Der Leonberger FDP-Fraktionschef Dieter Maurmaier über Gemeinwohl, komplizierte Verkehrsversuche, eine lebenswerte Altstadt, Christoph 41 und die Stimmung im Rathaus

Weniger Autos in der Stadt sind für Dieter Maurmaier eine erstrebenswerte Option. Der Marktplatz , so sagt der Chef der Leonberger FDP-Fraktion, soll ganz den Fußgängern gehören.

 

Herr Professor Maurmaier, wir sitzen hier im Glemstal zwischen der Altstadt und Höfingen an dem neugestalteten Rastpatz . Sehr idyllisch hier. Sind Sie schon in Urlaubsstimmung?

In die könnte man kommen, es ist wirklich ein wunderbarer Platz inmitten einer bebauten Umwelt, der schnell per Rad oder zu Fuß erreicht werden kann. Das Besondere ist, dass die Umgestaltung aus dem privaten Erbe der Familie Beck finanziert wurde…

…ein Nachlass, der der Stadt Leonberg zur Verfügung gestellt wurde, um damit Verschönerungen im Bereich Höfingen zu realisieren.

Das ist in der heutigen Zeit außergewöhnlich, zeigt es doch, dass mit Gemeinsinn etwas zum Positiven bewegt werden kann.

Was heute eher die Ausnahme ist…

Leider ja. Schauen Sie sich die Vereine an , die immer größere Nachwuchsprobleme haben. Auch in der Kommunalpolitik ist es zusehends schwieriger, Menschen zu finden, die mitgestalten wollen.

Kritik in der Anonymität des Internets

Beim gerade in der Innenstadt laufenden Verkehrsversuch haben sich sehr viele Bürger zu Wort gemeldet.

Die meisten leider in der Anonymität des Internets. Der Informationsveranstaltung vor den Ferien sind die Kritiker ferngeblieben. Es gab zumindest kaum Diskussionen.

Wie finden Sie die versuchsweise einspurige Führung der Autos in der Eltinger Straße und in der Brennerstraße?

Wir von der FDP hätten auf den langwierigen Versuch verzichtet. Die Simulation im Vorfeld hat gezeigt, dass es funktionieren wird.

Da gibt es auch andere Einschätzungen. Besonders die häufigen Unterbrechungen auf der Radspur werden bemängelt.

In der Tat bringt die jetzige Verkehrsführung in der Brennerstraße nichts, weil die Radfahrer durch die vielen Unterbrechungen verunsichert sind. Da hätte man von Anfang an durchgängige Radwege machen können.

Sind die Brennerstraße und die Eltinger Straße als Hauptachsen geeignet für derartige Experimente? Freie Wähler und CDU sagen, dass der bauliche Zustand beider Straßen sehr gut ist.

Beide Straßen sind erkennbar überdimensioniert. Wenn man etwas begrünen möchte, dann muss man Asphalt beseitigen, darin sehe ich jetzt nicht das ganz große Problem.

Ist eine autoarme Stadt im autoverliebten Ländle überhaupt durchsetzbar?

Es stimmt ja: Bei uns wurden die Autos erfunden, hier werden viele produziert, entsprechend sind die meisten Menschen Autos gegenüber positiv eingestellt. Aber wir brauchen angesichts des Klimawandels eine Veränderung. Wir müssen andere Verkehrsmittel stärker unterstützen. So oder so wird das Auto aber immer da sein.

So ähnlich haben sich die Grünen im Sommergespräch auch ausgedrückt.

Vom Prinzip her verstehen wir uns durchaus des Öfteren mit den Grünen, es kommt natürlich immer auf die Details an. Wir sagen ja nicht, dass sich jetzt alles nur noch ums Fahrrad drehen soll. Um solch gravierende Veränderungen umzusetzen, brauchen wir im Gemeinderat eine gemeinsame Linie.

Könnten die Shared-Space-Konzepte, also der gemeinsame Raum für Fußgänger, Radler und Autofahrer, ein Weg sein, um breite Mehrheiten zu finden?

Das kommt auf den Standort an. In der Poststraße vor dem Bosch-Neubau passt das sehr gut. An der Achse Feuerbacher Straße/Grabenstraße wird es da schon schwieriger. Wir brauchen immer individuelle Lösungen.

Pförtnerampeln nur bei Staus

Ein weiteres Reizthema sind die sogenannten Pförtnerampeln, die in den Stadtteilen stationiert werden sollen, um bei Bedarf die Zufahrt ins Zentrum zu verhindern. Kritiker sagen, das würde Handel und Handwerk schaden.

Die Pförtnerampeln sind dazu da, den Verkehr in der Stadtmitte funktionsfähig zu halten. Wenn dort Stau ist, schadet das auch dem Handel. Solche Zufahrtsbeschränkungen sind nur nötig, wenn es Staus auf den Autobahnen gibt.

Neben dem Verkehr ist die Wohnungsnot das größte Problem.

Und deshalb sind die künftigen Quartiere Berliner Straße und Unterer Schützenrain nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen weitere Flächen für Wohnbau.

Einige Ihrer Kollegen meinen, die Grenzen des Wachstums seien erreicht.

Die Wohnungsproblematik gibt es doch in der ganzen Region. Deshalb können wir nicht sagen: Wir bauen in Leonberg nicht mehr, zieht woanders hin. Renningen oder Rutesheim kriegen es doch auch hin.

Es gibt die Befürchtung, dass es wegen einem damit einhergehenden Ausbau der Infrastruktur neue Probleme geben wird, etwa bei der Kinderbetreuung.

Auch da sitzen wir in einem Boot mit den anderen Städten in der Region. Es bringt doch überhaupt nichts, wenn sich die Kommunen das Personal gegenseitig abwerben. Wir brauchen ein solidarisches regionales Handeln, zum Beispiel durch einheitliche Einstellungsstandards bei der Kinderbetreuung.

Sanierte Stadthalle hat Zukunft

Wo könnte noch gebaut werden?

In den Randgebieten von Höfingen und Gebersheim beispielsweise. Ansonsten muss man aktiv auf die Suche gehen, denn die Nachverdichtung ist endlich.

Was ist mit der alten Schuhfabrik?

Da sehen wir in der Tat eine Möglichkeit für neue Wohnungen, eventuell in einer Kombination mit Kultur. Ob das komplette Gebäude dafür geeignet ist, das ist fragwürdig.

Es gibt Leute, die die Stadthalle durch einen Neubau ersetzen wollen.

Einen Neubau muss man sich erst einmal leisten können. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Stadthalle nach einer fachgerechten Sanierung noch viele Jahre in Betrieb ist.

Breite Akzeptanz für Christoph 41

Auf dem Marktplatz hat sich einiges getan. Der Zuspruch ist entsprechend gewachsen. Sie sprechen sich schon lange dafür aus, den kompletten Marktplatz autofrei zu gestalten.

Dabei bleibe ich nicht nur, ich halte es für dringender denn je. Im Vergleich zu anderen Städten mit mittelalterlichem Kern sind wir hintendran. Bei uns sind die Voraussetzungen bestens: Wir haben ein tolles Parkhaus direkt unter der Altstadt. Das Citymanagement und die Werbegemeinschaft Altstadt haben sich mächtig ins Zeug gelegt, um Leben auf den Marktplatz zu bringen. Dieser Weg darf nicht enden.

OB Cohn hat ins Gespräch gebracht, den Marktplatz zunächst abends und an den Wochenenden für Autos zu sperren.

Das wäre ein Anfang, womöglich kombiniert mit kostenlosem Parken in der Tiefgarage.

Große Wellen schlägt die Zukunft des Rettungshubschraubers Christoph 41.

Es ist mir völlig unverständlich, dass ein Standort, der in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz genießt, von der Landesregierung infrage gestellt wird. Anderswo ist genau das Gegenteil der Fall. Dass das zum Landtag nicht durchdringt, ist mir unerklärlich. Von den Aspekten, die Mediziner und Rettungsexperten anführen, mal ganz abgesehen. Dass all dies nicht von den Leonberger Abgeordneten der grün-schwarzen Regierung anerkannt wird, ist hanebüchen.

Späte Informationen

Nicht minder emotional wird der Standort von Windrädern diskutiert.

Man weiß, dass man nach Baden-Württemberg kommt, wenn man keine Windräder mehr sieht. Aber im Ernst: Dass wir sie brauchen, ist doch unumstritten. Aber wie so oft beachtet man nicht ausreichend die regionalen Aspekte. Die jetzt in Rede stehenden Windräder bei Warmbronn berühren die Gebiete von Leonberg, Sindelfingen und Stuttgart gleichermaßen. Deshalb brauchen wir ein einheitliches Konzept: Wo steht ein Windrad am besten? In dieser Frage sollten sich die drei Städte zusammentun.

Wir reden über Zukunftsprojekte, dabei kommen nicht einmal die aktuellen Vorhaben voran. Das Postareal ist vor über einem Jahr beschlossen worden.

Das stimmt. Da hört man nichts. Insgesamt sind die Rahmenbedingungen schwieriger geworden. Ein Bebauungsplan hat mittlerweile 500 Seiten, weil so viele Einzelaspekte berücksichtigt werden müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Personalsituation im Rathaus nicht die beste ist. Wenn dann ein Projekt in die Gänge kommt, erfahren wir das sehr kurzfristig, oft zu kurzfristig.

Woran liegt das?

Viele Themen laufen nur über den Oberbürgermeister. Wir fragen uns, warum nicht die Dezernenten eingebunden werden. Insbesondere, dass die Zusammenarbeit zwischen OB Cohn und der Ersten Bürgermeisterin Schmid offenbar nicht rundläuft, finden wir sehr bedauerlich. In die Gründe haben wir keinen Einblick Es ist aber augenscheinlich, dass der OB kein Delegierer ist.

Liegt der teilweise Stillstand nicht auch am Gemeinderat selbst?

Das ist aus meiner Sicht nur selten der Fall. Die Abstimmungen gehen ja meistens quer durch die Fraktionen. Gelegentlich merkt man, dass der OB mehr von der SPD unterstützt wird.

Sie sind seit 1999 im Gemeinderat. Ticken die Uhren heute anders?

Die Diskussionen waren früher heftiger, aber das hängt auch mit den handelnden Personen zusammen. Die Informationsflut ist deutlich größer geworden. Aber visionäre Projekte wie die „Stadt für morgen“ hatten wir schon im Jahr 2000, damals unter dem Titel „Leonberg ist Zukunft“. Seinerzeit wurde erwogen, die Römerstraße zu unterbrechen.

Macht es Ihnen noch Spaß?

Ja. Die Stimmung ist ganz gut. Auch wenn unsere Diskussionen mitunter dauern, sind sie doch vom Versuch geprägt, gemeinsame Lösungen zu finden. Und das ist kein Fehler.

Das Gespräch führte Thomas K. Slotwinski.

Sommergespräche

Dieter Maurmaier
 gehört dem Leonberger Gemeinderat seit 23 Jahren an. Seit 2009 sitzt er zudem im Kreistag in Böblingen. Als Bauingenieur mit dem Schwerpunkt Verkehrswesen hat der Professor an der Technischen Hochschule in Stuttgart gelehrt. Mittlerweile ist er emeritiert, unterhält aber noch ein Büro für Verkehrsplanung. Entsprechend seiner Profession ist er in der Kommunalpolitik auf Verkehrsfragen spezialisiert. Der Höfinger, der am Donnerstag seinen 73. Geburtstag feierte, ist Chef der dreiköpfigen FDP-Fraktion, der noch Kurt Kindermann und David Korte angehören.

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