Sommer in der Stadt heißt: Die Kinder in den Kitas dürfen in den Pool, die städtischen Angestellten Siesta halten und das Seniorenzentrum gibt ein Eis aus. Die Kehrseite der Medaille: Die Ozonwerte steigen und auf Autobahnen wirft sich der Fahrbahnbelag auf.

Stuttgart - Dachpappenschweißer, Straßenbauarbeiter, Müllwerker dürften derzeit die heißesten Arbeitsplätze der Stadt haben – befeuert von oben (Sonne) und von unten (Asphalt). Weder gibt es für sie Hitzefrei noch eine Hitzezulage, dafür aber eine Ermessensregelung, sagt der Personalrat des Tiefbauamts, Martin Loser: „Die Mitarbeiter können die anstrengenderen Arbeiten wie das Asphaltieren auf den frühen Morgen verlegen.“ Zum Schutz der Mitarbeiter gibt die Stadt Stuttgart „Hautschutzmittel und Sprudel in angemessenen Mengen“ aus. Jedes Fahrzeug des Tiefbauamts ist mit einer Hitzenotfallkarte mit Erste-Hilfe-Tipps ausgestattet, falls doch mal einer der Männer umkippt.

 

Kalte Schale

Rund 13 000 Stuttgarter leben in einem der Pflege- und Seniorenheime der Landeshauptstadt. Am Dienstag hat Jörg Treiber, der Leiter des Pflegezentrums Bethanien in Möhringen, die amtliche Warnung vor Hitze des Deutschen Wetterdienstes an das Personal verschickt. „Die Pflegekräfte sind dann angehalten, „besonders auf das Trinken zu achten, die Leute zum Trinken anzuhalten und auch mal ein Eis auszugeben“. Man hat aus der Katastrophe des Jahres 2003 gelernt: Damals sind in Frankreich mehr als 11 000 Menschen den Hitzetod gestorben. Sie seien, so die Vorwürfe, unzureichend betreut worden. Der Koch des Pflegezentrums Bethanien wollte jüngst mit passendem Essen zur Abkühlung beitragen und kredenzte eine Gurkenkaltschale. „Die kam aber überhaupt nicht an, die Leute wollten lieber eine heiße Brühe“, räumt Jörg Treiber ein.

Kurze Hosen

An Tagen, an denen der Stoff der Kleider auf der feuchten Haut klebt, verflucht man nicht nur in der Geschäftswelt den Dresscode. Auch Schüler müssen, je nach Hausordnung der jeweiligen Schule, den Unterricht „in angemessener Kleidung“ besuchen. Unangemessen sind: tiefe Dekolletés, bauchfreie Auftritte, kurze Strandhosen und „handtuchbreite Röcke – übrigens auch beim Kollegium“, sagt Barbara Koterbicki, die Geschäftsführende Schulleiterin der Stuttgarter Gemeinschafts- und Realschulen. Das früher gebräuchliche XXL-T-Shirt zum Überziehen sei nicht mehr üblich. „Wir reden lieber mit den Schülern.“

Lange Pause

Wer bei der Stadt im Büro arbeitet, muss zumeist ohne Klimaanlage klarkommen. Allerdings sind für die einzelnen Büros je nach Bedarf Ventilatoren angeschafft worden, was jenen entgegenkommt, die es nicht mögen, wenn ein eisiger Hauch sie stundenlang umweht. „Dafür“, sagt Martin Loser, „wird bei Hitze eine längere Mittagspause geduldet, die Arbeitszeit kann jederzeit wieder hereingeholt werden.“ Ob das Büropersonal sich zur Siesta zurücklehnen kann, hängt allerdings von der Kulanz des Vorgesetzten ab, denn die südeuropäische Gepflogenheit hat in Stuttgarts Rathausverwaltung noch keinen Eingang in die Allgemeinen Geschäftsanweisungen gefunden.

Nasse Spiele

Kinder sind selten bereit, die Füße still zu halten. „Wenn die spielen, dann vergessen die sich“, sagt Beate Brückner. Sie arbeitet für Konzepte, den Träger von 42 privaten und betrieblichen Kindertagesstätten in Stuttgart, deren Erzieherinnen angewiesen seien, während der Mittagshitze mit den Kindern in den Räumen zu bleiben, Ausflüge allenfalls in den schattigen Wald zu machen, an heißen Tagen mehr Spiele mit und im Wasser anzubieten und auf die Kopfbedeckung der Kleinen zu achten.

Trockene Kehlen

Tee und Wasser haben alle Kitas in rauen Mengen da, „man muss die Kinder allerdings immer wieder ans Trinken erinnern“, sagt Edwina Cleghorn vom Kinderhaus St. Paul. Besonders erfrischend sei „Tee, der am Tag vorher gekocht und über Nacht im Kühlschrank gekühlt wird“, sagt Gerd Danner, Chef über den Bereich Küchen und Ernährung beim Stuttgarter Jugendamt. Die Großküche am Klinikum versorgt alle städtischen Kitas mit täglich 7500 Essen. „Obst, Rohkost, Joghurt und Salat haben wir zurzeit viel auf der Karte“, sagt Danner; zurzeit käme Wassermelone sehr gut an.

Berstende Fahrbahnen

Als heißes Pflaster erweisen sich derzeit die Betonfahrbahnen der Autobahnen. Dort kann es zu teils erheblichen Hitzeschäden kommen. Vor allem sogenannte Blow-upskönnen Autofahrern gefährlich werden. Die Fahrbahnplatten dehnen sich aus und schieben sich übereinander. Auf den Straßen im Regierungsbezirk Stuttgart sind aktuell keine solchen Schäden bekannt, es sind jedoch Tempolimits verhängt worden: Auf Teilen der Autobahnen 81 und 7 gilt in der Zeit von 10 bis 20 Uhr Tempo 80. Am Stuttgarter Kreuz ist die Geschwindigkeit wegen der bestehenden Baustelle bereits reduziert.

Dicke Luft

Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz in Baden-Württemberg (LUBW) hat am Dienstag eine Ozonwarnung für die Gebiete Bernhausen (Kreis Esslingen), Stuttgart-Bad Cannstatt, Ludwigsburg und Gärtringen (Kreis Böblingen) herausgegeben. Dort lagen die Ozonwerte bei über 180 Mikrogramm pro Kubikmeter. Ozon ist ein giftiges Gas, das im Verdacht steht, Krebs auszulösen. In Bodennähe auftretendes Ozon wird nicht direkt freigesetzt, sondern bei intensiver Sonneneinstrahlung aus Stickstoffoxiden und flüchtigen organischen Verbindungen gebildet. Es führt zu verminderter Lungenfunktion, entzündlichen Reaktionen in den Atemwegen und zu Atemwegsbeschwerden.

Sanfte Brise

„Die Schulleitungen dürfen Hitzefrei nach der vierten Stunde geben, wenn der Unterrichtserfolg infrage gestellt wird“, teilt das Regierungspräsidium mit. Die Entscheidung liege bei der Schulleitung. Diese Regelung gilt nicht für die Klassenstufen 11 bis 13 und nicht für Ganztagsschüler. „Die gingen heute stattdessen auf den Hoppenlaufriedhof und legten sich ins Gras“, sagt Rektorin Barbara Koterbicki. In den Schatten gehen, Füße hochlegen, das empfiehlt übrigens auch das städtische Gesundheitsamt. Wir raten Ihnen: Summen Sie dabei das Chanson „La Mer“ des Franzosen Charles Trenet, und Sie spüren eine sanfte Meeresbrise.