Die Fotofunktionen von Handys sind nicht mehr nur für Schnappschüsse da. Künstliche Intelligenz revolutioniert die Kameratechnik. Welche Entwicklungen sind für die Zukunft entscheidend?

Barcelona - In einer vernetzten Welt haben Überraschungen Seltenheitswert. Als Samsung auf dem World Mobile Congress in Barcelona die neuen Galaxy-Modelle S9 und S9+ vorstellte, waren die meisten Informationen schon durchgesickert: diverse Detailverbesserungen, mehr Leistung, eine verbesserte künstliche Intelligenz. Wirklich spürbar wird die Evolution der Edelhandys ohnehin erst beim Einsatz im Alltag werden. Und doch wirft das Flaggschiff-Duo ein Schlaglicht auf die Zukunft einer Branche, in der echte Innovationen meist erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind. Diese Zukunft steckt in der Kamera. Denn Fotofunktionen sind längst nicht mehr nur für Schnappschüsse da. Sie sind ein wichtiger Teil der Kommunikation geworden.

 

Die Menschheit teilt sich zunehmend visuell mit, über auf sozialen Netzwerken geteilte Fotos, live übertragene Videos und Selfies, mittels derer der moderne Mensch sein Selbstbild entwirft. Das Handy wird zum dritten Auge, mit dem wir nicht nur die Welt, sondern auch uns selbst wahrnehmen. Die neuen Galaxys verfügen unter anderem über eine Super-Slow-Motion-Videofunktion. Damit soll man, so der Hersteller, den Alltag „in packenden Zeitlupenvideos mit 960 Bildern pro Sekunde festhalten“. So geht Entschleunigung im Jahre 2018. Unterstützt wird die Funktion durch eine automatische Bewegungserkennung, die Aufnahme kann mit Hintergrundmusik unterlegt oder in animierte Porträts umgewandelt werden: Der Nutzer wird zu seinem eigenen Emoji.

Hinter alldem steckt intelligente Software, die im Falle von Samsung Bixby heißt. Sogenannte Deep-Learning-Technologien sammeln ständig Informationen über die Umgebung und blenden sie bei Bedarf live ein. Wer wissen möchte, wie viele Kalorien er sich damit auf die Hüften packt, muss nur ein Foto von dem Stück Kuchen machen, das er gleich verzehren will. Fremdsprachige Texte scannt man ein und lässt sie übersetzen.

Neue Technologien machen Kameras intelligenter

Im einem Hintergrundgespräch auf der Samsung Developer Conference 2017 in San Francisco entwarf Samsung-Vizepräsident Thomas Ko die Vision einer „Intelligenz der Dinge“. Die Software soll demnach nicht mehr nur auf das Smartphone begrenzt sein, sondern ein Netzwerk über möglichst viele Geräte hinweg spannen und in Echtzeit mit dem Internet sowie mit Alltagsgeräten wie Kühlschränken oder Fernsehern kommunizieren. Smart Things nennt Samsung diese globale, autonom lernende Infrastruktur, deren „Gehirn“ Bixby darstelle. Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, will sich Samsung zunehmend Drittherstellern öffnen. Laut Ko ist das der erste Schritt zur „Demokratisierung des Internets der Dinge“, die man nur gemeinsam mit anderen Anbietern bewerkstelligen könne. Eine Kooperation mit Google ist erst der Anfang.

Der Android-Konzern stellt in Barcelona Technologien vor, die Smartphone-Kameras intelligenter machen sollen. Arcore, eine spezielle Software für Entwickler, wird es Apps ermöglichen, Umgebungen zu interpretieren und Informationen direkt in das von der Kamera erfasste Livebild einzublenden. Eine App namens Google Lens steht für Nutzer der englischsprachigen Version von Google Fotos auf Android und iOS bereits bereit. Damit kann man beispielsweise eine schnelle Suchanfrage starten, welcher Rasse der Hund angehört, der gerade vor einem über die Straße läuft. Mit dem Google Assistant lassen sich Erinnerungen auf Grundlage eines Ortes erstellen. Zu Hause sagt man dann dem Google-Home-Lautsprecher einfach, dass man im Supermarkt noch Milch einkaufen muss, und wird vor Ort automatisch daran erinnert.

Während die Realität mittels Augmented Reality „erweitert“ wird, verschmilzt die Hardware immer mehr mit der Umgebung. Randlose und über die Seitenkanten hinweg gezogene Displays wie bei Samsungs Galaxy-Modellen sind erste Anzeichen dieser Grenzüberschreitung. Bildschirme, die sich knicken und zusammenfalten lassen, markieren das Ende von umständlichen Klappmechanismen und der Trennung von Monitor und Tastatur. Bei LG arbeitet man derzeit fieberhaft an zusammenrollbaren Displays. Amazon will seine Sprachassistentin angeblich in eine Brille integrieren. Über ein eingebautes Mikrofon könnte man Alexa dann nach dem Weg fragen oder ein Taxi rufen. Dafür müsste man nicht mal die Adresse des aktuellen Aufenthaltsorts wissen – der mobile Begleiter kennt ihn auch so.

Die Firma LG arbeitet an einrollbaren Displays

Schon seit einiger Zeit gibt es den Trend des „quantified self“, frei übersetzt „vermessenes Selbst“. Die Idee dahinter ist, Körperdaten rund um die Uhr zu überwachen und auszuwerten. Das tun smarte Uhren wie die Apple Watch und Fitness-Armbänder wie Huawei Fit oder Vivo Fit von Garmin schon heute. Apps messen die Herzfrequenz, überwachen den Schlaf und benutzen integrierte LED-Leuchten, um mittels Pulsoxymetrie den Sauerstoffgehalt im Blut zu messen. Sogar der Blutzucker kann ermittelt werden. Momentan nutzen vor allem Sportler solche Funktionen. Mit Wearables – intelligenter, am Körper getragener Kleidung – könnte absehbar jeder seine Lebensdaten auf Schritt und Tritt überwachen. Sogar über Implantate wird nachgedacht. Ärzte hätten damit umfassendere Informationen über ihre Patienten als jemals zuvor, in Notfällen wäre schnell Hilfe zur Stelle. Ungeklärt ist allerdings, wie sich solch sensible Daten zuverlässig schützen lassen.

Vieles davon mag heute noch Spekulation sein. Klar ist aber, dass Handys immer mehr die Interpretation der Wirklichkeit übernehmen. Schon jetzt gibt es Apps, die Schnappschüsse ins Internet schicken, wo sie mittels spezieller Algorithmen automatisch bearbeitet werden. Zum Einsatz kommt dabei auch künstliche Intelligenz, die das Foto verbessert, mit Filtern versieht oder in ein Gemälde verwandelt. Selbst diesen Umweg wird man wohl bald nicht mehr gehen müssen, die Handys werden das ganz selbstständig tun. Welche Folgen das für unsere Wahrnehmung der Realität hat, kann man nur erahnen. Wer mit seinem eigenen Äußeren unzufrieden ist, könnte dann statt in den Spiegel zu schauen einfach auf automatisch geschönte Selfies zurückgreifen.

Neue Technik für kleines Geld

Blade V9

Eine gute Ausstattung muss nicht Hunderte von Euro kosten. Das zeigen beim Mobile World Kongress in Barcelona gleich mehrere Hersteller. ZTE ist dort unter anderem mit dem Blade V9 vertreten. Wie bei den meisten aktuellen Geräten ist das Display fast randlos. Eine Low-Light-Kamera soll auch nachts oder bei schlechtem Licht brillante Bilder ermöglichen. Sie bietet 16 Megapixel mit zwei Objektiven, eine größere Blende für mehr Licht und ein 6P-Objektiv für weniger Verzerrungen Der Preis liegt bei 269 Euro.

Honor 9 Lite

Ein Gerät für die Selfie-Generation: Beim Honor 9 Lite verfügt nicht nur die Haupt-, sondern auch die Frontkamera über eine Doppellinse mit 13 + 2 MP. Die Kamera-App hat einen speziellen Selfie-Modus, dank diverser Aufnahmeassistenten gelingen auch Laien ausgezeichnete Bilder. Die glänzende Rückseite lässt sich zudem auch als Spiegel benutzen. Das ist nicht nur praktisch, wenn man ein Selfie schießen möchte. Im Inneren steckt Technik des Mutterkonzerns Huawei, ein zweiter SIM-Karten-Slot lässt sich auch für Speicherkarten verwenden. Preis: ca. 220 Euro.

TH701

Die Traditionsfirma Thomson steigt ins Handygeschäft ein. Das TH701 (knapp 200 Euro) gehört zu den ersten auf dem MWC gezeigten Modellen. Wert legt der Hersteller nach eigenem Bekunden insbesondere auf Ausdauer und Sicherheit. Deshalb wurden ein 3200-mAh-Akku und ein Fingerabdruckleser integriert. Das Modell lässt sich nach Qi-Standard drahtlos aufladen, zum Lieferumfang gehört ein Induktionsladegerät. Die Kamera kombiniert zwei Sensoren mit 16 + 2 MP. Wie viele aktuelle Geräte hat das 5,9-Zoll-Display ein längliches 18:9-Format.