Der Apotheker Christoph Gulde lässt es sich nicht nehmen, 1000 Medikamente jährlich selbst herzustellen. Ansonsten schlägt sich der Inhaber der Solitude-Apotheke in Stuttgart-Weilimdorf viel mit der Bürokratie des Gesundheitswesens herum.

Nachrichtenzentrale: Andreas Schröder (sö)

Stuttgart - Durchquert man den Laden, an den hellen, aufgeräumten Regalwänden und den Kassen vorbei, dann betritt man den Teil der Apotheke, der zumindest zum Teil noch so aussieht, wie Apotheken früher einmal ausgesehen haben. Das große Holzregal steht voller brauner Flaschen mit Etiketten, davor sind Mörser und Stößel platziert, ganz so als würden sie demnächst benutzt, um Zutaten für Tinkturen zu produzieren. In Gebrauch sind freilich weder Flaschen noch Stößel, sie sind Reminiszenzen und verweisen auf die Geschichte der Solitude-Apotheke in Stuttgart-Weilimdorf. Christoph Gulde hat miterlebt, wie sein Großvater, der das Geschäft 1937 eröffnet hat, und seine Mutter die Utensilien benutzt haben. Apotheker Gulde, der an der Universität Tübingen sein Pharmaziestudium abgeschlossen hat, führt die Solitude-Apotheke in der dritten Generation.

 

Nicht nur fertige Medikamentenpackungen über den Verkaufstresen zu reichen, sondern Arzneimittel auch selbst herzustellen, das ist dem 60-Jährigen noch immer ein Anliegen. Immerhin 1000 Produkte jährlich werden in der Solitude-Apotheke für Kunden gemischt und angerührt. „Die individuelle Arzneimittelherstellung ist eine Kernaufgabe des Apothekers“, sagt Gulde. Und der will er weiter nachgehen, auch wenn diese Handarbeit für ihn nicht kostendeckend sei; für die Herstellung beispielsweise einer Salbe erhalte er gerade einmal fünf Euro netto (plus Verpackung und Mehrwertsteuer), auch wenn die Herstellung eine Stunde dauere, sagt Gulde.

In diese ureigene Aufgabe des Pharmazeuten investiert er trotzdem gerne seine Zeit, eher als notwendiges Übel hingegen sieht der Ur-Weilimdorfer, der im zweiten Stock des Apotheken-Gebäudes zur Welt gekommen ist, viele Aufgaben, die nichts mit seinem eigentlichen Beruf zu tun haben. Insbesondere die Abrechnungen für die gesetzlichen Krankenkassen und der damit verbundene bürokratische Aufwand „belasten den Arbeitsalltag enorm“, sagt Gulde, der die Apotheke 2016 im 30. Jahr führen wird.

Der Vorname des Arztes muss auf dem Rezept stehen

Seit dem 1. Juli beispielsweise bekommt er, seine Mitarbeiter und die Kunden Wallungen, dass der Vorname des Arztes, der das Rezept ausstellt, zwingend vermerkt sein muss. Fehlt er, lehnt die Krankenkasse die Erstattung der Kosten des Medikamentes ab; Nacharbeiten sei zwecklos, der Fall mit der Ablehnung abgeschlossen und das Geld für die Apotheke verloren, sagt Gulde. „Formale Fehler in Arztrezepten, die von uns nicht erkannt werden, gehen zu Lasten der Apotheke.“ Da hilft nur erhöhte Aufmerksamkeit. Zwei Stunden täglich verwenden der Apotheker und sein Team auf „Extremkontrollen“, zwei Stunden, um Rezepte auf formale Richtigkeit zu kontrollieren.

Auch die 2007 eingeführten Rabattverträge, die die gesetzlichen Kassen mit Pharmaherstellern schließen, um die Arzneimittelkosten zu senken, bedeuteten Mehrarbeit: Es dürfen nur Medikamente des jeweiligen Rabattpartners der Krankenkassen ausgegeben werden; ändert sich der, bekommen die Kunden ein anderes Arzneimittel – mit demselben Wirkstoff zwar, aber das den Patienten zu erklären, koste Zeit, sagt Gulde. Im Computer jedes Mal aufs Neue den mit der Kasse vertraglich verbundenen Hersteller zu suchen, dauert nach seiner Erfahrung pro Rezept drei Minuten länger, als wenn man einfach gemäß dem Arztrezept handeln könnte.

Zwar senken die gesetzlichen Kassen mit Hilfe der Rabattverträge die Arzneimittelkosten um drei Milliarden Euro pro Jahr – was bei etwa 30 Milliarden Euro Kosten für Medikamente 2014 eine stattliche Summe ist, wie Gulde einräumt. Aber „krank“ findet er die Verträge trotzdem, weil „Vertrauen in das Arzneimittel ein großer Teil der Therapie ist“. Und das gehe verloren, weil viele verunsichert seien, wenn sie nicht exakt das verordnete Mittel mit dem ihnen vertrauten Namen einnehmen dürften. „Gerade viele ältere Menschen kommen mit dem andauernden Wechsel nicht mehr klar.“

Investitionen von 20 000 Euro im Jahr

Gulde führt seine Apotheke nach eigenen Angaben wie einen mittelständischen Betrieb: Personalplanung, Buchführung, Warenmanagement, jährliche Investitionen. Allzu oft sehen sich Apotheker dem Vorwurf ausgesetzt, nicht betriebswirtschaftlich genug zu denken, auch weil die Vergütung rezeptpflichtiger Arzneimittel gesetzlich geregelt ist. Gulde beschäftigt sieben Mitarbeiter im Alter zwischen 20 und 63 Jahren, um Ansprechpartner für alle Kundengruppen zu haben, wie er sagt. Jahrzehntelange Lebens- und Berufserfahrung gepaart mit aktuellem Wissen: „Die jungen Mitarbeiter sind nahe an der neuesten Wissenschaft dran.“ Eine seiner drei Apothekerinnen hat erst vor fünf Jahren die Universität verlassen. Von den vier pharmazeutisch-technischen Assistentinnen (PTA) in Teilzeit kommt eine Mutter zwar nur vier Stunden wöchentlich, aber wichtig sei ihr Mitwirken für beide Seiten: Die Angestellte bleibe in Übung, ihre Qualifikation dem Betrieb erhalten. Lohn seiner Bemühungen ist die Treue der Beschäftigten: Eine PTA arbeitet seit 42 Jahren in der Solitude-Apotheke.

Personalplanung beschäftige ihn ständig, sagt Gulde. Die EDV zeige genau auf, zu welchen Zeiten wie viele Kunden in den Laden kommen. Entsprechend sähen die Einsatzpläne aus – wobei es für Gulde „aus Gründen der Fairness“ nicht in Frage kommt, Mitarbeiter nur stundenweise in Stoßzeiten einzusetzen. Er hält sich den Sonntag frei, samstags steht er nicht im Laden, weil er mit Controlling und Abrechnungen beschäftigt ist.

Gulde investiert nach eigenen Angaben im Schnitt jährlich etwa 20 000 Euro in die Apotheke; so wird das EDV-Equipment alle drei Jahre erneuert, mittlerweile sind fünf Kassen gleichzeitig in Betrieb, weil man sich im Schnitt mit jedem Kunden länger beschäftige als früher. Im vergangenen Jahr hat Gulde ein Infrarot-Spektrometer (zur Kontrolle von Ausgangsstoffen und Rezepturen) für 25 000 Euro angeschafft, perspektivisch soll ein Warenautomat die Regale ersetzen. Etwa 14 000 Packungen hat Gulde vorrätig, neun von zehn rezeptpflichtigen Produkten seien verfügbar, der Rest müsse beim Medikamenten-Großhandel bestellt werden; eine spezielle Software regelt das Warenmanagement.

Nicht-verschreibungspflichtige Produkte wie Magen-Darm-, Erkältungs- oder Schmerzmittel sind – wie bei den meisten Apotheken – für Gulde „ein wesentlicher Umsatz- und Ertragsbringer“. Über die Kennzahlen seines Betriebs sagt er nichts, eine durchschnittliche Apotheke aber komme jährlich auf zwei Millionen Euro Umsatz. Davon entfielen 60 Prozent auf die Erstattung gesetzlicher Kassen, zehn Prozent auf die der privaten Krankenversicherer, 30 Prozent würden mit rezeptfreien, aber apothekenpflichtigen Arzneien umgesetzt.