Region: Verena Mayer (ena)

Drei Monate später ist Schluss. Die Lehrer und Schüler sind erschöpft, Eltern drohen mit Anwälten. Daniel bespucke seine Klassenkameraden oder komme ihnen so nahe, dass sie es als bedrohlich empfinden. Der Junge sei schwer zu motivieren und an manchen Tagen kaum bei der Sache. Die Schule könne Daniel nicht gerecht werden, resümiert die Grundschulleiterin.

 

Janete Almeida hat einen kleinen Schreibtisch im Esszimmer aufgebaut. Dort lernt sie mit Daniel. Die 53-Jährige präsentiert Hefte, die er vollgeschrieben hat, zeigt Mathebücher, in denen er Aufgaben gelöst hat. In den vergangenen anderthalb Jahren, erzählt Janete Almeida, haben sie und Daniels Pflegevater mit dem Jungen den Deutsch- und Mathestoff der ersten und zweiten Klasse nachgearbeitet. Die Mutter ist stolz auf die schöne Schrift ihres Sohnes und darauf, dass er die Zahlen bis 1000 kennt.

Janete Almeida hat in Brasilien als Gymnasiallehrerin gearbeitet. In ihrer Klasse waren auch behinderte Kinder. Sie sagt, es mache sie doch sehr traurig, dass Daniel in Bühl keine Chance bekomme. Wenn er sich auf einen Tisch stelle und brülle, wolle er niemandem Angst einjagen, sondern Tiger spielen. Es sei auch nicht als Bedrohung zu verstehen, wenn er Mitschüler umarme. Inzwischen berühre er die Kinder sowieso nur noch an der Schulter.

Wieder wird der Zwölfjährige fortgeschickt

Im September 2011 findet Daniel eine neue Schule in Rastatt. Es ist eine der freikirchlichen Siebenten-Tags-Adventisten, die damals noch auf die staatliche Anerkennung wartet. Doch schon nach wenigen Tagen endet für Daniel auch dort der Unterricht. Vermutlich habe das Schulamt interveniert, sagt Janete Almeida. Keineswegs, sagt Anja Bauer. Man wäre ja froh gewesen, hätte Daniels Beschulung funktioniert. Dass dies nicht der Fall war, lag laut der Schulamtsdirektorin an unterschiedlichen Auffassungen: Janete Almeida meinte, ihr Sohn könne nach dem regulären Lehrplan der dritten Klasse unterrichtet werden, die Schule habe hingegen rasch festgestellt, dass dies nicht möglich sei – und Daniel fortgeschickt.

Seit März 2009 erkennt Deutschland offiziell die Behindertenkonvention der Vereinten Nationen an. Sie setzt auf gleiche Chancen für alle Menschen. Inklusion, so der pädagogische Fachbegriff, bedeutet, dass man die Vielfalt in der Bildung schätzt. Inklusion bedeutet somit auch, dass Kinder, die früher einer Sonderschule zugewiesen wurden, nun grundsätzlich in sogenannte Regelschulen gehen dürfen. Daniel nutzt das nichts. Doch seine Mutter kämpft.

Es dauert mehrere Monate, bis sich in Bühl eine Grundschule findet, die den Jungen aufnimmt. Im Mai 2011 kommt Daniel in eine dritte Klasse mit 13 Mitschülern. Die Lehrer und Eltern sind aufgeschlossen, finden die Idee der Inklusion gut. Auch Janete Almeida ist zufrieden. Sie freut sich, dass die Lehrer für Daniel die Arbeitsblätter vergrößern, damit er sie besser lesen kann. Er darf sich auch mehr Zeit für die Aufgaben nehmen. Zu Hause berichtet Daniel, dass er laut vorgelesen habe. Die Mutter hat den Eindruck, dass sich ihr Sohn wohlfühlt.

Wenn Daniel Tiger spielt . . .

Drei Monate später ist Schluss. Die Lehrer und Schüler sind erschöpft, Eltern drohen mit Anwälten. Daniel bespucke seine Klassenkameraden oder komme ihnen so nahe, dass sie es als bedrohlich empfinden. Der Junge sei schwer zu motivieren und an manchen Tagen kaum bei der Sache. Die Schule könne Daniel nicht gerecht werden, resümiert die Grundschulleiterin.

Janete Almeida hat einen kleinen Schreibtisch im Esszimmer aufgebaut. Dort lernt sie mit Daniel. Die 53-Jährige präsentiert Hefte, die er vollgeschrieben hat, zeigt Mathebücher, in denen er Aufgaben gelöst hat. In den vergangenen anderthalb Jahren, erzählt Janete Almeida, haben sie und Daniels Pflegevater mit dem Jungen den Deutsch- und Mathestoff der ersten und zweiten Klasse nachgearbeitet. Die Mutter ist stolz auf die schöne Schrift ihres Sohnes und darauf, dass er die Zahlen bis 1000 kennt.

Janete Almeida hat in Brasilien als Gymnasiallehrerin gearbeitet. In ihrer Klasse waren auch behinderte Kinder. Sie sagt, es mache sie doch sehr traurig, dass Daniel in Bühl keine Chance bekomme. Wenn er sich auf einen Tisch stelle und brülle, wolle er niemandem Angst einjagen, sondern Tiger spielen. Es sei auch nicht als Bedrohung zu verstehen, wenn er Mitschüler umarme. Inzwischen berühre er die Kinder sowieso nur noch an der Schulter.

Wieder wird der Zwölfjährige fortgeschickt

Im September 2011 findet Daniel eine neue Schule in Rastatt. Es ist eine der freikirchlichen Siebenten-Tags-Adventisten, die damals noch auf die staatliche Anerkennung wartet. Doch schon nach wenigen Tagen endet für Daniel auch dort der Unterricht. Vermutlich habe das Schulamt interveniert, sagt Janete Almeida. Keineswegs, sagt Anja Bauer. Man wäre ja froh gewesen, hätte Daniels Beschulung funktioniert. Dass dies nicht der Fall war, lag laut der Schulamtsdirektorin an unterschiedlichen Auffassungen: Janete Almeida meinte, ihr Sohn könne nach dem regulären Lehrplan der dritten Klasse unterrichtet werden, die Schule habe hingegen rasch festgestellt, dass dies nicht möglich sei – und Daniel fortgeschickt.

Ende Februar dieses Jahres kommt der Junge in der nächsten Schule unter, in der fünften Klasse einer Werkrealschule. In einem zweiseitigen Vertrag wird geregelt, wie der Schulbesuch ablaufen soll – dennoch endet er Ende April. Schüler berichten, es sei störend, wenn Daniel im Unterricht Namen laut ausrufe oder plötzlich Fangerles spielen will. Lehrer beklagen, dass der Junge oft fehle und dass er seine Schulbegleiterin ablehne. Deren Aufgabe wäre es, Daniel zu unterstützen, mit ihm in seinem Tempo zu arbeiten und ihn gegebenenfalls zu zähmen. Doch es funktioniert nicht. Innerhalb eines Jahres legen vier Schulbegleiterinnen ihre Arbeit nieder.

Aus der Sicht von Janete Almeida liegt das daran, dass die Frauen überfordert oder zu sensibel waren. Aus der Sicht des Schulamts liegt es daran, dass Janete Almeida zu viel von den Frauen gefordert oder ungeeignete ausgewählt hat. Ende April kommt das Schulamt schließlich zu dem Ergebnis: „Die Gesamtsituation führt zu so hohen Belastungen, dass eine weitere Beschulung an diesem Lernort auch von unserer Seite nicht befürwortet werden kann.“ Das Kultusministerium gibt Anja Bauer recht: „Das Staatliche Schulamt hat alles getan, was getan werden kann“, sagt eine Sprecherin.

Gibt es die ideale Inklusionswelt?

In einer idealen Inklusionswelt müssen sich Eltern nicht mehr als Bittsteller fühlen. In dieser Welt ist es selbstverständlich, dass behinderte Kinder auf die Regelschule in ihrer Nachbarschaft gehen und dort so unterrichtet werden, dass die ganze Klasse vom gemeinsamen Lernen profitiert. In fünf Regionen des Landes sammelt das Kultusministerium seit zwei Jahren Erfahrungen mit inklusiven Bildungsangeboten. Die Erkenntnisse dieses Modellversuchs fließen in ein neues Schulgesetz, das vom Herbst 2013 an gilt. Dann sind Eltern tatsächlich nicht mehr verpflichtet, ihr behindertes Kind auf eine Sonderschule zu geben. Ausnahmen gibt es schon heute. So besuchen im Schulamtsbezirk von Anja Bauer 89 behinderte Kinder eine Regelklasse. Dabei handle es sich stets um individuelle Entscheidungen, sagt sie. Wichtig sei, dass das Angebot für alle Beteiligten passe. Dieses Prinzip werde auch ins neue Schulgesetz übernommen.

Auf dem Esstisch in Bühl stapeln sich Fotos. Sie zeigen Daniel, wie er bei Kongressen zum Thema Inklusion auftritt, wie er den Behindertenbeauftragten des Landes anlacht oder wie er dessen Kollegen vom Bund einen Zettel überreicht, mit der Bitte um Unterstützung. Janete Almeida legt Bescheinigungen und Gutachten vor. Daniel habe sich mühelos in die Gruppe eingefügt und beteilige sich selbstständig am Unterricht, schreibt zum Beispiel die Leiterin der privaten Schule, in der Daniel Englisch lernt. Er habe ein sehr gutes Gedächtnis, könne sich neue Vokabeln gut merken und habe schnell gelernt, sich spontan ausdrücken, bescheinigt die Leiterin des Sprachclubs, wo Daniel Französisch lernt. Man habe Daniel als intellektuell interessierten Jungen erlebt, der ein großes Bedürfnis habe, nicht permanent fremdbestimmt zu werden, diagnostiziert der Professor aus Hamburg, der Daniel für eine Trisomie-21-Studie untersuchte.

Daniel müsse zunächst wieder an das Lernen in einer Regelschule herangeführt werden, sagt Anja Bauer, die den Zwölfjährigen deshalb in einer sogenannten Außenklasse für behinderte Kinder unterbringen möchte. Dort bekomme er die passende Betreuung und könne mit Schülern aus der angeschlossenen Regelschule unterrichtet werden. Später – bei Eignung – könne er noch immer ganz in eine Regelschule wechseln. Fünf Klassen hat die Direktorin Janete Almeida vorgeschlagen. Daniels Mutter hat alle abgelehnt. Ihr Sohn soll kein Sonderschüler sein.

Auseinandersetzung mit dem leiblichen Vater

In den vergangenen Wochen war Daniel krankgeschrieben. Wegen Lungenentzündung, sagt seine Mutter, die weiter kämpft. Janete Almeida muss eine Schule finden, sonst tun es andere. Beim jüngsten Termin vor dem Familiengericht hat die Richterin bereits eine Verfahrenspflegerin bestellt. Sie soll Daniels Interessen vertreten. Wohl weil dem Gericht zweifelhaft erscheint, dass die Mutter neutral genug ist. Ausgelöst hat diese Auseinandersetzung Daniels leiblicher Vater, der seinen Sohn nur an Wochenenden oder in Ferien sieht. Doch seit er weiß, dass der Junge gegen die Schulpflicht verstößt, hat er die Hoffnung, das Sorgerecht zu bekommen. Vielleicht gibt Janete Almeida Daniel nun doch noch in eine Außenklasse. Zumindest bis sich die Wogen geglättet haben. Abfinden würde sie sich damit nicht.

Zur Not will sie sich mit einem Anwalt wehren. Es könne doch nicht sein, dass man gezwungen wird, sein Kind auf eine Sonderschule zu geben, sagt sie und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Daniel ruft: „Lach mal!“