Die „Anne Will“-Talkshow vor der nächsten Bund-Länder-Konferenz macht etwas Hoffnung, dass der Dauer-Lockdown bald ein Ende hat. Eine Rolle spielen könnten dabei: Die App „luca“, Schnelltests und eine Strategie des nordrhein-westfälischen Corona-Expertenrats.

Volontäre: Chiara Sterk (chi)

Berlin - Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte in der Talkshow „Anne Will“ am Sonntagabend einen konkreten Plan für das Treffen von Bund und Ländern am Mittwoch, kritisierte die Corona-Warn-App und lobte die „luca“-App. Auch Smudo, Sänger der Fantastischen Vier, der die „luca“-App mitentwickelt hat, erwartete konkrete Öffnungsstrategien. Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar lobte „luca“ und kritiserte die Corona-Warn-App. Medizinethikerin Sabine Woopen empfahl der Bundesregierung einen Strategiewechsel und betonte wie auch Yogeshwar, sich nicht aufs Impfen verlassen. Kanzleramtschef Helge Braun verteidigte die Corona-Warn-App und verspricht kostenlose Schnelltests.

 

Die App „luca“ soll die Infektionsnachverfolgung erleichtern. Durch QR-Codes wird beim Betreten und Verlassen von Restaurants, Kinos, aber auch privaten Treffen zuhause ein- und ausgecheckt und so Daten übertragen. Die App funktioniert wie die Corona-Warn-App anonym. Papierzettel mit Kontaktdaten in Restaurants, wie es sie letzten Sommer gab, sollen so der Vergangenheit angehören. Ihr Vorteil: Im Gegensatz zur Corona-Warn-App des Bundes soll eine Verschlüsselung sicherstellen, dass die Daten nur Berechtigten in die Hände fallen. Die Nutzer können ihre Daten freigeben, sodass die Gesundheitsämter diese auswerten können. Schwierig ist es bislang noch, die App an die lokalen Ämter und die Infrastruktur anzubinden.

Yogeshwar kritisiert Kosten der Corona-Warn-App

Wissenschaftsjournalist Yogeshwar bemängelte die hohen Kosten der Corona-Warn-App, die sich bei rund 67 Millionen Euro belaufen. Kosten, die vor allem der Steuerzahler zu tragen habe. Braun wies das von sich, weil das gegenseitige Scannen des QR-Codes im Bus etwa nicht umsetzbar sei. Wieso seien dann Features, wollte Yogeshwar weiter von Kanzleramtschef Braun wissen, wie das QR-Code-Scannen darin nicht enthalten? Braun konterte, wieso alles vom Staat angeboten werden müsse – lieber solle man sich freuen, dass aus der Bevölkerung wie etwa mit „luca“ tatkräftig Unterstützung komme. Der CDU-Politiker betonte, dass beide Apps ihren Nutzen haben. Ein Zuviel an Apps solle möglichst verhindert werden, befand aber Yogeshwar. Die Ethikerin Woopen hielt darüber hinaus die Teststrategie für problematisch. So würden mit den vorhandenen 800 Millionen nicht genug Schnelltests für die breite Bevölkerung in diesem Jahr zur Verfügung stehen. Auch da wurde Braun nicht müde, zu betonen, dass es das Ziel der Konferenz am Mittwoch sei, zu vereinbaren, dass jeder Schnelltests machen könne. Und betonte, dass die Tests allerdings nur freiwillig seien. Was „luca“ angeht, betonte Smudo, dass es nicht darauf ankomme, die App an die einheitliche Bundessoftware anzubinden, wie Braun es vorhat.

Aus unserem Plus-Angebot: Corona-Selbsttests für Tübinger Schüler – die Blaupause fürs Land?

In einem Punkt aber waren sich alle einig: Dass es Öffnungsstrategien brauche, bei der nächsten Konferenz am Mittwoch konkrete Konzepte beschlossen werden müssen. Wie Leutheusser-Schnarrenberger forderte, müsse aber eine sichere Perspektive her, Öffnungen funktionieren nur mit durchdachten Konzepten. Denn wie Moderatorin Anne Will betonte, Schnelltests sind nicht massenhaft vorhanden, nur wenige bisher geimpft. Wie auch Braun und Yogeshwar argumentierte auch Leutheusser-Schnarrenberger, dass der Stimmung im Land folgend Öffnungen angestrebt werden müssen. Der Wissenschaftsjournalist fügte hinzu: „Die wirkliche Herausforderung ist es, ein Jahr später mit mehr zu kommen als nur mit Abstandsregeln, Kontaktbeschränkungen und Lockdown.“ Konsens herrschte auch dahingehend, dass noch immer nur bei jeder sechsten Infektion der Ursprung nachverfolgt werden könne. Es brauche mehr Tempo, besonders was die Kontaktnachverfolgung betrifft. Auch was die Corona-Warn-App angeht, fanden die Gäste beinahe alle, dass sie Mängel habe. Leutheusser-Schnarrenberger sprach die Datenschutz-Problematik an, die sie in der „luca“-App durch eine Verschlüsselung und eine Einwilligung zur Weitergabe der Daten besser bewertet.

Neu: Nicht-Smartphone-Nutzer miteinschließen

Woopen, die dem Corona-Expertenrat in Nordrhein-Westfalen angehört, kündigte an, ihr Rat werde Bund und Ländern am 0+1. März einen Strategiewechsel vorschlagen. So sollten Öffnungen nicht etwa an Zeitpunkte und Bereiche geknüpft sein, sondern an Schutzkonzepte, die über den Status quo hinausgehen. Die Strategie für Impfen, Schnelltest und Selbsttests müsste optimiert werden, begleitet von einer Informationskampagne und man müsse auf eine digitale Plattform in der Kontaktnachverfolgung setzen. Die solle täglich Infektionsketten nachverfolgen können, sowohl für die Gesundheitsämter als auch die Nutzer einfach sowie mit dem Datenschutz vereinbar sein. Doch auch Fairness dürfe nicht außer Acht gelassen werden: Tags etwa, die am Handgelenk oder am Gürtel getragen werden können, können das übernehmen – und sollten gerade in Betrieben, Friseursalons und Restaurants ausliegen, erklärte Woopen.

Yogeshwar und Woopen mahnten, sich nicht aufs Impfen allein zu verlassen: „Wir sind ja gar nicht sicher, ob nicht irgendwann eine Mutation kommt, bei der die Impfstoffe nicht greifen und bis die Impfstoffe greifen, brauchen wir ein Sicherheitsnetz.“ Dafür forderte die Medizinethikerin, dass in die Produktionskapazitäten der Tests investiert werden müsse. Und ergänzte, dass dabei allerdings zumindest europäisch, wenn nicht international gedacht werden müsse – das würde dann auch Reisen wieder erlauben. Da bleibe nur zu hoffen, dass das Testen besser laufe als das Impfen, fügte Leutheusser-Schnarrenberger hinzu. Yogeshwar resümierte, dass die Tests Freiheit zurückgeben würden. Und schlug vor, eine Art Bundesliga-System zu schaffen – um so nach dem Prinzip von No-Covid Anreize zu schaffen, sich weiter an die Maßnahmen zu halten. Denn irgendwann sei der Lockdown nicht mehr vermittelbar.