Der Bau von Stuttgart 21 bringt den S-Bahn-Verkehr durcheinander. Laut SMA ist pro Zug mit einer Verspätung von 30 Sekunden zu rechnen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Bei der Vorstellung des Stresstests vor knapp zwei Wochen haben sich Gegner und Befürworter die Köpfe heiß geredet über die Qualität des geplanten Tiefbahnhofes - wie sich durch Stuttgart21 die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der S-Bahnen verändern würden, war dagegen kein Thema. Dabei hat das Gutachten der Firma SMA durchaus auch kernige Aussagen zu genau diesem Punkt gemacht.

 

Für die S-Bahn-Haltestelle am Hauptbahnhof hat das Züricher Unternehmen SMA im Stresstest eine sogenannte Sensitivitätsbetrachtung angestellt. Dort halten die S-Bahnen bisher offiziell 30 Sekunden, künftig sollen es 48 Sekunden sein - dadurch ergebe sich aber ein "Verspätungszuwachs in diesem Bereich von etwa 30 Sekunden" - und zwar pro Zug, ist im Stresstest nachzulesen. Die Schlussfolgerung von SMA: "Die Ergebnisse zeigen, dass sich das S-Bahn-System im Bereich der Stammstrecke in einem kritischen Bereich befindet."

Eine weitere Anspannung der Situation könne sogar zu einem "Kippen" des gesamten Systems führen. An anderer Stelle im Gutachten heißt es dagegen, dass sich die aufgebauten Verspätungen noch knapp kompensieren ließen. Allerdings: die neue Strecke am Flughafen, auf der künftig neben S-Bahnen auch Fernzüge fahren sollen, sowie die geplante S-Bahn-Strecke von Böblingen nach Renningen erzeugten weitere betriebliche Schwierigkeiten im System. Insofern seien die Ergebnisse für die S-Bahn in der Simulation eher als optimistisch zu bezeichnen, so das SMA-Fazit.

Diskussion um einen S-Bahn-Stresstest

Der Nahverkehrsexperte und Stuttgart21-Gegner Felix Berschin nennt diese Aussage "einen Hammer". Er schätzt selbst die Haltezeit von 48 Sekunden am Hauptbahnhof noch als zu niedrig ein, sondern hält 54 Sekunden für notwendig. Und die von SMA angenommene Haltezeit von 20 Sekunden an Bahnhöfen wie Bad Cannstatt oder Zuffenhausen sei völlig unrealistisch. Insofern sei das SMA-Urteil sogar aufgrund falscher Prämissen zustande gekommen. Grundsätzlich hält Berschin die Ergebnisse für sehr bedenklich - er befürchtet starke Verspätungen im S-Bahn-Verkehr. Der Heidelberger Nahverkehrsexperte fordert deshalb einen eigenen Stresstest für die S-Bahn.

Der Verband Region Stuttgart (VRS) ist für die S-Bahnen verantwortlich. Jürgen Wurmthaler, der Technische Direktor des VRS, hält aber nichts von einem S-Bahn-Stresstest. Die S-Bahnen müssten im Gesamtsystem betrachtet werden, und das sei jetzt im Stresstest geschehen, sagt Wurmthaler. Die entsprechenden Passagen im SMA-Gutachten scheinen aber auch den Verband beunruhigt zu haben, denn man hat die Bahn als Bauherrn von Stuttgart21 sofort um eine Stellungnahme gebeten. Die Antwort: der heutige und der künftige Fahrplan im S-Bahn-Tunnel am Hauptbahnhof entsprächen sich beinahe - es gebe keinen Grund zur Sorge.

Wurmthaler räumt allerdings ein, dass der S-Bahn-Tunnel an seiner Kapazitätsgrenze angekommen sei und jede Störung zu Verspätungen führen könne - die monatelangen Probleme, die im Juni 2010 durch Bauarbeiten im Gleisvorfeld verursacht worden waren, haben viele Fahrgäste noch in schlechter Erinnerung. "Dieser Kapazitätsengpass ist aber seit langem bekannt, und er hat nichts mit Stuttgart21 zu tun, sondern mit dem Tunnel", sagt Wurmthaler: "Bei jeder Bahnhofsvariante würde das Tunnelproblem bleiben."

S21 wirkt sich negativ auf S-Bahn-Verkehr aus

Der Bau von Stuttgart21 könnte noch eine weitere Auswirkung auf den S-Bahn-Verkehr haben. Die Firma SMA geht in ihrem Stresstest davon aus, dass künftig die Linien S1 bis S3 an der Haltestelle Schwabstraße enden; bisher fahren sie weiter bis nach Filderstadt, zum Flughafen oder nach Herrenberg. Im Tausch würden künftig die Linien S4 bis S6 diese Streckenabschnitte bedienen. Dieser Linientausch sei notwendig, so SMA, weil die neue S-Bahn-Haltestelle Mittnachtstraße (an der neuen Stadtbibliothek) den Fahrplan durcheinander wirbele und weil ansonsten grundsätzlich ein "konfliktfreies Fahrplankonzept" nicht mehr möglich sei.

Für Felix Berschin ist dieser Linientausch vor allem ein Zeichen dafür, wie schwierig es ist, einen flüssigen S-Bahn-Verkehr zu gewährleisten. Und auch Jürgen Wurmthaler will sich mit dieser Veränderung noch nicht abfinden. Es existiere ein weiterer Fahrplan für die Zeit ab 2020, bei dem der Linientausch nicht notwendig sei, sagt er. Da dieser zweite Fahrplan aber nicht so detailliert ausgearbeitet ist, habe sich SMA beim Stresstest auf das andere Konzept gestützt.

Wurmthalers Forderung ist nun, auch diesen zweiten Fahrplan bis zum Ende auszuarbeiten - erst dann könne man entscheiden, ob der Linientausch unumgänglich sei. Er dämpfte allerdings Erwartungen, eine solche Entscheidung könne in Bälde getroffen werden: "Das sind langwierige Arbeiten, die nicht in wenigen Wochen erledigt sein werden."