Hauptsache draußen: die Songtage am See in Böblingen sind eine gute Adresse für Singer und Songwriter. Seit rund zehn Jahren schwappt diese neue deutsche Welle durch die Republik.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Tex Drieschner ist voll des Lobes für Böblingen: „Die Stadt hatte den richtigen Riecher“, sagt der Berliner Singer und Songwriter. Weil sich die Bürger im Sommer mehr Programm wünschten, initiierte das Kulturamt kurzerhand die Songtage am See. Mittlerweile zum vierten Mal holt das Festival drei Tage lang die moderne Version des deutschen Liedermachers auf die Bühne. „Die Leute haben Lust, im Sommer zu chillen“, sagt Tex, der als Künstler auf seinen Nachnamen verzichtet. Und genau dieses Bedürfnis decken die Singer und Songwriter ab – indem sie eher leise und sehr direkt mit ihrer Musik Geschichten erzählen. „Das Festival ist ein cleverer Zug, der Bedarf wird noch größer werden“, davon ist der Berliner überzeugt.

 

Angetrieben von erfolgreichen Protagonisten

Seit rund zehn Jahren schwappt durch Deutschland eine Art neue deutsche Welle angetrieben von erfolgreichen Protagonisten wie Philipp Poisel oder Max Giesinger. Sie nennen sich nicht mehr nur einfach Liedermacher wie einst Hannes Wader und Konstantin Wecker, sondern Singer/Songwriter. „Ich nehme das Phänomen auch zur Kenntnis“, sagt Peter James. Der Leiter des Popbüros Region Stuttgart hat eine pragmatische Erklärung dafür: Alleine Musik zu machen, sei wesentlich unkomplizierter als mit einer Band, der Aufwand für Auftritte geringer, und das Publikum durchaus zugänglich für diesen Musikstil. „Im Rock-Pop-Bereich ist jede Notenkombination schon ausprobiert worden“, erklärt er weiter. Das Singer-Songwriter-Genre sei dagegen relativ offen.

„Es geht um die Einheit vom Erschaffen des Stücks und seiner Interpretation“, lautet Tex’ Definition der Stilrichtung. Oftmals seien die Lieder sehr auf die Stimme reduziert und alles drumherum diene ihrer Unterstützung. Den Unterschied zu den Liedermachern sieht er im Anspruch: Während sich die einen als musikalische Handwerker sahen, würden sich Singer/Songwriter eher als Künstler begreifen, die etwas Besonderes hervorbringen wollten. Die Grenze zur Popmusik zieht der Berliner anhand ihrer deutlich voluminöseren Instrumentalisierung. Philipp Poisel, Max Giesinger oder Tim Bendzko würde er auch längst letzterem Genre zuordnen. Der wahre Singer/Songwriter ist abseits des Mainstreams und des kommerziellen Erfolgs zu finden – und damit bei den Böblinger Songtagen, die genau diesen Anspruch haben.

Bob Dylan und Tom Waits als Vorbilder

Voodoo Jürgens heißt der Hauptact am Donnerstag, 3. August: Der Österreicher hat Größen wie Bob Dylan, Leonard Cohen und Tom Waits als Vorbilder und gerade sein Erstlingswerk vorgelegt. Tex ist am Freitag, 4. August, an Gitarre und Klavier zu hören. Seine Spezialität sind Duette mit virtuellen Gästen. Am Samstag, 5. August, steht mit Enno Bunger ein lupenreiner Vertreter des Singer- und Songwritertums auf der Bühne: Als „exzellenter Geschichtenerzähler“ sowie als „reduziert, zerbrechlich, intim, warm und nah“ wird er in der Ankündigung beschrieben.

„Leute, die das Genre schätzen, wollen gern berührt werden“, sagt Tex. Die Beziehung zwischen dem Künstler und seinem Publikum sei viel näher und direkter. Der Berliner Musiker kann sich gut vorstellen, dass Singer und Songwriter gerade deshalb so beliebt sind, weil sie eine Gegenbewegung verkörpern. „Wir leben in einer lauten Welt“, sagt er, da sei diese Art von Musik eine willkommene Alternative. Sie bildet seiner Meinung nach einen starken Kontrast zu Internetplattformen wie Facebook oder Instagram, wo der Mensch pausenlos mit Input gefüttert wird. Tex rechnet deshalb damit, dass sich Böblingen mit seinen Songtagen einen Namen machen wird. Denn bisher sei der Sommer vor allem die Zeit der geräuschvollen Elektronik oder Rock-Festivals gewesen.

Nur Bernd Begemann leidet ein wenig an der Entwicklung. 1992 sei er als Solokünstler von Veranstaltern weggeschickt worden, weil er keine Band im Rücken hatte. „Jetzt werden Bands weggeschickt, weil das Schlagzeug zu laut ist!“ Bei den Songtagen wird er sich über alle Genregrenzen hinwegsetzen. Der Hamburger versteht sich als „elektrischer Liedermacher“, der mit einer Popband tourt und Hip-Hop-Beats, Rock’n’Roll sowie Schlagerelemente mischt. „Wir können die Leute zum Tanzen bringen“, lautet sein Versprechen für den Samstagabend in Böblingen. Das Singer/Songwritertum ist für ihn zum Volkssport geworden mit „Myriaden an Troubadouren“, die mit „dem Gehabe der Poesie daherkommen“, große Substantive benutzten, aber wenig Substanz zu bieten haben. „Die Prätention ist echt eine Pest“, schimpft er, statt „düsterer Vieldeutigkeit“ fordert er wieder mehr Entertainment.