Bis zu 200 Zuhörer haben sich am Freitagabend eingewählt, um das Konzert des Sonderegger Duos in der Waiblinger Galerie Stihl zu hören. Weil die Einrichtung wegen der Corona-Pandemie geschlossen ist, spielten die Musiker im leeren Saal, das Publikum saß daheim am Monitor.

Waiblingen - Freitagabend, noch zehn Minuten bis 19 Uhr. Jetzt schnell ein Tässchen Tee brauen, dann ab aufs Sofa. Denn demnächst beginnt das Klassikkonzert im eigenen Wohnzimmer. Wie bitte? Ja, denn die Brüder Alexander und Eduard Sonderegger kommen mit Violine und Flügel ins Zuhause und spielen Sonaten von Johannes Brahms. Das Team der Galerie Stihl in Waiblingen und ihr Förderverein machen es möglich: anstatt das für diesen Abend angekündigte Kammerkonzert mit dem Sonderegger Duo aufgrund der Corona-Epidemie abzublasen, haben sie sich dafür entschieden, die Veranstaltung kostenlos per Livestream direkt in die guten Stuben zu übertragen.

 

Die nötige Ausrüstung und das technische Know-How komme aus dem Bürgerzentrum, erklärt Daisy Dedner vom Kulturamt vor Konzertbeginn: „Wir hatten schon letztes Jahr bei der Internationalen Opernwerkstatt Liveübertragungen gemacht, das kommt uns nun zugute.“ Einen erfolgreichen Testlauf im Rahmen des von Daisy Dedner koordinierten und durch das Coronavirus ausgelösten Programms „Kultur kommt nach Hause“ hatte es Anfang April gegeben, als sich beim „Singen für alle“ Sangesfreudige aus Waiblingen und dessen Partnerstädten zusammenfanden und gemeinsam, aber räumlich getrennt, mit Moderator Patrick Bopp Songs wie „Je ne regrette rien“ „Volare“ oder „All you need is love“ schmetterten.

Kultur genießen – vom Sofa aus

Solche Aktionen freuen nicht nur die, denen in Corona-Zeiten die Kultur fehlt, sondern auch jene, die gerne öfter mal solche Events genießen würden, aber freitagabends zu schlapp für Unternehmungen sind. Und auch der treue Vierbeiner findet es gut: so muss er nicht alleine auf dem Sofa ausharren, sondern hat Gesellschaft.

Noch drei Minuten bis zum Konzertbeginn, zu sehen sind Notenständer und ein schwarzer Flügel. Im Hintergrund an der Wand hängen Bilder aus Max Klingers Grafikzyklus Brahmsphantasie. Denn der Künstler, dem die Galerie Stihl eine Ausstellung gewidmet hat, war ein großer Verehrer des Komponisten.

Pünktlich um 19 Uhr treten Eduard und Alexander Sonderegger ins Bild, inzwischen haben sich 150 Zuschauer zugeschaltet – im Laufe des Konzerts werden es zeitweise deutlich mehr als 200 sein. Alexander Sonderegger setzt sich ans Klavier, sein Bruder Eduard begrüßt, Violine in der Hand, das Publikum an den Monitoren und erklärt mit Blick auf die junge Frau an seines Bruders Seite: „Alexanders Frau Alena wird beim Umblättern helfen. Da sie gemeinsam in einem Haushalt leben, erfüllen wir die Vorschriften.“

Kein Husten und kein Räuspern stört das Konzert

Einige einführende Worte darüber, dass Max Klinger Johannes Brahms verehrte und letzterer Klingers Kunst schätzte, dann legen die Brüder los mit der Sonate Nr. 2 in A-Dur. Alles läuft rund, kein ruckelndes Bild, die Tonqualität ist gut. Kein Huster und kein Räuspern aus dem Publikum stört den Musikgenuss. Und den mittlerweile selig schnarchenden Hund auf dem heimischen Sofa hört zum Glück sonst keiner. Zwar kommentieren die Zuhörer das Konzert nebenher eifrig, doch auch das stört nicht, denn sie tun es schriftlich. „Wunderbare Idee“ schreibt einer, „schönes Konzert“ ein anderer.

Das Konzert dauert 45 Minuten, dann spielen die Brüder noch den Ungarischen Tanz als Zugabe – und die Veranstaltung ist zu Ende. Auf hörbaren Applaus müssen die Musiker bei diesem etwas anderen Konzertabend zwar verzichten, doch der schriftliche Zuspruch ist groß. „Danke, das war Balsam für die Seele“, bedankt sich im Chat ein Zuhörer.

Eine Mischung aus Livekonzert und Studioaufnahme

Und wie haben die Musiker das Konzert erlebt? „Das war für uns das erste Konzert dieser Art und eine ganz neue Erfahrung“, sagt Alexander Sonderegger im Anschluss an die Veranstaltung. Es habe sich wie eine Mischung aus einem Livekonzert und einer Studioaufnahme angefühlt, ergänzt sein Bruder: „Man kann vieles daraus lernen.“ Die Akustik des großen Galerieraums und der dadurch entstehende Rückhall hätten die Aufgabe für die Tontechniker nicht ganz einfach gemacht: „Aber sie haben das Beste rausgeholt.“

Auch für sie, die Musiker, sei es eine ungewohnte Situation und schwierig gewesen, den Klang und die Lautstärke einzuschätzen, die beim Publikum ankommen. Weil letzteres nicht sicht- und hörbar war und es keine direkte Rückmeldung gab, habe es etwas an Lebendigkeit gefehlt, sagt Alexander Sonderegger: „Aber direkt nach dem Konzert haben wir viel mehr Nachrichten bekommen als sonst.“ Und besser als eine Absage sei das Konzert natürlich allemal: „Eine Absage hätten wir schade gefunden. Wir haben uns gefreut dass es zustande kam und die Zuschauer sicher auch.“ Würden sie es noch mal machen? „Auf jeden Fall“, sagt Eduard Sonderegger, der derzeit mit seinem Bruder auf konkrete Nachrichten dazu wartet, wann Auftritte vor Publikum in einem Saal wieder erlaubt sein werden.

Und wie geht es in Waiblingen weiter? Daisy Dedner sagt, ihre Planungen für weitere Kulturabende stünden bis zum 24. April, es werde aber wohl auch darüber hinaus weitergehen. Das Singen mit Patrick Bopp etwa werde vermutlich bald ein weiteres Mal über Livestream stattfinden.

Nachhören kann man das Konzert hier.

Kulturangebote trotz geschlossener Einrichtungen

Auch wenn bedingt durch die Auswirkungen des Coronavirus deutlich weniger los ist, so muss doch keiner ganz auf Kultur verzichten. Hier eine kleine Auswahl:

Fellbach:
Donnerstags von 20 Uhr an bietet die Stadt auf ihrer Internetseite „Kultur für daheim“, zuletzt eine Lesung mit Mörike-Texten.

Waiblingen:
„Kultur kommt nach Hause“ ist jeweils von 19 Uhr an das Motto, zu finden ist das Angebot auf der Facebook-Seite „Waiblingen Stadtportal“, auf Instagram unter „kulturinwaiblingen“ und im Nachhinein auch auf der Seite www.waiblingen.de. Immer montags wird ein Exponat aus der Sonderausstellung „Luise Deicher – eine Malerin auf Achse“ vorgestellt, dienstags sind musikalische Grüße und Konzertmitschnitte der Teilnehmer der Internationalen Opernwerkstatt 2019 zu hören. Mittwochs wird ein Exponat aus der Ausstellung „Liebe, Traum und Tod. Max Klingers druckgrafische Folgen“ in der Galerie Stihl erläutert, donnerstags steht ein Objekt aus der Dauerausstellung des Stadtmuseums im Fokus. Freitags werden Konzert- und Theatermitschnitte aus dem Bürgerzentrum gezeigt.

Weinstadt
: Weil das Strickcafé im Heimatmuseum Pflaster 14 derzeit nicht stattfinden kann, gibt es ein Online-Strickcafé mit kompletter Anleitung und Tutorial für Strickfans.

Welzheim:
Das Heimatmuseum bietet unter www.museumwelzheim.de einen Einblick in seine Ausstellung „Frühling, ja du bist’s“ mit Kunstwerken aus Teilen von Blüten, Moosen und Gräsern.

Winnenden:
Um das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Geschehnisse in Winnenden, die sich anhand zahlreicher Berichte und Abbildungen rekonstruieren lassen, dreht sich von 21. April an bis zum 22. Mai eine Ausstellung auf der Internetseite www.winnenden.de. Zu Wort kommen auch Zeitzeugen