Die Vinzentinerinnen am Marienhospital setzen sich für eine „Kirche ohne Angst“ ein, in der sexuelle Orientierung keine Rolle spielt. Dies gehöre zum christlichen Menschenbild, erklären sie. Für ihre Aktion mit der Regenbogenfahne werden sie gefeiert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Auf der Steintreppe im historischen Teil des Marienhospitals stehen Frauen im Habit und mit Maske, die in ihrem reichen Arbeitsleben viel für christliche Nächstenliebe getan haben. Jetzt wollen sich die Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul in die Kirchenpolitik einmischen, weil sie finden, „dass die Zeit zur Veränderung reif ist“. Die Protestbewegung gegen die Oberen der katholischen Kirche wird immer stärker. Das Foto, das auf der Steintreppe von den solidarischen Ordensschwestern für die Bundesinitiative #OutInChurch entstanden ist, ist ein weiterer Beweis dafür – und geht vielen unter die Haut.

 

Der Arzt ist begeistert und sagt: „Hut ab!“

Ein schwuler Arzt, der viele Jahre im Marienhospital gearbeitet hat und nun eine eigene Praxis leitet, ist begeistert, weil er auf dem Foto ein ihm sehr vertrautes Gesicht erkennt. „Die Schwester war leitende Medizinisch-Technische Assistentin, ich hatte immer ein sehr liebevolles Verhältnis zu ihr“, sagt er. Sie wusste, dass er mit einem Mann zusammenlebt, auch, dass ein weiterer Assistent der Abteilung homosexuell ist. Damals sei sie schon 70 gewesen, erzählt der Arzt. „Dass sie sich jetzt mit 80 hinstellt und Farbe bekennt, ist großartig“, lobt er und fügt noch hinzu: „Hut ab!“

„Zu 90 Prozent haben wir positive Reaktionen“

Nicht eine der am Marienhospital lebenden Vinzentinerinnen war gegen die Aktion. Alle solidarisieren sich mit der Initiative #OutInChurch, die ein Ende der Diskriminierung von queeren Menschen in der katholischen Kirche fordert. Dazu musste es gar keine Diskussionen geben.

Die Idee zum klaren Bekenntnis mit einem Solidaritätsfoto, auf dem die Regenbogenfahne zu sehen ist, entstand im Kloster Untermarchtal, im Mutterhaus der etwa 30 Ordensschwestern, die in Stuttgart tätig sind. Stellvertretend haben sich elf von ihnen im historischen Teil des Marienhospitals, in der sich heute die Verwaltung befindet, fotografieren lassen. „Nicht alle wollten aufs Bild“, berichtet Eileen Hoffmann von der Pressestelle des Marienhospitals, die den Schwestern geholfen hat, die Aktion in den sozialen Medien zu platzieren. Die Resonanz ist umwerfend: Im Netz ist die Begeisterung über die unerwartete Solidaritätsbekundung groß.

„Der Mut dieser Menschen beeindruckt uns“

„Zu 90 Prozent haben wir positive Reaktionen“, sagt Hoffmann. Nur einen Hasskommentar habe sie bisher löschen müssen. Im Aufruf der Schwestern heißt es: „Zahlreiche Mitarbeitende der katholischen Kirche in Deutschland haben sich als queer geoutet. Sie fordern ein Ende ihrer Diskriminierung. Der Mut dieser Menschen beeindruckt uns sehr. Wir hören ihre Geschichten und sind tief bewegt. Vielen Dank, dass ihr stellvertretend für viele die Stimme erhebt! Für uns als Ordensschwestern und Träger des Marienhospitals ist es eine Selbstverständlichkeit, hier mit allen Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung bzw. Identität – zusammenzuarbeiten. Mitarbeitende dürfen hier im Haus wirklich ganz ,Mensch sein‘. Wir stellen uns bewusst an die Seite derer, die ausgeschlossen und diskriminiert werden. Auch wir wünschen uns eine Kirche ohne Angst – auch im Hinblick auf die Veränderungen des kirchlichen Arbeitsrechts.“

Auch bei Facebook ist die Zustimmung groß

Am Freitag wurde das Regenbogen-Foto ins Intranet der Klinik gestellt, am Wochenende in die sozialen Medien. Am Montag war die Aktion das beherrschende Thema in der Klinik. Die Schwestern hörten von Mitarbeitenden und Patienten viel Lob dafür. Auch bei Facebook ist der Beifall groß. „Starke Aktion der starken Ordensschwestern“, ist zu lesen. Oder: „Wenn’s die alten Herren in Rom nur auch raffen würden.“ Und: „Die katholische Kirche muss sich endlich öffnen, sonst werden noch viel mehr austreten.“