Ein intelligentes Haus kann auch Senioren helfen, ihren Alltag zu meistern. Damit könnten sie länger daheim bleiben. Die Smarthome-Anwendungen werden von älteren Menschen gut angenommen. Doch wie frei sind sie in ihren Entscheidungen?

Stuttgart - Lange lag der Fokus beim intelligenten Haus der Zukunft auf spielerischen Anwendungen für technikaffine Nutzer, von der smarten Lichtsteuerung bis zur Überwachung der Luftfeuchtigkeit aus der Ferne. Immer mehr rückt nun aber eine weitere Anwendergruppe in den Fokus: Senioren. Forscher und Politiker erhoffen sich von der Technik eine Lösung der Probleme des demografischen Wandels: wenn Sensoren den Alltag überwachen und intelligente Technik bei diversen Auffälligkeiten Hilfe holt, können ältere Menschen eventuell länger Zuhause leben und teure Pflegeheimplätze können eingespart werden.

 

Diverse vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung geförderte Projekte entwickeln gerade entsprechende Wohnumgebungen, beispielsweise ein Projekt unter anderem der TU Chemnitz, bei dem Sensoren in Alltagsgegenständen wie beispielsweise einer Tasse den behandelnden Ärzten oder Physiotherapeuten melden, wie es um die Beweglichkeit und die Aktivitäten von Patienten in ihren vier Wänden steht. Ein intelligenter Schuh, der gerade an der TU Ilmenau entwickelt wird, kann demente Personen lokalisieren und ihnen helfen, den Weg zu finden. Die Informationen des Systems können zudem ausgewertet werden, beispielsweise wie viel sich die Person bewegt, was für medizinisches Personal interessant sein kann.

Senioren akzeptieren die Technik

Aber wie aufgeschlossen sind die Senioren der Technik gegenüber? Wie steht es um die Privatsphäre, wenn Daten über den Aufenthaltsort oder über Bewegungen der Nutzer an andere weitergegeben werden? „Die Nutzer zeigen eine erstaunlich hohe Akzeptanz“, sagt Matthias Springer von der TU Ilmenau bei einer Präsentation entsprechender Projekte an der Uni Stuttgart. Die begleitende Forschung habe kaum Vorbehalte bei den Betroffenen ergeben: „Das Umfeld ist skeptischer als der Nutzer“, so sein Schluss.

Wie frei diese Entscheidung ist, steht allerdings in Frage, warnen nun Forscher. Schließlich stehen Betroffene häufig vor der Wahl, entweder ins Pflegeheim zu ziehen oder eine gewisse technische Überwachung zu akzeptieren. „Ich würde sagen, wenn jeder meiner Schritte getrackt wird, entsteht schon ein gewisser Grad an Unfreiheit“, sagt Antonio Krüger vom Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken. Aber inwiefern ist diese Unfreiheit unumgänglich? Gemeinsam mit Technikphilosophen und Designern arbeiten die Informatiker des DFKI und der Uni Stuttgart an einem neuartigen Konzept. Dabei sollen Menschen mit eingeschränkter kognitiver Leistungsfähgikeit mittels „ambienter Notifikationen“ sanft an Dinge erinnert werden, die sie sonst vielleicht vergessen. Beispielsweise könnte das Wasserglas leuchten, wenn sie zu wenig getrunken haben oder Vogelgezwitscher ertönen, wenn das System den Eindruck hat, der Bewohner sollte mal wieder spazieren gehen. „Handlungsoption statt Handlungsanweisung“ nennt Krüger das Konzept, das auf einem selbst lernenden System basiert, das erkennt, wenn Nutzer von ihren Gewohnheiten abweichen und dann entsprechende ambiente Hinweise gibt. Auf diese Art werden die Betroffenen indirekt erinnert, aber nicht gedrängt: die Entscheidung liegt nach wie vor bei ihnen selbst.

„Wir stellen uns die Frage, was man Nutzern an die Hand geben kann, damit sie länger ohne Bevormundung in ihrem Alltag leben können“, sagt die Berliner Industriedesignerin Katina Sostmann, die ebenfalls am Projekt ambienter Notifikationen beteiligt ist. Sie ist überzeugt, dass der Weg von der technischen Seite her oft nicht zu optimalen Lösungen für die Betroffenen führt. So werden Notallsysteme ihrer Erfahrung nach häufig nicht genutzt, weil Senioren nicht wollen, dass alle sehen, dass sie ein Problem haben. Zudem funktioniere so ein Konzept nur, wenn Helfer Zugang zur Wohnung haben. „Viele wollen aber nicht anderen ihren Schlüssel geben.“ Deshalb müsse der Weg zu sinnvollen Lösungen direkt bei der Zielgruppe und deren Bedürfnissen beginnen.

Technische Lösungen für den Alltag

Sostmann erforscht, wie Senioren aktuell ihren Alltag meistern, um daraus Ideen für technische Lösungen zu entwickeln. „Wir beobachten die Alltagshacks der Leute“, sagt sie. Eine Seniorin beispielsweise überprüfe immer, ob sie die Tabletten genommen habe, indem sie schaue, ob die leere Packung im Müll liege. „Das kann ebenso eine Notifikation sein wie ein leeres Wasserglas“, sagt Sostmann. Diese „natürlichen“ Erinnerungen zu stärken ist aus ihrer Sicht der richtige Weg: „Wir schauen, wie man technische Notifikationen in der echten Welt verorten kann.“

Inwiefern das am Ende zu leuchtenden Wassergläsern führt, steht für Sostmann noch in den Sternen: „Wenn man den Dingen eine zweite Ebene an Leben einhaucht, kann das auch unheimlich sein.“ Wie das bei den Betroffenen ankommt, müssen Nutzerstudien erst noch zeigen. Und auch die Wissenschaft fragt sich, ob sie auf dem richtigen Weg ist: wie frei ist der Mensch wirklich, wenn ihn die Technik anstupst, etwas zu tun? „Dabei treten eine Reihe ethischer Fragen auf“, sagt die Stuttgarter Philosophin Cathrin Misselhorn, die in das Projekt eingebunden ist. Schließlich fühlen sich solche Entscheidungen, die durch ambiente Notifikationen ausgelöst werden, womöglich wie eigene an. „Einem expliziten Befehl kann ich mich einfacher widersetzen“, meint sie.

Inwiefern handelt es sich bei dieser Art des Nudging (von engl. anstupsen) also um Manipulation? „Es leuchtet ein, dass man das als Bevormundung oder Paternalismus empfinden kann“, so die Philosophin. Anstatt das aus dem Lehnstuhl zu beantworten, sei es von daher wichtig rauszugehen und Betroffene zu befragen – und ebenso zu schauen, wie es in anderen Lebensbereichen mit vergleichbaren Methoden steht. „Zumindest akzeptieren wir ähnliches in anderen Bereichen, die problematischer sind“, sagt Misselhorn: „beispielsweise in der Werbung.“ Während es dort darum gehe, jemanden zum Kauf eines Produktes zu bewegen, sei das Ziel ambienter Notifikation, die Autonomie zu stärken. Ihre Hypothese zu den laufenden Forschungsarbeiten: „Man kann das richtig ausgestaltet aus meiner Sicht schon einsetzen.“

Nicht zuletzt müsse man bei der Frage nach der Willensfreiheit auch die individuellen Voraussetzungen des Einzelnen betrachten: wie frei sind beispielsweise Demenzkranke in ihrer Entscheidung? „Das ist eine philosophisch interessante Frage“, sagt Misselhorn, „es gibt sicherlich graduelle Unterschiede.“ Das wird sie im Rahmen des Projekts noch genauer betrachten – eine ungewöhnliche Frage in ihrem Fach: Nur selten beschäftige sich die Philosophie mit psychisch beeinträchtigten Menschen. Eine andere Art der smarten Betreuung von Senioren stellt nicht nur die Technik vor Herausforderungen.