Außer der Reihe trifft sich am Mittwoch der Lenkungskreis zu einer Sondersitzung. Das Spitzengremium des Bahnprojekts fordert Aufklärung über die Schwierigkeiten unter Tage, S-21-Kritikern wollen eine öffentliche Debatte.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Die Personalie der Woche hat keine erkennbaren Auswirkungen: Zumindest wird die Demission von Bahnchef Rüdiger Grube den Zeitplan für die Sondersitzung des Lenkungskreises für Stuttgart 21 an diesem Mittwoch nicht beeinträchtigen. Ein Auftritt des aus dem Amt geschiedenen Konzernlenkers war ohnehin nicht vorgesehen; dass der seit Januar amtierende Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla noch nicht in die Fußstapfen seines Vorgängers Volker Kefer treten würde, war bereits ausgemachte Sache.

 

Bauen im Anhydrit bereitet den Projektpartnern Sorge

So obliegt es Manfred Leger, Chef der DB-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm, sich den Fragen der Projektpartner zu stellen. Das Land und die Stadt Stuttgart hatten Redebedarf angemeldet und Mitte Dezember eine Sondersitzung des Spitzengremiums für das milliardenschwere Bahnprojekt beantragt. Ein im Auftrag des Bahnaufsichtsrats erstelltes Gutachten hatte die Projektpartner aufgeschreckt. Die Experten warnten in dem Papier vor den Risiken, die sich beim Tunnelbau in der schwierigen Stuttgarter Geologie ergeben könnten. Dort finden sich immer wieder Formationen, die zu quillen beginnen, wenn sie mit Feuchtigkeit in Berührung kommen. Dieser Anhydrit tritt in Stuttgart und der Region an vielen Stellen auf. So liegen etwa Teile des Wagenburg- und des Heslacher Tunnels sowie die S-Bahnwendeschleife und der Bahntunnel unter dem Hasenberg in diesen kritischen Gesteinsformationen. Was der Anhydrit anrichten kann, lässt sich am Beispiel des Engelbergtunnels im Zuge der Autobahn 81 bei Leonberg (Kreis Böblingen) beobachten. Die Straßenröhre muss in Abschnitten aufwendig saniert werden, weil der Berg von außen drückt.

Die Beratungsgesellschaft KPMG, die das Gutachten für den Aufsichtsrat zusammen mit dem Büro Ernst Basler und Partner erstellt hat, warnt nicht nur vor Risiken in der Bauphase, sondern auch beim Betrieb der Tunnel. Die Experten sehen Gefahren für den Fall, dass das Gestein erst nach Inbetriebnahme des neuen Bahnknotens zu arbeiten beginnt.

Eine Vorlage, die das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 dankbar aufnimmt. Die Projektkritiker verweisen auf die Erkenntnisse von Professor Dieter Kirschke, Ingenieur für Felsmechanik und Tunnelbau. Der habe „wissenschaftlich nachgewiesen, dass Quellprozesse im Anhydrit selbst dann zu erwarten seien, wenn sie während der Bauarbeiten noch nicht zu beobachten waren“, heißt es in einer Mitteilung des Aktionsbündnisses im Vorfeld der Lenkungskreissitzung. Dessen Zusammentreffen könne nicht das Ende der Diskussion über die Risiken sein, fordert Eisenhart von Loeper, der Sprecher der Initiative. Vielmehr „müsse jetzt eine intensive öffentliche Debatte stattfinden“.

Stadt und Land haben der Bahn einen Fragenkatalog geschickt

Ungeachtet dieser Forderung werden die Schwierigkeiten zunächst hinter verschlossenen Türen besprochen. Dreieinhalb Stunden haben sich die Mitglieder des Lenkungskreises dafür Zeit genommen. Die Vertreter von Stadt, Land, Region und Bahn fangen bei der Diskussion mit den Experten nicht bei null an. Die Projektpartner tauschten schon vor der Sitzung Fragenkataloge aus. Die Antworten sollen als Diskussionsgrundlage dienen.

Die Haltung von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ist klar. „Das Land erwartet, dass die Bahn die Maßnahmen im Anhydrit zur Vermeidung von Risiken darstellt und herausgearbeitet wird, inwieweit die Prüfer diese Maßnahmen für sinnvoll halten und inwieweit sie gegebenenfalls eine abweichende Risikoeinschätzung haben“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Die Stadt Stuttgart ist derweil noch dabei, die Antworten der Experten zu sichten; sie versteht diese als Diskussionsgrundlage.

Die Region hingegen sieht sich mittelbar betroffen. Das Anhydrit-Thema sei für sie als Aufgabenträgerin des S-Bahn-Verkehrs nur insofern relevant, als etwa der Hasenbergtunnel zwischen den Haltestellen Schwabstraße und Universität zeige, „dass die Bahn sehr wohl das Know-how hat, grundsätzlich im Anhydrit zu bauen. Dieser (Tunnel) liegt teilweise im Anhydrit und ist unserer Erkenntnis nach nicht sanierungsbedürftiger als andere Tunnel“, sagt die Sprecherin des Verbands Region Stuttgart, Dorothee Lang. „Im Übrigen liegt es im Eigeninteresse der Bahn, so zu bauen, dass der Unterhalt später, der ja ebenfalls durch die Bahn erfolgen wird, möglichst wenig Kosten verursacht“, gibt sie zu bedenken.

Experten stehen Rede und Antwort

Bei Stuttgart 21 entstehen knapp 59 Kilometer Tunnel unter der Stadt und auf den Fildern. Davon haben die Mineure aktuell 24,7 Kilometer aufgefahren. Von den 15,8 im Anhydrit liegenden Tunnelkilometer hatte die Bahn knapp vier Kilometer gebaut. Dabei habe es Hebungen in einer Größenordnung von bis zu fünf Millimetern gegeben, erklärt ein Projektsprecher. Diese Veränderungen seien direkt am Tunnel und keinesfalls an der Erdoberfläche aufgetreten, das Aufquellen sei nach wenigen Tagen wieder zum Stillstand gekommen.

Die Bahn baut auf den Sachverstand von Professor Walter Wittke, der sie beim Untertagebau berät. „Wir sind absolut sicher, dass in den Stuttgart-21-Tunneln kein dem Engelbergbasistunnel vergleichbarer Sanierungsbedarf entstehen wird“, sagte Wittke bei einem Vor-Ort-Termin im Dezember 2016 nach Bekanntwerden des KPMG-Gutachtens. Beim Lenkungskreis wird Wittke ebenso Rede und Antwort stehen wie Georgios Anagnostou, Professor für Untertagebau an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, der an dem Gutachten mitgearbeitet hat.