Der eigens berufene Sonderermittler zur Spionageaffäre wirft den USA Vertragsbruch vor. Das ist auch für die Bundesregierung ein peinlicher Befund.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Es war ein Kunstgriff der Bundesregierung, um den öffentlichen Schaden möglichst klein zu halten. Deshalb hat sie die Selektorenliste des amerikanischen Geheimdienstes NSA (National Security Agency) für die Kollegen vom Bundesnachrichtendienst seinerzeit nicht dem Untersuchungsausschuss zugänglich gemacht, sondern einen Sonderermittler ernannt. Aber nachdem der ehemalige Bundesrichter Kurt Graulich, der für diese Aufgabe auserkoren war, nach monatelanger Arbeit seinen Abschlussbericht fertig hat, ist klar: Durchschlagend war der Erfolg der Schadensbegrenzung nicht.

 

„Spähaktivitäten sind nicht vom Vertrag gedeckt“

Auf 300 Seiten kommt Graulich zu einem nicht nur für die USA, sondern auch für die Bundesregierung peinlichen Befund. Er wirft dem US-Geheimdienst NSA klaren Vertragsbruch vor. Die NSA haben mit den übermittelten Suchbegriffen (Selektoren) „in einer überraschend großen Zahl von Fällen“ den Schutz deutscher Bürger missachtet. Noch gravierender sind nach Graulichs Bewertung die Spähaktivitäten in Europa. „Die Aufnahme der E-Mail-Adressen ganzer Bürostäbe europäischer Regierungen ist ein offensichtliches Übermaß, das nicht vom Memorandum of Understanding gedeckt ist“, schreibt er. In diesem Vertrag sind die Grundlagen der geheimdienstlichen Zusammenarbeit festgelegt. Die Betrachtung im Einzelnen habe erbracht, „dass sie sich zum allergrößten Teil auf Regierungseinrichtungen beziehen, die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in der erfolgten Breite hätten aufgeklärt werden dürfen“, heißt es auf Seite 187 des Ermittlungsberichts.

Darüber hinaus legt der Sonderermittler offen, dass mehr als 70 Telefonnummern von Eurocopter und EADS sowie weitere Unternehmen auf der Selektorenliste standen. Ob dabei Wirtschaftsspionage betrieben werden sollte, oder ob es um Aufklärung zu militärischen Zwecken ging, lässt der Sonderermittler offen. 2005 habe der BND festgestellt, dass dies gegen deutsche Interessen verstoße; im Januar 2006 habe die BND-Dienststelle bestätigt, dass diese Selektoren nicht mehr verwendet würden. Nicht nur wegen der Quantität der Verstöße ordnet Graulich die Aktivitäten als gravierenden Vertragsbruch ein. Vor allem die Spähaktivitäten, die im Widerspruch zu den Europa-Einschränkungen stünden, hält er für „bündnispolitisch prekär“.

SPD sieht schwere Organisationsmängel beim BND

Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses Patrick Sensburg (CDU) räumte ein, dass die Amerikaner durch das Einstreuen deutscher Ziele Vereinbarungen gebrochen hätten. „Das ist ein Verstoß und der gehört abgestellt“, ergänzte er. Der SPD-Obmann Christian Flisek hob hervor, dass Graulich mit dem Bericht seine Unabhängigkeit unter Beweis gestellt und schwerwiegende Organisationsmängel beim BND aufgedeckt habe.

Mit einer Presseerklärung reagierte die Bundesregierung auf den ersten Artikel über die Erkenntnisse des Sonderermittlers bei „Spiegel Online“. Als Konsequenz aus den Erkenntnissen Graulichs werde Berlin dem eigenen Auslandsgeheimdienst neue Regeln verordnen. Dazu habe die Bundesregierung bereits im Frühjahr Weisungen erteilt, um technische und organisatorische Defizite zu beheben. Jetzt werde es eine „klarstellende gesetzliche Regelung zur strategischen Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes“ geben, fügte Regierungssprecherin Christiane Wirtz hinzu. Details nannte sie nicht. Auch einen Zeitplan könne sie nicht nennen, da ein solches Gesetz vom Bundestag erarbeitet werden müsse. Außerdem will das Kanzleramt die Prioritäten im Auftragsprofil für den BND überarbeiten und die Einbindung anderer Ressorts in die Steuerung des Bundesnachrichtendienstes intensivieren.

Opposition lehnt Graulich-Bericht als inakzeptabel ab

Die Fraktionen von Linken und Grünen reagierten unzufrieden auf Graulichs Bericht. Zum einen erneuerten die beiden Oppositionsfraktionen ihre Kritik daran, dass die Regierung sich mit dem von ihr selbst eingesetzten Sonderermittler quasi selbst begutachte. Deshalb sei der Bericht inakzeptabel. Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz, warf Graulich vor, alle Schuld undifferenziert den USA zuzuschieben. Er gebe zum Teil schlicht BND-Positionen wieder. Verfehlungen des deutschen Auslandsgeheimdienstes würden ausgeblendet. Auch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, beklagte, dass der Bericht inhaltlich nicht viel Neues enthalte.