„Lauter gute Leut“ heißt das neue Stück, welches das Theater Rietenau bald im Freien aufführt. Es spielt in den 1970er Jahren – und zwar an einem besonderen Ort.

Die Zeiten, als in der Badstraße 30 in Aspach-Rietenau (Rems-Murr-Kreis) reges Treiben herrschte, als hier Tag für Tag die gelben Lieferwagen der Firma Vorlo ein und aus fuhren, sind längst passé. Die Autos sind verschwunden, kein Mensch mehr ist unterwegs auf dem Gelände, das sich in bester Lage im Ortskern befindet. Ende der 1950er Jahre hatte ein gewisser Kurt Vorlop hier die Idee für einen Frei-Haus-Lieferservice für Mineralwasser und andere Getränke umgesetzt. Er ersparte den Kunden das anstrengende Kistenschleppen und das war damals eine absolute Neuheit.

 

Inzwischen hat sich die Natur Teile des riesigen Firmengrundstücks zurückerobert: Pflanzen wuchern auf Wegen und Treppenaufgängen. Das Dach des Industriegebäudes aus den 1960er Jahren ist eingestürzt und unter der Rampe, an der einst die Lieferautos beladen wurden, verrotten ausgemusterte Holzpaletten.

Seit rund zehn Jahren ist das einstige Gelände der Firma Vorlo abgesperrt und liegt im Dornröschenschlaf, sagt Lea Butsch über dieses „Filetstück mitten im Dorf“. Zusammen mit ihrem Mann hat sie bis zum Ruhestand die Wilde Bühne in Stuttgart geleitet und nebenher das Theater Rietenau an ihrem Wohnort aufgebaut. Jahr für Jahr stellt das Ensemble aus ambitionierten Amateur-Schauspielern eine Produktion auf die Beine.

Livemusik von den Nodding Heads

Die Nodding Heads spielen die passende Musik. Foto: Dietmar van der Linden/cf

Die Stücke stammen allesamt aus der Feder von Lea Butsch und haben trotz ihres hohen Unterhaltungswerts stets eine Botschaft und historische Bezüge. Sie werden immer im Freien aufgeführt, oft als Stationentheater, das an mehrere Plätze im Dorf führt. Das aktuelle Werk jedoch – Lea Butsch hat ihm den Titel „Lauter gute Leut“ gegeben – , spielt das rund 30-köpfige Ensemble an einem einzigen Ort: eben dem ehemaligen Vorlo-Firmengelände. Dieses sei ein Lost Place par excellence, sagt Lea Butsch, die schon länger damit geliebäugelt hat, dort Theater zu machen.

Wildwuchs auf dem Vorlo-Gelände

Mit Recherchearbeit, viel Zeitaufwand, Beharrlichkeit und langen E-Mails ist es ihr schließlich gelungen, Kontakt zu den heutigen Besitzern des Areals, der Revo Hospitality Group, aufzunehmen. „Irgendwann bin ich beim Privatsekretär der Besitzer gelandet“, erzählt Lea Butsch. Das Resultat: das Theater Rietenau darf den Außenbereich rund um das alte Fabrikgebäude für vier Vorstellungen nutzen. „Die Eigentümer stellen es uns kostenneutral zur Verfügung.“

Den Universalschlüssel hat Lea Butsch inzwischen in der Tasche, die ersten Proben sind auch schon vor Ort über die Bühne gegangen. Zunächst allerdings mussten sich die Theaterleute mit Schaufel und Hacke einen Weg auf das Gelände bahnen und zugewucherte Treppenaufgänge frei schneiden.

Studentenrevolte, RAF und Bauernsterben

„Wir spielen auf der Rückseite des Gebäudes und haben eine riesige Fläche zur Verfügung“, sagt Lea Butsch. Die ehemalige Laderampe wird ebenso als Schauplatz genutzt wie mehrere Treppen und ein Balkon. Im Stück „Lauter gute Leut“ beamt Lea Butsch das Publikum zurück in die 1970er Jahre – eine Zeit des Aufbruchs. Die Studentenrevolte und die RAF, der nicht aufgearbeitete Nationalsozialismus und das Bauernsterben spielen eine Rolle.

Tragikomödie, Provinzposse – auf jeden Fall serviert Lea Butsch auch dieses Mal keine ganz leichte Kost, es gibt aber dennoch einiges zu lachen. Farbenfrohe Kostüme mit grafischen Mustern gehören bei einem Setting in den 1970er Jahren selbstverständlich dazu. Lea Butsch ist unzählige Male über Flohmärkte gepilgert, um passende Kleidung für ihre 30-köpfige Truppe zu finden.

Geschichte eines verlorenen Sohns

„,Lauter gute Leut’ ist die Geschichte eines verlorenen Sohns“, erzählt die Autorin, die sagt, mit dem Stück wolle sie Menschen Mut machen: „Es geht um Diversität und darum, Andersdenkende zu akzeptieren.“ Ihr Held, Hans-Georg, kurz: Hag, hat sich in den 1960er Jahren nach Berlin verdrückt, um seinem Wehrdienst zu entgehen und als Künstler groß raus zu kommen. Einige Jahre später kehrt er zurück, seine Karrierepläne sind gescheitert. Im Dorf schlagen dem „Revoluzzer“ vonseiten der braven Bürger Misstrauen und Vorurteile entgegen.

Störenfried und Revoluzzer

„Dass er nicht gedient hat, macht ihn für manche im Ort zum Vaterlandsverräter, aber die Jugend im Dorf findet ihn interessant und sucht Rat bei ihm“, sagt Lea Butsch. „Für die einen passt er nichts ins Weltbild, er ist für sie ein Störenfried und potenzieller RAF-Mann. Für die anderen ist er ein Symbol des Aufbruchs und ein Anziehungspunkt.“


Per Beamer werden beim Theaterabend Bilder von Demos der 1960er Jahre gezeigt, die Liveband The Nodding Heads liefert die passenden Songs dazu. „Wir scheuen uns nicht vor Klassikern wie ,House of the rising sun’ und ähnlichem“, sagt Lea Butsch. Obendrein gibt es im Stück Bewegungselemente, welche die Konflikte und Spannungen zwischen den Dorfbewohnern auf tänzerische Weise sichtbar machen. „Das ist ein bisschen aus der ,West Side Story’ entlehnt.“

Wie die Geschichte weiter geht, wird nicht verraten. Lea Butsch sagt nur so viel: „Es gibt eine Art Happy End.“ Und die Hoffnung, dass die junge Generation offener und toleranter ist als die vorigen Generationen.

Theaterabend

Karten
Das Theaterstück wird im Freien von 31. Juli bis 3. August gespielt. Einlass und Abendkasse ab 18 Uhr, Vorstellungsbeginn ist um 19 Uhr. Spielort ist das frühere Vorlo-Gelände, Badstraße 30, in Aspach-Rietenau. Karten zum Preis von 15 Euro können reserviert werden über die Internetseite www.rietenauer-huk.de.