Die Stadträtin Gitte Hutter hat viele Ideen, um den Gesundheitsstandort Leonberg zu stärken,und will das Berufsschulzentrum einbeziehen. Mit ihrer früheren Partei Die Linke hat sie nichts mehr am Hut. Jetzt ist sie bei Volt.

Im Leonberger Gemeinderat wird zu viel diskutiert und zu wenig entschieden. Diesen Eindruck hat die Stadträtin Gitte Hutter, die, wie sie im Sommergespräch erklärt, die Partei Die Linke verlassen hat und jetzt bei der proeuropäischen Partei Volt ist.

 

Frau Hutter, im Pomeranzengarten lässt es sich gut sprechen.

Genau, dieser Ort ist nicht nur sehr schön, sondern zudem eine Schnittstelle zwischen dem alten und dem neuen Leonberg. Hinter uns sind das Schloss und die Altstadt, vor uns liegt die neue Stadtmitte. Man sieht: Es gibt zahlreiche Neubauten, es ist viel in Bewegung. Außerdem hat der Pomeranzengarten fast schon Modellcharakter: Hier begegnen sich Wege, Grün und Wasser.

Sie meinen, es wäre eine Blaupause für eine Neugestaltung des Zentrums? Die Planer, die die Stadt mit Entwürfen beauftragt hat, sehen längs der Eltinger Straße ebenfalls viel Grün und kleine Wasserkanäle vor.

Hier im Pomeranzengarten sehen wir es im Kleinen, dort wird es im Großen kommen. Wasser und Grün senken die Temperaturen ab und verbessern die Luftqualität.

Wenn weniger Autos unterwegs sind....

Das machen uns doch Metropolen wie Helsinki oder Paris vor. Ziel muss sein, dass das Auto nur ein Verkehrsmittel von vielen ist.

Sie fahren selbst Auto.

Ja, ich brauche es für den Beruf. Früher haben viele Menschen dort gearbeitet, wo sie auch in der Nähe gewohnt haben. Heute sind Fahrtzeiten von einer Stunde und mehr pro Richtung üblich.

Also ist es mit der Reduzierung der Autos doch nicht so einfach.

Voraussetzung ist natürlich, dass im öffentlichen Nahverkehr Komfort und Pünktlichkeit steigen und die Preise sinken. Für uns könnte das beispielsweise bedeuten, dass die Stuttgarter Stadtbahnlinie U 6, die in Gerlingen endet, nach Leonberg verlängert wird.

Selbst wenn es so käme, würde das Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.

Fakt ist auch, dass der Trend zum Homeoffice zunimmt. Das verringert den Verkehr...

... und erhöht den Platzbedarf in Privatwohnungen. Sie sprechen sich immer wieder für Hochhäuser aus. Wenn wir jetzt in Richtung des neuen Leonbergs schauen, kann man feststellen: Schön ist anders.

Es gibt sehr viele Möglichkeiten, hohe Bauten durch Grünpflanzen und künstlerische Gestaltung zu verschönern. Dafür gibt es in anderen Städten viele Beispiele.

Unabhängig davon müssten die Häuser ja erst einmal gebaut werden.

Es gibt in Ulm ein gutes Beispiel, das Vorbild für Leonberg sein kann. Dort hat die Stadt viele Flächen gekauft, die sie in Zusammenarbeit mit der Landesbaugenossenschaft zu bezahlbarem Wohnraum entwickelt.

Bei uns gibt es kaum noch Platz.

Wenn ich bei uns unterwegs bin, fallen mir etliche Brachflächen oder ungenutzte Scheunen auf...

... die alle jemanden gehören.

Dann muss die Stadt mit Vorkaufsrechten arbeiten, um den eigenen Flächenbestand langfristig zu vergrößern. Wir können uns den Luxus brachliegender Landstriche nicht mehr leisten.

Die „Stadt für morgen“, das Projekt des OB, zielt genau in diese Richtung.

Aber im Gemeinderat diskutieren wir doch immer noch wie vor 40 Jahren.

Wie meinen Sie das?

Es geht immer hin und her und wieder zurück. Bestes Beispiel sind die Ortschaftsräte. Da wird ein Thema hinverwiesen, dann wandert es in den Gemeinderat zurück, und dann geht die ganze Diskussion wieder von vorne los. So kommen wir doch nicht weiter.

Sie halten also die Ortschaftsräte für überflüssig?

Ja, das sehe ich so. Zumal diese zusätzlichen drei Gremien beträchtliche Kosten verursachen. Da wäre es doch besser, wir erweitern den Gemeinderat mit zusätzlichen Vertretern aus den Teilorten. Je größer der Stadtteil, je mehr Vertreter hat er im Gemeinderat.

Gerne diskutiert wird auch über die Notwendigkeit von Kultureinrichtungen. Was ist Ihnen wichtiger: die Stadthalle oder die alte Schuhfabrik?

Ich liebe Kultur. Aber in der jetzigen schwierigen Situation bevorzuge ich jene Institution, mit der mehr Menschen erreicht werden, also die Stadthalle. Die aber ist in ihrer baulichen Situation nicht mehr zukunftsfähig. Deshalb bin ich für einen Neubau.

Selbst Befürworter eines Neubaus verabschieden sich aus Kostengründen von dieser Vorstellung.

Es ist doch die Frage, für was ich mein Geld ausgebe, um für die Zukunft gerüstet zu sein? Der Veranstaltungsmanager Nils Strassburg, der mit Leonpalooza eine tolles Festival auf die Beine gestellt hat, braucht ein funktionierendes Haus, um mehr Menschen anzuziehen. Diese lassen ja wieder Geld hier, davon profitieren die Gastronomie und der Einzelhandel.

Stichwort Handel: Das Leo-Center hat viele Leerstände, die Stadt hat aber keinen Einfluss darauf, weil das Gebäude dem Hamburger Betreiberkonzern ECE gehört.

Das Leo-Center ist nicht nur ein wichtiger Einkaufsort, sondern eine Begegnungsstätte. Deshalb müssen wir mit dem ECE-Management im Dialog stehen. Dieser sollte federführend vom Oberbürgermeister geführt werden. Beim Kampf um den Erhalt von Karstadt haben wir es doch auch geschafft.

Gekämpft wird ebenfalls um den Verbleib des Rettungshubschraubers Christoph 41.

Von den Abgeordneten, die den Wahlkreis Leonberg professionell vertreten und bei der Thematik schweigen, bin ich sehr enttäuscht. Ich habe mit vielen Medizinern gesprochen, sowohl jenem im Hubschrauber selbst, wie auch mit den Ärzten in unserem Krankenhaus. Sie alle bestätigen, wie elementar Christoph für unsere Region ist. Er ist auch wichtig für den Klinikstandort.

Befürchten Sie, dass es dem Leonberger Krankenhaus schadet, wenn die Großklinik am Flugfeld in Betrieb geht?

Wir haben bei uns hervorragende Abteilungen mit qualifizierten Chefärzten, die viele Patienten weit über die Region Leonberg hinaus behandeln. Die müssen auf jeden Fall bleiben. Aber wir müssen weiter denken. Warum sollten nicht im benachbarten Berufsschulzentrum Studiengänge im Gesundheitswesen angeboten werden? Das würde junge Menschen nach Leonberg bringen. Die Themen Reha, Kurzzeitpflege und Facharztpraxen werden ja schon unter dem Oberbegriff Gesundheitscampus diskutiert.

Frau Hutter, Sie sind im Gemeinderat eine Einzelkämpferin. Fühlen Sie sich in der Politik alleine?

Nein, ich habe etliche Ratskollegen, mit denen ich mich eng austausche. Aber die Stimmung gefällt mir gerade nicht. Ich sehe kein professionelles Miteinander zwischen Gemeinderat und Stadtspitze. Wir waren uns in einer Klausur vor zwei Jahren einig, dass wir klare Prioritäten setzen müssen. Stattdessen verzetteln wir uns immer wieder.

Was sind denn Ihre Prioritäten?

Die Kinderbetreuung. Da wird viel gemacht, aber es reicht noch nicht. Und die Schulen müssen saniert werden. Das ist wichtiger als mehrstündige Diskussionen ums Parken oder über gestrichelte Linien.

Parken ist für viele ein wichtiges Thema. Vor allem die fehlenden Parkplätze.

Wir können den Leuten keinen Parkraum schenken. Zwei Anwohnerparkplätze pro Haushalt ist für mich die Obergrenze. Und abgestellte Wohnmobile in Wohnvierteln gehen gar nicht. Die Kehrmaschinen und die Müllabfuhr müssen durchkommen.

Die Stadt hat große Personalprobleme.

Es scheint sich herumzusprechen, dass es bei uns nicht so toll ist. Das liegt auch daran, dass die kleineren Angestellten nicht gut bezahlt werden. Stattdessen wird der Wasserkopf immer größer. Von dem Geld, das wir beispielsweise für den neuen Klimamanager bezahlen, könnte man vier oder fünf kleinere Stellen finanzieren, die wir dringend brauchen. Etwa im Bauhof oder im Bürgeramt.

Liegt das auch an der Führung?

Ich weiß nicht, wie Herr Cohn mit seinen Mitarbeitern umgeht. Aber ja, es gehören immer zwei dazu.

Sie haben die Links-Partei verlassen.

Ja. Diejenigen in der Partei, die die reale Lage kennen und versuchen, eine pragmatische Politik zu betreiben, finden in den Parteigremien kein Gehör. Das ist sehr bitter.

Sie waren sogar im Landesvorstand. Hat man nicht versucht, Sie zu halten?

Nein. Die Querelen, die auf Bundesebene zu beobachten sind, gibt es auch im Kleinen. Solch eine Politik kann ich persönlich nicht nach außen vertreten. Schön ist anders.

Jetzt sind Sie bei der proeuropäischen Partei Volt. Warum nicht bei der SPD?

Ich bin weiterhin sozial eingestellt. Aber die SPD hat ihr „S“ weggearbeitet. Volt hingegen will mit länderübergreifenden Ansätzen Lösungen für die Probleme unserer Zeit finden. Das halte ich für richtig. Ich bin gerade dabei, einen Kreisverband mitaufzubauen. Interessanterweise helfen mir gerade sehr viele Frauen dabei.