Ursprünglich war der Wilhelmshof eine Domäne der Herren von Württemberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gut aufgeteilt und verkauft, die Einwohner wechselten von Heutingsheim nach Bietigheim – und wurden erfolgreiche Geschäftsleute.

Bietigheim-Bissingen - Es ist gut 50 Jahre her, dass Friedrich Lindner mit ein paar anderen Kindern der Grund dafür war, dass der Wilhelmshof fortan nicht mehr zu Heutingsheim (heute Freiberg), sondern zu Bietigheim gehörte. 1958 beantragten 24 Bewohner des Hofs eine Umgemeindung bei den Gemeinderäten der beiden Kommunen. Als Grund gaben die Bewohner die Kleinkinder an, die auf dem Hof lebten – vor allem die Schulkinder. Sie sollten die Chance erhalten, weiterführende Schulen zu besuchen. Die sahen die Wilhelmshöfer eher in Bietigheim gegeben als beim kleineren Nachbarn in Heutingsheim – zumal die Wege in die größere Stadt besser ausgebaut waren. Die Gemeinderäte beider Kommunen stimmten der Idee zu, ein Bürgerentscheid fiel eindeutig aus und so trat am 1. April 1960 die Umgemeindung in Kraft. Der Wilhelmshof gehörte von diesem Tag an zu Bietigheim, die damals selbstständige Gemeinde Heutingsheim erhielt eine Entschädigung von 65 000 Mark.

 

Der wohl kleinste Stadtteil von Bietigheim-Bissingen

Bis heute gilt diese Einteilung, womit der Wilhelmshof, der nördlich des Ludwigsburger Schloss Monrepos, zwischen Freiberg und Tamm liegt, der wohl kleinste Stadtteil von Bietigheim-Bissingen sein dürfte. Und auch Friedrich Lindner lebt heute wieder an dem Ort, an dem er vor 59 Jahren geboren wurde.

Zwar verließ er nach seiner Schulzeit in Bietigheim den Hof, ging zur Bundeswehr und zum Studium nach München. Doch vor 26 Jahren kehrte er zurück. Dorthin, wo schon seine Eltern, seine Großeltern und auch die Urgroßmutter gelebt hatten. Dorthin, wo seine Familie schon zu Zeiten der Könige von Württemberg als Verwalter des Wilhelmshofs gearbeitet hatten. Dorthin, wo seine Familie nach Ende des Zweiten Weltkriegs einen Teil des ehemaligen Hofguts gekauft hatte.

Die Schweinezucht, die seine Eltern nach dem Krieg gegründet und bis 1989 betrieben hatten, wollte Lindner aber nicht weiterführen. Er hatte andere Pläne. Er ließ den Betrieb mit immerhin 500 Schweinen auslaufen, baute die Stallboxen aus und eine Tierarztpraxis ein. Dort, wo früher Sauen gemästet wurden, röntgt und operiert er nun Pferde.

Für Tierarzt Lindner ist der Hof ein Standortvorteil

Heute sagt Lindner, dass der Standort seiner Praxis, draußen auf dem Land, „immer ein Vorteil“ gewesen sei. Tierische Patienten, die noch auf ihre Behandlung warten würden, könnten mit ihren Besitzern eine kleine Runde über die Felder drehen, bei gutem Wetter könne man vor der Praxis in der Sonne sitzen und einen Parkplatz müsse man auch nicht lange suchen. „Für uns hat der Standort nur Gutes“, sagt Lindner. Mit fünf weiteren Tierärzten betreibt er mittlerweile die Praxis, spezialisiert ist das Team vor allem auf Pferde und Kleintiere. Seit Jahren ist Lindner auch Turniertierarzt beim Beitigheimer Pferdemarkt. Gemeinsam mit seiner Frau und den Kindern lebt Lindner im Haus über den Praxisräumen, so kann er auch bei Notfällen, am Wochenende oder in der Nacht schnell am OP-Tisch stehen.

Drei Unternehmen haben ihre Wurzeln auf dem Hof

Doch das Leben auf dem Land hat auch seine Nachteile. Der Handyempfang auf dem Wilhelmshof ist nur mäßig, die alten Telefonleitungen der Telekom sind für heutige Breitband-Anschlüsse nicht gemacht. Den Internetanschluss, auch für die Praxis, beziehen die Lindners daher über eine LTE-Box – wenn das Wetter denn passt. Ist der Himmel trüb, ist auch der Empfang auf dem Wilhelmshof eingeschränkt.

So manches Mal hätten seine Kinder den Hof verflucht, vor allem in der Pubertät, sagt Lindner. Doch alles in allem würde die Familie das Leben in der Natur genießen – „vor allem den Platz und die Ruhe“.

Das Wörsinger-Mineralwasser wird in der Nähe gewonnen

Von den Familien, die nach dem Krieg einzelne Teile des ehemaligen Gutshofs kauften, hat aber nicht nur der Tierarzt inzwischen einen gut funktionierenden Betrieb. Die Familie Benninger gründete vor Jahrzehnten eine Spedition auf dem Wilhelmshof, inzwischen firmiert das Unternehmen unter dem Namen Benninger&Föll in Abstatt. In seiner Jugend, erinnert sich Lindner, fuhren regelmäßig schwere Lastzüge zwischen den wenigen Häusern hindurch. „Seither weiß ich auch, wie man bei einem Lkw den Motor austauscht.“ Als Nachbarn habe man sich eben untereinander regelmäßig geholfen.

Die Wörsinger Mineralquellen sind ein drittes Unternehmen mit Wurzeln auf dem Wilhelmshof – im wahrsten Sinne des Wortes. Abgefüllt werden die Sprudel-Flaschen mit der schneckenförmigen Muschel auf dem Etikett zwar in einem Industriegebiet in Bietigheim-Bissingen. Der tiefe Brunnen, aus dem das Mineralwasser gewonnen wird, liegt aber ganz in der Nähe von Friedrich Lindners Praxis. Der 59-Jährige hat eine einfache Erklärung dafür, warum ausgerechnet auf dem kleinen Wilhelmshof drei so unterschiedliche Unternehmen ihren Ursprung genommen haben: „Als die Landwirtschaft hier niederging, musste man sich eben etwas einfallen lassen.“