Im Fundus der Ludwigsburger Akademie für Darstellende Kunst wird zwar auch gewaschen, vor allem aber werden Kleider kunstvoll verdreckt.

Ludwigsburg - Mit der Einstellung einer fleißigen Hausfrau wäre Szidonia Pakozdy falsch in ihrem Job. In der Kostümwerkstatt der Ludwigsburger Akademie für Darstellende Kunst, wo sie den Kostümfundus betreut und die Studierenden bei der Umsetzung ihrer Entwürfe unterstützt, wird zwar auch gewaschen – aber vor allem verdreckt. Auf dem großen Holztisch in der Mitte liegt eine Arbeit zum Thema „Ein Kleidungsstück erzählt eine Geschichte“: das kurze, helle Kleid mit dem aufgemalten Hemdkragen ist täuschend echt präpariert; gelbliche Schaumgummi-Kotzbröckelchen und erdige Flecken am Saum wirken, als habe sich eine Pubertierende nach einer eskalierten Schulfete auf dem Nachhauseweg im Wald verirrt. Aufgabe bestanden. Für den heimischen Kleiderschrank sind diese Klamotten allerdings nicht gedacht. Was hier produziert wird, erweitert meist den Fundus.

 

Auf der einen Seite der Werkstatt stehen Puppen mit ausgestellten Frackschößen aus glänzendem Stoff, auf der anderen dutzende Hutformen im Regal. Nähmaschinen ruhen auf den Tischen. „Mein Fuhrpark“, sagt Pakzody. Die Vorlesung für die angehenden Kostüm- und Bühnenbildner übernimmt eine Professorin, das Praktische ist Pakzodys Part.

Der deutsche Rock um 1800

Als sie im Sommer vor drei Jahren hier anrückte, waren die Räume alle leer. Ihre Aufgabe war es erstmal, die Werkstatt und den Kostümfundus so einzurichten, dass der Theaternachwuchs eigene Produktionen meistern kann. Also ließ sich die Kunsthistorikerin, die vor ihrem Studium eine Ausbildung als Schneiderin gemacht hatte, vom Stuttgarter Staatstheater beraten, dachte sich ein Hängesystem aus, wählte Kleiderbügel, organisierte die Ausleihe, kaufte in Second-Hand-Läden ein und nahm Kleiderspenden von den Familien der Studenten an.

Im Hüten fremder Kleiderschränke hatte die 54-Jährige, die ihre Abschlussarbeit über den deutschen Rock um 1800 geschrieben hat, damals schon einige Erfahrung. Für das Land hatte sie die in der Grabkapelle auf dem Württemberg hinterlegte Kluft von Königin Katharinas orthodoxer Truppe inventarisiert. In der Ludwigsburger Residenz durchforstete und sortierte sie tausende Stücke königlichen Hausrats, die zum Teil in ein temperaturbeständiges Depot überführt werden mussten: „Ich hab’ da ein bisschen Ordnung gemacht.“ Und für eine große Textilausstellung des Stuttgarter Lindenmuseums rollte sie unter anderem asiatische Totentücher auf. Denn ordentlich gefaltet werden dürfen die wertvollen alten Stoffstücke nicht – wegen der Bruchgefahr.

Abgekackte Puppenköpfe

Für den schonungslosen Gebrauch sind dagegen die Klamotten im Fundus bestimmt. Bis maximal Konfektionsgröße 40 („Die meisten Schauspieler sind sehr schlank.“) warten hier Kleider aus Polyester und dicker Wolle, Hemden und Hosen in den verschiedensten Weiß- und Grautönen und Fettanzüge, die künstliche Speckröllchen unters Gewand zaubern, auf ihren Auftritt. In Kisten daneben: Tücher und Stirnbänder, Strümpfe und Brillen. Und am Boden neben dem gut bestückten Schuhregal ein Paar Gummistiefel mit Leopardendruck. Über einem Ständer hängt ein ausladender rosa Büstenhalter, in den der Hängebusen aus mit viel Reis gefüllten Netzstrumpfsäckchen bereits eingenäht worden ist. Alles ordentlich verstaut.

In der Waschküche dagegen sieht es chaotischer aus. Abgehackte Puppenköpfe ruhen auf den Bügelbrettern. Gebügelt werde ja nur nach Bedarf, sagt Pakozdy. Es wäre vergebliche Liebesmüh’, wenn für den nächsten Bühneneinsatz sowieso Ausgebeultes und Zerschlissenes benötigt werde.

Windsor-Purple und Madonna-Blau

Deshalb lernt man in diesen Räumen auch das geschickte Ombrieren und Patinieren. So werden mit unterschiedlichen Tönen zum Beispiel absichtlich Kleidersäume in grauen Schattierungen verfärbt, damit es aussieht, als sei die Trägerin erschöpft durch Wasser gewatet. Hier wird mit edel klingenden Farben wie „Windsor Purple“ und „Madonna-Blau“ experimentiert. Und ein zerrissener Gürtel ist auch noch was wert, wenn man ihn zum Lederriemen umfunktioniert. Mit der richtigen Mischung aus geordneten Strukturen und fantasievollem Freiraum hat Szidonia Pakozdy die Werkstatt ausgestattet. Und wenn es doch mal erwünscht sein sollte, weiß sie auch, wie man Flecken entfernt.