Die Vision großer Technikkonzerne prägt das Bild der intelligenten Stadt, in der Kameras und Sensoren die Bewohner auf Schritt und Tritt begleiten. In Europa liegt der Fokus aber eher auf Lebensqualität und Wirtschaftlichkeit.

Stuttgart - Kameras an jeder Straßenlaterne, Sensoren in der Fußgängerzone, Bürger mit Bewegungstrackern: so stellt sich für viele die Vision einer Smart City dar, der intelligenten vernetzten Stadt der Zukunft. Die Idee dahinter: je mehr Daten in einer Stadt erhoben werden – von freien Parkplätzen, die sich beim Autofahrer via Smartphone-App melden, bis zum Stadtpark, der Alarm gibt bei zu trockener Erde – umso effizienter lässt sich das Zusammenleben organisieren. Wäre es nicht toll, wenn Kameras den Verkehrskollaps schon erkennen, bevor es zum Stillstand kommt und den Verkehr entsprechend umleiten? Wenn die Müllabfuhr nur dann kommt, wenn die Tonne wirklich voll ist und entsprechende Sensoren das melden, und damit unnötige Fahrten gespart werden? Wenn einfach alle Daten in einer zentralen Stelle zusammenlaufen und ein Algorithmus statt einer Stadtverwaltung die pragmatischen Entscheidungen trifft?

 

Für manche ist das eine Horrorvision. Nicht nur wegen des ungeklärten Datenschutzes und der Gefahr durch Hackerangriffe. Was macht das Leben in einer Stadt lebenswert? Erst ein Mangel an durchgängiger Kontrolle ermögliche persönliche Freiheit, warnt der US-Soziologe Richard Sennett: „Unordnung kann die subjektive Erfahrung reich und vielschichtig machen.“ Die von der Technologie geplante und gelenkte Stadt hingegen könne zu einer stumpfsinnigen werden.

Das Bild der Smart City wird geprägt von extremen Beispielen wie der Wüstenstadt Masdar City bei Abu Dhabi, die als umweltfreundliche Zukunftsstadt am Reißbrett geplant wurde und an ihrer Riesenhaftigkeit gescheitert ist: Die Kosten nahmen überhand, die erwartete Nachfrage trat nicht ein, so dass die Stadt heute halb fertig und kaum bewohnt ist. Ähnlich ergeht es Songdo in Südkorea. Die Stadt ist zwar seit 2007 bezugsfertig, aber für ein Leben unter technologischer Kontrolle interessieren sich weniger als angenommen: Etwas mehr als 20 000 Menschen leben heute dort und werden von Kameras und Sensoren auf Schritt und Tritt begleitet.

Mancher Konzern verspricht sich ein Geschäft

Auf den ersten Blick erscheint es als Vorteil, wenn eine Stadt neu gebaut wird und nicht – wie im dicht besiedelten Deutschland üblich – mit intelligenter Technologie nachgerüstet werden muss. Hierzulande entstehen deshalb häufig kleine Projekte. Das muss kein Nachteil sein, sagt Karsten Hunger von der Deutschen Kommission für Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (DKE): „Smart City heißt nicht unbedingt, dass alles miteinander vernetzt ist.“ Die erzwungene Kleinteiligkeit schützt uns vor den Fehlern von Masdar City und Songdo. Denn bestehende Städte prüfen sehr genau, welche Vernetzung wirklich sinnvoll und wirtschaftlich ist. Zumal solche Projekte erstmal kosten: „Die Einsparmaßnahmen zeigen sich immer erst nach ein paar Jahren“, sagt Hunger.

Große Smart-City-Ansätze in Europa sind deshalb meist in Forschungsprojekte eingebunden. Beispielsweise die spanische Stadt Santander, die in den vergangenen vier Jahren zum EU-geförderten Smart-City-Labor wurde: 12 000 Sensoren installierten Forscher der Universität Cantabrien in der 180 000-Einwohner-Stadt. Kritiker unken, mittels Technologie wolle man nun Probleme lösen, die bislang keiner Lösung bedurft hätten. Wäre es nicht wirtschaftlicher, wenn ein Mensch den Stadtpark gießt, und die Müllabfuhr nach Plan fährt – als alle Mülltonnen und Blumenbeete mit Sensoren auszurüsten?

In der Tat ist die Vision von Projekten wie Santander nicht die der Städte, sondern der großen Technologiekonzerne, die sich ein lukratives Geschäft versprechen. „Die Idee alles zu vernetzen, ist stark industriegetrieben“, sagt Alanus von Radecki vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. So investiert der amerikanische Technologiekonzern Cisco derzeit in Hamburg, um die dortige Hafencity zu einem intelligenten Stadtquartier zu machen. Dass Cisco dabei keineswegs selbstlos handelt, sondern sich einen Anteil an künftigen Märkten sichern will, zeigt deren Prognose: In einer Studie geht der Konzern in den nächsten Jahrzehnten von 14,4 Billionen Dollar Mehrwert weltweit durch das Internet der Dinge aus, 900 Milliarden davon in Deutschland.

„Jede Stadt ist anders“, sagt der Forscher

Das Projekt „Morgenstadt“ der Fraunhofer-Gesellschaft soll helfen, passende und wirtschaftliche Lösungen für Europas Städte zu entwickeln. Die Forscher haben seit 2011 mehr als 100 Beispiele aus aller Welt analysiert. „Jede Stadt ist anders, jede muss selbst ihren Weg finden und passende Lösungen implantieren“, sagt Projektleiter Alanus von Radecki. Das Haupthindernis seien die noch unbekannten Risiken. „Es fehlen Präzedenzfälle dafür, welche Probleme noch kommen können und ob sich bestimmte Konzepte langfristig lohnen.“

Gerade im Vergleich verschiedener Städte könne man die unterschiedlichen Entwicklungspfade sehen, die zu einer Smart City führen, so von Radecki. In Eindhoven beispielsweise wird ein Quartier EU-gefördert mit verschiedenen Sensoren ausgestattet, deren Daten freigegeben werden. 160 Startups sind aktuell dabei, daraus Dienstleistungen zu entwerfen – denkbar sind beispielsweise Parkpreise abhängig von der Nachfrage wie in San Francisco oder Plattformen, die elektrische Carsharing-Dienste organisieren. Solche sich von unten aufbauende Projekte seien zukunftsträchtiger als von oben verordnete Riesenprojekte, glaubt von Radecki. Denn zentral müsse die Frage sein: „Wie kann man aufgrund der verfügbaren Daten Mehrwert für den Nutzer schaffen?“

Mobilität ist eines der Themen, die Großstädten wachsende Probleme bereiten: Der regelmäßige Kollaps des Berufsverkehrs zwingt zum Handeln. Nur wie bringt man die Menschen weg vom Auto? Indem man ihnen Alternativen aufzeigt, die sie schneller ans Ziel bringen. Als vorbildlich gilt das Projekt „Switchh“ in Hamburg, das alle Informationen über den Verkehr in Echtzeit miteinander vernetzt: Eine Smartphone-App zeigt Pendlern und Reisenden die aktuellen Möglichkeiten, um von A nach B zu kommen – sei es mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Leih-Fahrrädern, Carsharing-Fahrzeugen oder Mietwagen. Oder einem Mix: an verschiedenen Knotenpunkten der Stadt kann man umsteigen und das vorher per App in Echtzeit planen. Fraunhofer-Forscher Alanus von Radecki ist überzeugt, dass sich solche Projekte mit dem Ziel, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren, in vielen Städten durchsetzen werden. Nur nicht auf einen Schlag: „Große Veränderungen kommen schleichend.“

Smart City Stuttgart?

Servicecard
Auch Stuttgart steigt am Punkt der Mobilität zaghaft ins Smart-City-Geschäft ein: Die Stuttgart Service Card, deren Entwicklung vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Rahmen von „Schaufenster Elektromobilität“ gefördert wurde, soll noch in diesem Jahr den VVS-Verbundpass ersetzen.

Verkehr
Die Nutzer erhalten mit der Karte „Polygo“ auch Zugang zu den Carsharing-Flotten von Car2go, Stadtmobil sowie Flinkster und können Fahrräder von Call-a-Bike und Nextbike ausleihen. 20 Prozent konventionelle Autos weniger sollen laut OB Fritz Kuhn dank solcher Mittel perspektivisch in Stuttgart fahren.