Statt Aktien oder Immobilien investieren immer mehr chinesische Millennials in limitierte Luxus-Sneaker. Nun warnt sogar die Chinesische Zentralbank vor einer – ökonomischen – Blase.

Peking - Wer das Solestage im hippen Viertel Sanlitun von Peking betritt, kommt sich vor wie in einem Turnschuh-Museum: Bis zur Decke türmen sich exklusive Sneaker-Modelle, viele von ihnen teurer als rare Rolex-Uhren. Etwa die Air Jordan 1 Retro in Maisgelb: Kaufpreis 18 000 Yuan, umgerechnet 2300 Euro. Die wirklich exklusiven Modelle kosten geschätzt das Zehnfache – und stehen hinter einer gläsernen Vitrine. Dort thronen beispielsweise die Turnschuhe aus dem 80er-Jahre-Kultfilm „Zurück in die Zukunft“ oder die vom Rapper Eminem designerisch bearbeiteten Air Jordan 4 Retro. „Von dem Modell wurden weltweit nur zehn Paar produziert“, sagt der 25-jährige Jerry, der tagsüber in der Finanzbranche arbeitet.

 

In seiner Freizeit zieht es den Sneakerliebhaber – dunkler Kapuzenpulli, randlose Streberbrille – allwöchentlich ins Solestage, um die neuesten Importe aus dem Ausland zu begutachten. „Ich sammle selber Sneaker, das macht mich glücklich und ist Ausgleich zum ganzen Arbeitsstress“, sagt er. Vergangenes Jahr habe er sich 30 Modelle für seine Sammlung gekauft – und Dutzende weitere Schuhe, um mit ihnen zu handeln.

Ständig auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten

Mehr als 400 Millionen Chinesen zählen wie Jerry zur sogenannten Millennials-Generation (von Millennium: Jahrtausendwende), der in den 80er und 90er Jahren Geborenen. Die meisten von ihnen sind kaufkräftig, digital bewandert und unternehmerisch im Denken. Ständig auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten mit möglichst hohen Renditen sind für sie die limitierten Sneaker-Modelle die derzeit heißeste Ware.

Populär gemacht durch amerikanische Basketballstars und US-Rapper haben die bequemen Sport- und Freizeitschuhe in den 80ern weltweit ihren Siegeszug angetreten. Seit einigen Jahren sind auch Luxusmarken wie Fendi und Balenciaga auf den Zug aufgesprungen und produzieren hochwertige Freizeitschuhe in stark limitierter Anzahl. China bietet die ideale Käuferschaft: Bereits jetzt ist das Land mit 8,5 Milliarden Euro Umsatz der zweitgrößte Markt für Sportschuhe in der Welt.

„Den Trend mit Schuhen zu handeln gibt es schon seit Jahren, aber wirklich populär ist es erst vor Kurzem geworden“, sagt eine 29-jährige Modehändlerin aus Peking. „Einer der Gründe sind die erfolgreichen Marketingkampagnen der Sportmarken.“

Sie handeln mit Sneakern ähnlich wie mit Aktien

Je exklusiver der Sneaker, desto höher liegen die Chancen auf eine rasche Wertsteigerung. Im vergangenen Dezember machte ein auf 223 Paar limitierter Sneaker des US-Sportherstellers Nike Schlagzeilen. Dessen Wert stieg noch am ersten Verkaufstag auf chinesischen Online-Börsen um sagenhafte 6600 Prozent.

Im Grunde ist das Handeln mit Sneakern nicht viel anders als am Aktienmarkt. Jerry kramt sein Smartphone heraus, auf dem er mehrere chinesische Sneaker-Apps installiert hat. Die führende von ihnen, Poizon, ist dieses Jahr zum Unicorn (Einhorn) aufgestiegen, so nennt man an der Börse Firmen, die mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werde. Mit Poizon ordert Jerry limitierte Schuhmodelle aus Übersee, lässt sie sich nach Peking liefern und verkauft sie dann innerhalb Chinas weiter.

Seine Kunden findet er über We-Chat, einer in China allgegenwärtigen App, einer Mischung aus Facebook, Online-Banking und Ebay. „Im Grunde mache ich nur Taschengeld“, sagt der Mittzwanziger. Immerhin 50 Euro Gewinn kassiert er im Schnitt pro Paar.

Überhitzten Märkte sind schon öfter zusammengebrochen

Die chinesischen Online-Händler bedienen sich eines gesetzlichen Schlupflochs, um die Nachfrage zu stimulieren und den Preis der Schuhe in die Höhe zu treiben. Innerhalb von 30 Minuten können die meisten Käufe nämlich wieder storniert werden. Viele Händler kreieren daher mehrere Online-Accounts und setzen in rascher Abfolge immer höhere Gebote für die limitierten Schuhpaare. Deren Wert kann sich so manchmal in einer halben Stunde verdreifachen.

Der Sneaker-Wahn der chinesischen Millennials hat solche Ausmaße angenommen, dass vor Kurzem gar die Chinesische Volksbank in Shanghai eine Warnung ausgesprochen hat: Sie alarmiert die Finanzagenturen der Stadt vor einer Spekulationsblase, einem kollabierenden Schneeballsystem.

In der Vergangenheit sind solch überhitzte Märkte schon öfter zusammengebrochen. Während Feiertagswochen haben etwa Spekulationen zu absurd hohen Preisen von Meeresfrüchten geführt. Im September wurde ein gewöhnlicher Schlüsselanhänger von Ikea auf Online-Plattformen für mehr als 150 Euro gehandelt. Manchmal trifft die Spekulationswut der chinesischen Jugend auch Werbegeschenke, die plötzlich zu horrenden Summen wiederverkauft werden.

Genau wie andere Spekulationsobjekte birgt jedoch auch der Sneakerhandel große Risiken. „Natürlich mache ich auch manchmal Verluste beim Weiterverkaufen“, sagt Jerry, „der Wert eines Sneaker ist ja letztlich nicht real. Er kann mir etwas bedeuten und für jemand anderen vollkommen wertlos sein.“

Tipps für Sammler

Information
: Sneaker-Magazine und -Blogs, etwa das „Overkill Blog“, das „Deadstock Sneaker Blog“ und das Online-Magazin Sneakerlover.de, geben Auskunft über die Beliebtheit unterschiedlicher Marken und Modelle sowie aktuelle Releases.

Kanäle:
Ob im Store oder online: Zu wissen, wie ein Release funktioniert – also über welche Kanäle die Schuhe wann angeboten werden, ob man sich dafür vorab registrieren muss und wie dann der eigentlich Kauf abläuft –, hilft dabei, sich die begehrtesten Modelle zu sichern.

Portale:
Auf Portalen wie StockX oder Klekt kann man sich über die Preisentwicklung informieren. Auch die Sneaker-Suchmaschine Everysize.de ist in jedem Fall einen Besuch wert.

Verkauf
: Beim Kauf und Verkauf der Sneaker sind Geschick und Glück gefragt, um zum kleinen Preis zu kaufen und teuer wieder zu verkaufen. Wer stets gut informiert ist, hat einen Vorteil.