In den Wäldern des osteuropäischen Landes versuchen Mensch und Tier die friedliche Koexistenz – eine labile Balance zwischen dem Streben nach Schutz und Sicherheit.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Slowakei - Mit Schokolade lassen sich auch misstrauische Bären aus den Tiefen der slowenischen Bergwälder locken. Die Sonne ist bereits hinter den Wipfeln der mächtigen Baumriesen verschwunden, als ein neugieriger Jungbär aus dem Unterholz auf die Lichtung lugt. Vorsichtig umtapst Meister Petz die ausgelegten Gaben. Mit lautem Knirschen zermalmt der langfellige Waldbewohner die Maiskörner, als er im Baumstumpf das ersehnte Dessert erschnüffelt. Mit starker Pranke schiebt der Braunbär schließlich kurz entschlossen den hölzernen Deckel beiseite – bevor sein wendiges Haupt im freigelegten Stumpf verschwindet: Bis zum letzten Krümel leckt er fachkundig die Schokobrocken aus.

 

Im Hochstand 15 Meter über der Lichtung an den Flanken des südslowenischen Sneznikgebirges lässt der Bärenhüter Uros seinen scheuen Schützling keinen Augenblick aus den Augen. Auf die großen Bären müsse man manchmal bis drei oder vier Uhr morgens warten, flüstert der junge Jäger: „Sie sind vorsichtiger und wittern schneller mögliche Gefahren.“ Selbst sei ihm auf der Pirsch in seinem Revier um den Waldweiler Masun schon häufig ein Bär über den Weg gelaufen: „Am besten bleibt man dann stehen – und macht gar nichts.“

Auf jeden 4000. Bewohner der nur zwei Millionen Einwohner zählenden Alpenrepublik kommt ein Bär. Und fast jeden von Sloweniens etwa 500 Bären hat Marko Jozanovic nicht nur durch Halsbandsonden und DNA-Analysen genau im Blick. Dreimal im Jahr werde an den Futterstellen der Bestand gezählt, Abgänge und Verluste genauso wie die durch die Bären verursachten Schäden in der Landwirtschaft registriert, berichtet der Leiter der Abteilung Waldtiere und Jagd in Sloweniens Forstverwaltung in Ljubljana. 104 Bären hat der stämmige Förster in den vergangenen 20 Jahren zur Umsiedlung oder für wissenschaftliche Zwecke selbst lebend gefangen. „Der Bär ist ein großartiges Tier, jede Begegnung mit ihm ist etwas Besonderes“, sagt er. „Bären sind sehr intelligente Tiere, aber man kann sie nicht in eine Schublade stecken: Sie sind unberechenbar.“

Das Zusammenleben von Mensch und Tier ist nicht problemfrei

Doch obwohl das stark bewaldete Slowenien nach Rumänien als das Land mit der größten Bärendichte Europas gilt, ist das Nebeneinander zwischen Mensch und Tier keineswegs problemfrei. „Die Liebe zum Bär nimmt mit der Distanz zu ihm zu“, sagt Jozanovic. In den Großstädten und im Nordosten, wo es keine Bären gebe, werde er am meisten geliebt: „Die Menschen, die mit ihm leben, sind weniger begeistert.“

Wieder klingelt in seinem behaglichen Büro das Telefon. Am Vortag sei nur eine halbe Autostunde von Ljubljana entfernt eine Frau beim Spaziergang mit ihrem Hund in Velike Lasce von einem Bär angegriffen worden und musste ins Krankenhaus. Nach jedem Vorfall würden Journalisten mit der Frage anrufen, wie man sich bei einer Begegnung mit einem Bär zu verhalten habe. Und die Lokalpolitiker würden sich mit der Forderung nach der Reduzierung des Bärenbestands zu profilieren versuchen. Doch nur wenn Problembären sich weder umsiedeln noch vertreiben ließen, würde das Forstamt die Zustimmung zu „außerordentlichen Abschüssen“ geben.

Mit dem Segen des Forstamts werden jährlich etwa 75 Bären zur „Bestandskontrolle“ erlegt – zehn bis 15 Abschüsse aufgrund von „Konfliktsituationen“ mit eingeschlossen. Der Bär sei „kein Tier, das in eine Kulturlandschaft passt“, jammert der Bürgermeister von Velike Lasce, Anton Zakrajsek, in der Zeitung „Delo“: Wanderungen der Schulkinder würden nur noch in Begleitung eines Jägers organisiert.

Drei Todesfälle seit dem Zweiten Weltkrieg

Den regelmäßig wiederkehrenden Klagegesang über die vermeintliche Bärenbedrohung ist Jozanovic gewöhnt. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei es in Slowenien jedoch erst zu drei Todesfällen durch den Bären gekommen, zum letzten Mal in den 1970er Jahren. „Wenn die Furcht vor den Bären tatsächlich so groß wäre, wäre er in Slowenien längst ausgerottet“, sagt er. Letztendlich hätten Sloweniens Jäger den Bär vor dem Aussterben bewahrt, führt Jozanovic fort. Doch verklären möchte er das Leben mit Sloweniens felligem Markenzeichen keineswegs: Mit der Kontrolle des Bestands, Entschädigung von Betroffenen und notfalls Umsiedlungen oder Abschüssen müht sich die Forstverwaltung die labile Balance zwischen dem Streben nach Schutz des Tieres und der Sicherheit des Menschen zu halten.

Der Bär sei ein „Ernährungsopportunist“, sagt Jozanovic: „Er geht dorthin, wo er sich am leichtesten und schnellsten ernähren kann – notfalls auch ins Dorf.“ Schlachtabfälle vor dem Haus und ungesicherte organische Abfälle locken den Allesfresser an. Ein weiteres Problem ist die Verwahrlosung und Versteppung von einstigen Weiden und Obstwiesen.

Broschüren und Aufkleber mahnen Waldanrainer zur Sicherung ihrer Abfälle – und ihre Hunde bei Waldexkursionen an die Leine zu nehmen: Denn Vierbeiner, die Bären im Unterholz aufstöbern, flüchten sich meist verschreckt zu ihren Herrchen zurück und lenken die Aufmerksamkeit ihres Verfolgers auf diese.

Aussiedlung in die Nachbarländer

Indes werden Sloweniens Bären auch in andere Länder ausgesiedelt. Doch nicht nur eine ausreichend hohe Zahl von Tieren ist eine Voraussetzung für den Erfolg einer erfolgreichen Wiederansiedlung. In Österreich ist die kleine Bärenpopulation durch Wilderei am Schwinden. „Wir würden uns wünschen, dass es auch in den Nachbarländern zu einer kontrollierten Lage kommt – und man sich klar ausdrückt, ob Bären erwünscht sind oder nicht“, sagt Jozanovic.

160 Kilometer südlich der Grenze zu Österreich können Sloweniens Bären zumindest in den dichten Wäldern um Masun ihres Fells und eines leckeren Nachthappens weiter sicher sein. Die Dämmerung zieht bereits herauf, als eine kapitale Bärendame das satt gefressene Jungtier von der Futterstelle vertreibt. Wie viele Bären durch die Wälder des staatlichen Jagdreviers Jelen ziehen, vermag auch der Jäger Uros nicht genau zu sagen. Der Mann mit dem Filzhut weist in Richtung der zehn Kilometer entfernten Grenze zu Kroatien: „Bären wandern, wie sie wollen. Sie machen auch vor der Schengen-Grenze nicht halt.“