Fotofilter bei Instagram oder Snapchat hübschen die Haut auf und lassen die Augen größer scheinen. Nicht schlimm, denken sich viele – doch Forscherinnen warnen.

Stuttgart/Boston - Fotofilter können so praktisch sein. Ein paar Unreinheiten auf der Haut, dunkle Schatten unter den Augen, Fältchen auf der Stirn. Das eigene Selfie aufzuhübschen ist auf sozialen Plattformen wie Snapchat oder Instagram kein Problem mehr: Digitale Filter sind bei den Apps integriert. Ein Fingerwisch, und das eigene Selbst hat ein bisschen weißere Zähne, ein wenig wenig größere Augen und vollere Lippen.

 

In Zeiten, in denen Selfies allgegenwärtig sind und die Instagram-Feeds mit immer noch perfekteren Bildern geflutet werden, hat so eine kleine Korrektur ihren Reiz. Es geht schließlich um Likes und Follower. Nur: Die ständige Suche nach dem idealen Bild hat ihren Preis, warnen Forscher.

„Die Allgegenwärtigkeit von aufgebesserten Bildern kann das eigene Selbstbewusstsein beeinträchtigen“ schreiben Forscherinnen von der Boston University School of Medicine im Fachblatt „Jama Facial Plastic Surgery“. Filter hätten die Wahrnehmung und Standards von Schönheit verändert. Die Gefahr dabei sei, dass man sich selbst schlecht und minderwertig fühlt, weil man im realen Leben eben nicht so aussieht wie auf den gefilterten Fotos. Das könnte sogar zu einer Dysmorphophobie führen – also einer Ablehnung des eigenen Körpers. Dieses Phänomen wird deshalb auch als „Snapchat Dysmorphophobie“ bezeichnet.

Wer Selfies aufhübsche, habe häufiger Probleme mit dem eigenen Körper

„Der Trend ist alarmierend, weil gefilterte Selfies dazu führen, dass gerade junge Menschen den Bezug zur Realität verlieren“, schreiben die Forscherinnen von der Boston University. „Die Bilder vermitteln einen unrealistischen Schönheitsstandard und wecken die Erwartung, dass wir immer perfekt aussehen müssen.“ Vor allem jungen Frauen würden soziale Medien vermehrt für Selbstbestätigung nutzen. Eine aktuelle US-Studie zeigt: Junge Menschen, die ihre Fotos aufhübschen, haben stärkere Probleme mit ihrem eigenen Körper – und messen Figur und Körpergewicht zu viel Bedeutung zu.

Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper hat Folgen: Betroffene sind verunsichert, ziehen sich sozial zurück, können sogar depressiv werden oder Essstörungen bekommen. Und: Mit Dysmorphophobie geht oft der Wunsch zu einer Schönheitsoperation einher. Nach Einschätzung der Autorinnen von der Boston University unterziehen sich gerade junge Menschen in den USA solchen Operationen um so auszusehen wie die gefilterte Version ihrer selbst.

So zeigte eine weitere, kürzlich veröffentlichte Befragung unter Schönheitschirurgen in den USA, dass mehr als die Hälfte von Patienten oder Patientinnen um eine Operation gebeten wurde, die die eigene Erscheinung in Selfies verbessern würde. Dieser Wert sei deutlich höher als noch 2015. Schönheits-OP-Patienten wollen den Medizinern zufolge nicht mehr so häufig aussehen wie Stars, sondern eben wie retuschierte Versionen von sich selbst, mit volleren Lippen, größeren Augen oder einer schlankeren Nase.

Andere Forscher warnen vor Pathologisierung

Über Menschen, die viele Selfies von sich selbst machen, wurde auch in der Vergangenheit schon viel geschrieben. So untersuchten Forscher von der Nottingham Trent University und der Thiagarajar School of Management 2017 unter hunderten Facebook-Nutzern aus Indien das Phänomen „Selfitis“. Und folgerten: Diejenigen, die extrem viele Selfies von sich posteten, hätten ein psychisches Problem. Gründe dafür seien vor allem die Suche nach Bestätigung und Aufmerksamkeit und die Verbesserung der eigenen Stimmung.

Andere Forscher warnten hingegen davor, das häufige Knipsen von Selfies vorschnell zu pathologisieren. Letztlich könnten nur Psychologen oder Ärzte im Einzelfall feststellen, ob jemand, der viele Selfies von sich selbst auf sozialen Plattformen im Netz postet, tatsächlich ein Problem habe.

Störungen der Körperwahrnehmung seien jedenfalls nicht neu, sagt Thomas Schläpfer, Leiter der Abteilung für Interventionelle Biologische Psychiatrie am Universitätsklinikum Freiburg. Die „Snapchat Dysmorphophobie“ ist also nur eine andere Form von einem bekannten Problem. Aber: „Durch die gestiegene Nutzung von Handys rückt das Krankheitsbild mehr in den Fokus.“ Eine genaue Zahl der Erkrankungen gebe es nicht, so Schläpfer. Die Dunkelziffer sei hoch. „Entweder melden sich die Betroffenen nicht beim Arzt, oder sie laufen unter dem Deckmantel Depression mit.“

Nur wenige Ärzte kennen Schläpfer zufolge das Krankheitsbild oder diagnostische Kriterien. Handlungsbedarf sieht er deshalb vor allem in der Ärzteausbildung. „Die Folge der oft fehlenden Kenntnis der Ärzte ist, dass Patienten nicht richtig behandelt werden“, sagte Schläpfer. Dabei könne man die Störung gut behandeln: Mit einer Psychotherapie. Eine Schönheitsoperation, schreiben auch die US-Forscherinnen, könne die Symptome bei einer körperdysmorphen Störung sogar verschlimmern.