorgruppen dabei. „Einen wunderschönen guten Abend. Wir sind Pisse“, mehr Worte braucht es nicht für die deutsche Punkband namens Pisse. Die Songs sind großartige Zwei-Minuten Kracher, in denen von Blixa Bargeld und der Work-Life-Balance geschrien wird. Dann kommt der Engländer Mark Wynn mit Laptop und verschiebbarer Treppe auf die Bühne, sprechsingt Wörter zu eigenen und fremden Melodien aus dem Computer, zieht sich aus, schenkt sich Saft ein und verstört sowie verzaubert das Publikum. Am Ende des Auftritts bedankt er sich, dass ihn niemand mit Sachen beworfen hat.
Viel Applaus für wenig Performance
Während der folgenden sechzig sehr intensiven Minuten mit den Sleaford Mods hat man ständig das Gefühl, es wird jetzt gleich eskalieren. Es ist diese Wut, die allen Songs inhärent ist. Es gibt viel Applaus für wenig Performance. Die zwei Typen auf der Bühne sehen aus, als wären sie für einen gemütlichen Sofaabend vor dem Fernseher verabredet. Andrew Fearn ist der Mann, der für die zackigen, pumpenden Beats zuständig ist. Er muss nur ein paar Mal – zu Beginn jedes Songs – auf eine Taste des Laptops drücken, das auf gestapelten Bierkisten platziert ist.
Ansonsten steht Fearn stoisch da, die eine Hand in der Hosentasche seiner Jogginghose, in der anderen eine Flasche Bier, sein Kopf nickt im Takt, oft grinst er und scheint sich vielleicht zu wundern, wie er mit seinem Kumpel Jason Williamson vor drei Jahren von der Popkritik entdeckt und gefeiert wurde - und jetzt eine ausverkaufte Tour vor frenetischen Fans spielt. Williamson krakeelt ins Mikro, fährt sich immer wieder aggressiv durch die kurzen Haare, Schweiß spritzt. Er spuckt die Songs der Prolls aus der Provinz ins Mikro. „Tied Up in Nottz“, „B.H.S“, „Jolly F*cker“ und „Moptop“ heißen die Hits, im Rund wird Pogo getanzt. „Bastard“ und „Fuck“ gehören zum Standardvokabular.
Das Bild von England, das die Sleaford Mods beschreiben, ist eines von Backsteinreihenhäuschen, Tesco-Supermärkten, öden Abenden in Vorstadt-Pubs mit lauwarmen Pints, langweiligen Bürojobs und dem täglichen Kampf, ein beschissenes bis okayes Leben zu haben. Sie packen die Wut der Working Class in Worte - und sind damit nicht nur hip, sondern vor allem politisch. Man wünscht sich während des Konzerts, diese beide Typen würden noch erfolgreicher werden. Auf noch größeren Bühnen stehen. Oder einfach mal für England beim Eurovision Song Contest antreten.