Social TV und Second Screen sind die Schlagworte der Stunde bei den Sendern. Der Kultursender treibt seine Digitalstrategie vorwärts und präsentiert sich nun „hundertprozentig bimedial“.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Social TV und Second Screen sind die Schlagworte der Stunde bei den Sendern. TV und Web zu verschmelzen und das Fernsehen als digitales Gemeinschaftserlebnis zu inszenieren, darum geht es. Nur auf dem Sofa lümmeln, Dramen, Shows oder News konsumieren und dann wieder ausschalten, das war einmal. Die neuen „Digital Natives“ machen es sich, das belegen Studien, immer öfter mit PC, Tablet oder Smartphone vor dem Second Screen, dem zweiten Bildschirm, in den virtuellen Wohnzimmern bequem, welche die TV-Sender ihnen eingerichtet haben.

 

Arte nennt dieses Wohnzimmer jetzt „Galaxie“, und Florian Hager, der stellvertretende Programmdirektor des deutsch-französischen Kanals erklärt, was er darunter versteht: „Eine Fernsehsendung hat nicht mehr nur ein Leben, sondern drei: vor der Sendung, während der Sendung und nach der Sendung.“ Will heißen: zu den Programmangeboten gibt es Online-Vorpremieren und Zusatzinformationen im Netz, es gibt Live-Streams, die traditionelle TV-Ausstrahlung, aber auch die Sender-Mediathek fürs so genannte Catch-up-TV, und es gibt die sozialen Netzwerke zur Zuschauer-Rückkopplung.

Wenn die Serienheldin anruft

Arte hat sich von Anfang an als Pionier in der Erschließung der im munteren Wechselspiel der Präfixe mal bi-, cross- oder transmedial genannten Wildnis gesehen, doch die großen öffentlich-rechtlichen Sender wie auch die Privaten holen mächtig auf, konzipieren interaktive „Tatort“-Folgen, Internet-Krimis wie „Wer rettet Dina Foxx?“ oder betreiben emsig Facebook-Seiten von Soap-Helden. Um weiterhin einen Schritt voraus zu sein, hat Arte nun seine „bimediale Strategie“ vorangetrieben. Wie konsequent die Straßburger die Sache anpacken, belegt von Samstag an eine neue Serie. Sie heißt „About: Kate“ und dreht sich um eine Frau Ende zwanzig, die sich im Nirwana zwischen der realen und der virtuellen Welt verheddert hat und in einer Berliner Nervenklinik ihre Identität wieder finden will. Arte spricht von einem „Experiment zur psychischen Verfassung im digitalen Zeitalter“.

Das, was in vierzehn Episoden im TV geschieht, ist mit dem, was sich im Netz tut, enger verwoben als je zuvor. So kann der Zuschauer auf der Serien-Website die digitalen Spuren Kates (Natalia Belitski) verfolgen, er kann auf ihrer Facebookseite mit ihr kommunizieren und sich sogar mittels einer App mobil mit der Serie verbinden und sich, parallel zu Kate, mittherapieren. „Wie sieht es eigentlich bei dir aus?“, fragt ihn die App. Oder „Wofür hast du dich das letzte Mal selbst bemitleidet?“

Der Clou: es kann vorkommen, dass der Smartphone-Nutzer plötzlich einen Anruf von der Protagonistin bekommt. Dazu hat Arte das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme eine Technologie entwickeln lassen, welche die App mit der Serie synchronisiert. Sie erkennt über ein Tonsignal Sequenzen der Serie und verknüpft sich automatisch mit ihr. Zuschauer – Internetnutzer – Zuschauer: Bei Arte, so stellen sich Leute wie Hager das vor, pendelt das ständig hin und her. Die Arte-Präsidentin Véronique Cayla formuliert beim Pressetermin in Straßburg charmant: „Wir wollen den Zuschauern helfen, glückliche TV-User zu werden“. Freilich fehlt bei „About: Kate“ auch die direkte Partizipation am TV-Geschehen nicht. Das Zwitterwesen Zuschauer/User kann selbst produzierte Beiträge wie Fotos oder Videos hochladen, die dann ab der dritten Folge in die Serie eingebaut werden.

Arte verfolgt idealistische Ziele

„Wir geben dem Zuschauer keine Möglichkeit zu entfliehen – eine komplette Geschichte entwickelt sich über alle Kanäle, sagt Christian Ulmen, der die Serie produziert hat, in einem Trailer. Buch und Regie übernahm Janna Nandzik. „About: Kate“ ist wohl der ambitionierteste Baustein der neuen Arte-Digitalstrategie. Der Kulturkanal hat zudem seinen Webauftritt überarbeitet, der sich nun noch gehaltvoller, dabei aber wesentlich übersichtlicher und einfacher gestaltet.

Der neue Doppel-Herzschlag pulst durch den gesamten idyllisch an der Ill gelegenen Sendersitz im Norden Straßburgs. Es gibt keine Multi-Media-Abteilung mehr, die Onliner sind direkt in den Abteilungen angesiedelt. Und weil dem so ist, kann der Programmdirektor Alain Le Diberder auch keine Zahl nennen, mit der sich die Kosten der nun stets parallel zur TV-Produktion unternommenen digitalen Anstrengungen beziffern lassen. Außerdem gibt es, neben den bisherigen Web-Angeboten Arte creative und Arte Live Web, nun auch noch Arte Future, eine Plattform, die dem Thema Zukunft gewidmet ist. Eine neue Sender-App ist auf dem Markt, und man hat sich den Domain-Namen .arte gesichert. Das Motiv von all dem liegt auf der Hand: der Zuschauer soll sich noch enger an seinen Sender kuscheln. Während die Privaten sich von ihren Crossmedia-Aktionen vor allem ein (Werbe-)Geschäft versprechen, verfolgt Arte idealistische Ziele: Man wolle die Referenz im Netz sein, wenn es um Kultur in Europa gehe, so die Präsidentin Cayla.