Klangvoll und leuchtkräftig: Die Wiedergabe der Waldsteinsonate bei den Sindelfinger Sommerserenaden war der Höhepunkt des jüngsten Konzerts. Der Abend mit dem Pianisten Pierre-Laurent Boucharlat aus Frankreich war aber auch sonst ein Erlebnis.

Wenn man will, kann man Johann Sebastian Bach als ebenso erfindungsreichen wie fleißigen Komponisten charakterisieren. Wolfgang Amadeus Mozart ist vielleicht der Göttlichste. Aber das größte Genie bleibt in der Einschätzung aller Liebhaber und Fachleute Ludwig van Beethoven – weil er letztlich unerklärbar ist. Die jüngste Sommerserenade hatte sich dem wohl populärsten aller Komponisten gewidmet.

 

Aus Frankreich gekommen war der Pianist Pierre-Laurent Boucharlat. Sabine Duffner rezitierte mitreißend und anschaulich Gedichte und las markante biografische Notizen zu Beethovens Leben. Christoph Ewers gab nachvollziehbare Erläuterungen zu den drei Sonaten. Und wer könnte besser zu Beethoven passen als Goethe?

Viele Perspektiven auf ein Genie

Ihre Bedeutung in der Kulturgeschichte ist vergleichbar, aber an diesem Abend wurde deutlich, dass sie charakterlich höchst unterschiedlich waren – auch in ihrem beruflichen Selbstverständnis innerhalb der Gesellschaft. Goethe war der vollendete Intellektuelle, Beethoven der stets überschäumende und unzähmbare Geist.

Sabine Duffner las unter anderem aus dem legendären, emotionalen Brief Beethovens an die unsterbliche Geliebte und sie fasste sich hinterher auch ans Herz. Von Heinrich Heine zitierte sie die Grenadiere, die auch von Schumann und Wagner vertont wurden und warf damit erläuternd ein Schlaglicht auf Beethovens Verachtung für Napoleon, der sich von der Idee einer republikanischen Staatsform verabschiedet hatte.

Rezitiert wurden auch Verse mit Bezügen zu Beethoven, darunter Gedichte aus dem Liederzyklus „An die ferne Geliebte“ (von Alois Jeitteles), der 1816 vertont wurde. Natürlich durften nicht fehlen der „Erlkönig“ und „Sah ein Knab’ ein Röslein“, das sich wütend wehrt, passend dazu auch die Parodie auf dieses Gedicht von Leberecht Dreves. Nachdenklich stimmend waren auch Bettina von Arnims Gedanken „Wer sich der Einsamkeit ergibt“ – die sich auf Beethovens Lebenssituation bezieht, den seine Schwerhörigkeit und spätere Taubheit immer stärker in die gesellschaftliche Isolation trieb.

Überzeugend ohne Showeffekte

Qualitätskennzeichen der von Duffner so konzipierten Abende sind die Reichhaltigkeit der verschiedenen Informationen, die unterschiedlichen Emotionsbereiche, aber auch die notwendige Prise Humor, die solch einen Abend im allerbesten Sinne unterhaltsam macht. Auf dem Klavierprogramm standen die Sonaten Fis-Dur Opus 78, die populäre Sonate Es-Dur Opus 81a mit dem programmatischen Beinamen „Les Adieux“ und die ebenso brillante wie vertrackt schwere Sonate C-Dur Opus 53, die den Namen ihres Widmungsträgers unsterblich machte: Waldstein.

Der französische Pianist verzichtete auf jegliche Showeffekte, spielte einen sehr kontrastreichen Beethoven. In der ersten Hälfte hätte man sich klanglich ein paar stimmungsvollere Lyrismen gewünscht, aber: Die reisenden Pianisten finden im Konzertsaal ja stets einen ihnen fremden, also ungewohnten Flügel.

Die Zugabe ist gesetzt

Höhepunkt des Abends war die unglaublich klangvolle und leuchtkräftige Wiedergabe der Waldsteinsonate. Wie bei den anderen Sonaten auch hatte Boucharlat Mut zu wirklich langsamen Tempi und überspielte auch bei schnellen Passagen die Geschwindigkeit nicht. So blieben alle musikalischen Gestalten sehr gut durchhörbar und entstanden plastisch nachvollziehbar vor dem geistigen Auge der Zuhörers. Ganz besonders innig gestaltete er den langsamen Satz, wechselte ausdrucksvoll zwischen laut und leise und realisierte auch den für damalige Verhältnisse revolutionären, mit viel Pedaleinsatz beabsichtigen Klangteppich, der weit in die Romantik vorausweist. Auch die rasende Tempoverdopplung im Schlusssatz beherrschte er expressiv und mitreißend.

Boucharlat: „Beethoven ist für mich der vermutlich komplexeste Komponist überhaupt. Wenn man überlegt, dass er nur wenige Jahre nach Mozart die Musiksprache in Richtung Expressivität revolutionierte und wie spannungsvoll das Verhältnis zwischen Formensprache und romantischer Emotionalität blüht, so bleibt eine Charakteristik vom unfassbarer Größe.“

Seine Kommunikation mit Beethoven zum Publikum wurde mit viel Applaus bedacht. Als Zugabe gab es: Beethoven.