Vor zehn Jahren hat die Bundeswehr den Betrieb auf dem Truppenübungsplatz in Münsingen eingestellt. Aus dem mit Blindgängern verseuchten Areal ist ein Gebiet entstanden, das jedes Jahr von tausenden Menschen besucht wird.

Münsingen - Am 30. Dezember 2005 schneit es. Das Thermometer zeigt zwei Grad an. Es ist 10.30 Uhr. Stabsfeldwebel Volker Mohl vom Lazarettregiment 75 verlässt ein wenig wehmütig die Soldatensiedlung Altes Lager in Münsingen (Kreis Reutlingen). Tags darauf, am Nachmittag holt die zivile Wachmannschaft ohne großes Aufsehen zum letzten Mal die schwarz-rot-goldene Flagge nieder – und die 110-jährige militärische Geschichte des Truppenübungsplatzes ist zu Ende. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen. Dort, wo früher zeitweise rund um die Uhr scharf geschossen wurde, wandern heute die Leute.

 

Die Öffnung des ältesten Schießplatzes im Land Anfang 2006 sah man damals im baden-württembergischen Justizministerium gar nicht gerne. Aus Sicherheitsgründen wollte die Behörde in Stuttgart einen meterhohen Zaun rund um das stark munitionsbelastete Gelände aufstellen lassen. Außerdem sollten nur geführte Wanderungen mit einer zuvor unterschriebenen Haftungsverzichtserklärung genehmigt werden. Die Vorsichtsmaßnahmen kamen nicht von ungefähr. Noch heute liegen auf dem ausrangierten Militärareal mehr als eine halbe Million scharfe Blindgänger im Boden.

Dass die Menschen diese einzigartige Kulturlandschaft, das Herzstück des heutigen Biosphärengebietes, inzwischen alleine rund um die Uhr betreten dürfen, ist drei Männern zu verdanken: den Landräten Thomas Reumann (Reutlingen) und Heinz Seiffert (Alb-Donau-Kreis) sowie dem ehemaligen Vorstand der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Dirk Kühnau.

Von Munition verseucht

Sie wagten etwas, was es zuvor in Deutschland in dieser Form noch nicht gegeben hatte: einen ausgemusterten, stark munitionsverseuchten Truppenübungsplatz auf 13 ausgewiesenen Wegen für die Bevölkerung zu öffnen. Reumann, Seiffert und Kühnau setzten sich dafür ein, dass der Platz nicht Stück für Stück, sondern im Ganzen vermarktet wird. Dazu haben auch die umliegenden Städte und Gemeinden beigetragen, die dieses Konzept bis zum heutigen Tag nachhaltig unterstützen.

Entlang der Grenze des rund elf Kilometer langen und sechs Kilometer breiten Schießplatzes wurden 300 „Betreten verboten“-Schilder aufgestellt, überall dort, wo es lebensgefährlich ist weiterzugehen. Es folgten Ruhebänke, Toiletten, Parkplätze und mehrsprachige Hinweistafeln. Außerdem brachten die Verantwortlichen den stillgelegten Kalkofen und ein ehemaliges Maschinenhaus wieder in Schuss. Der Schwäbische Albverein übernahm vier Beobachtungstürme der Bundeswehr und öffnete sie für die Wanderer, die jetzt in bis zu 42 Meter Höhe eine herrliche Sicht über das Areal und die Region haben können.

„Die Entscheidung war, aus heutiger Sicht gesehen, goldrichtig,“ sagt Dietmar Götze vom Bundesforstbetrieb Heuberg in Meßstetten (Zollernalbkreis), der Hausherr des 6500 Hektar großen Areals ist. Viele Menschen besuchen jährlich das einzigartige Idyll. Die Tendenz ist steigend. Der Bundesforstbetrieb hat mehrere Hunderttausend Euro für die Sanierung der Wege und die Schilder ausgegeben. Aus Fördertöpfen floss in den vergangenen Jahren Geld in fünfstelliger Höhe. Ein Dutzend Menschen, vom Förster bis zur Biologin, kümmern sich um den Platz.

Besucher von überall

Die ehemalige Panzerringstraße, die rund 38 Kilometer um den Platz führt, ist nach wie vor Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Den für die Öffentlichkeit gesperrten Rundkurs mieten seit Jahren namhafte Auto- und Lastwagenbauer aus dem In- und Ausland für Erprobungs- und Präsentationszwecke.

Inzwischen spricht man bundesweit vom „Modell Münsingen“, das überall dort in der Republik kopiert wird, wo die Bundeswehr oder die alliierten Streitkräfte einen Schießplatz geschlossen haben. Immer wieder schauen die zuständigen Behörden auf der Schwäbischen Alb vorbei, um sich zeigen zu lassen, „wie man es richtig macht“, wie Münsingens Bürgermeister Mike Münzing sagt.

Die angrenzende Soldatensiedlung Altes Lager, in der die Soldaten während ihrer Aufenthalte auf dem Schießplatz nächtigten, ist nach fast zehn Jahren Dornröschenschlaf inzwischen verkauft. Seit Kurzem gehört das rund 70 Hektar große Areal mit den 136 Gebäuden Franz Tress. Der ehemalige Nudelproduzent aus Münsingen plant, dort in den nächsten zehn Jahren eine „Wohlfühlwelt“ mit dem Namen „Albgut“ aufzubauen.

Geschossen wird auch noch

Natürlich ist es auch den vielen Besuchern zu verdanken, die dem „Modell Münsingen“ zu seinem Erfolg verholfen haben. Die meisten Wanderer verhalten sich auf dem Gelände „sehr diszipliniert“. Nur ein Bruchteil davon verlasse die vorgegebenen Wege, weiß Ordnungsdezernent Claudius Müller vom Landratsamt in Reutlingen. Und das ist gut so. Nach wie vor werden pro Jahr bis zu 500 Blindgänger auf dem Gelände gefunden. Manche sind so gefährlich, dass sie vor Ort gesprengt werden müssen.

Es gibt keine verlässlichen Zahlen, die darüber Auskunft geben, wie viele Besucher jährlich den ehemaligen Truppenübungsplatz besuchen. Tourismusexperten gehen davon aus, dass es inzwischen mehrere Hunderttausend sind. Alleine an den geführten Touren mit den sogenannten TrÜP-Guides und Vertretern des Vereins Traditionsgemeinschaft Truppenübungsplatz nehmen pro Jahr bis zu 13 000 Menschen teil, sagt Müller. Nach wie vor ist das verlassene Dorf Gruorn, das 1939 wegen der Vergrößerung des Schießplatzes aufgegeben wurde, eine der Hauptattraktionen auf dem Gelände.

Ab und zu sind auf dem ehemaligen Militärgelände noch Schüsse zu hören. Die stammen aber nicht von Soldaten, sondern von den Förstern des Bundesforsts, die dort jagen. Geschossen wird auch noch am westlichen Rand des Platzes. Mitarbeiter des Zolls sind nach wie vor Gäste der Standort-Schießanlage, die über einen 300 Meter langen Gewehrschießstand und zwei 25-Meter-Schießstände für Pistolen und Maschinengewehre verfügt.