Die Mehrheit für Merkels Rettungskurs ist groß. Aber in der Union wächst die Zahl der Neinsager und die Koalition streitet über die künftige Verhandlungstaktik.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Wenn es allein nach der Präsenz im Plenum ginge, hätte Vizekanzler Sigmar Gabriel an diesem Freitag den zwiespältigen Titel als „Merkels Brävster“ verdient. Gabriel sitzt schon eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn auf seinem Platz neben dem Stuhl der Kanzlerin auf der Regierungsbank und wälzt Akten. Weil er einen üppigen, rot-gelben Blumenstrauß neben sich abgelegt hat, wirkt der Wirtschaftsminister ein wenig wie ein aufgeregter Pennäler, der ganz gewiss rechtzeitig und vor seiner Dame zur ersten Tanzstunde da sein will.

 

Entscheidung so schwierig wie noch nie

Aber es geht natürlich nicht um die erste Tanzstunde, sondern um Hilfen für Griechenland, die deutsche Rolle in und die Zukunft von Europa. Den Blumenstrauß hat Gabriel nur dabei, weil Angela Merkel Geburtstag hat und der Vizekanzler die Form wahren will – anders als die Linken, die bei der Gratulation von Bundestagspräsident Norbert Lammert nicht einmal kollegialen Beifall klatschen wollten. Zum sechsten Mal stimmt der Bundestag über Hilfen für Griechenland ab. Es geht um das dritte und mit 86 Milliarden Euro größte Hilfspaket. Und auch wenn Merkel und Gabriel schon vor Beginn der Debatte wissen, dass ihnen am Ende mehr als die schwarz-rote Kanzlermehrheit für den eingeschlagenen Weg sicher sein wird, ist ihnen auch klar: so schwierig wie diesmal war es noch nie.

Weil die Bundesregierung nach den harten Gipfelverhandlungen vom Wochenende nicht nur aus Athen teils heftiger Kritik ausgesetzt ist, sie habe die Griechen mit der „Grexit“-Drohung durch Finanzminister Wolfgang Schäuble erpresst und ganz Europa ihren Willen aufgezwungen, sondern auch weil viele Bundesbürger ausweislich der Meinungsumfragen nach Jahren erfolgloser Rettungsversuche die Geduld verlieren. Angela Merkel konnte sich in der fünfstündigen Fraktionssitzung vom Vorabend schon vor Augen führen, dass noch mehr Unionsabgeordnete Athen am liebsten sofort den Geldhahn zudrehen würden.

Sigmar Gabriel wiederum hat zwar eine – fast – geschlossene Unterstützung durch seine Fraktion zu bieten, aber zugleich steht er unter dem Druck der Sozialdemokraten, dafür zu sorgen, dass die „Grexit“-Option in Brüssel von nun an keine Rolle mehr spielt.

„Was kaputtgegangen ist, spottet jeder Beschreibung“

Ernst und für ihre Verhältnisse ungewöhnlich emotional begründet die Kanzlerin ihren Kurs. Sie spricht von der „nicht mehr zu überbietenden Dramatik“ für ganz Europa, vor allem aber für Griechenland. Dazu müssen „wir uns nur vorstellen, Rentner bei uns müssten vor Bankautomaten Schlange stehen, um 120 Euro Rente ausbezahlt zu bekommen“, sagt sie am Anfang. Die Menschen in Griechenland hätten nicht zu verantworten, was ihre Regierungen angerichtet hätten. „Aber es spottet auch jeder Beschreibung, was dadurch kaputtgegangen ist.“ Merkel räumt ein, dass das vereinbarte Rettungspaket den Griechen harte Bedingungen auferlegt. Sie betont aber auch, dass es für die übrigen Europäer Härten beinhalte. „Die 86 Milliarden Euro, die jetzt vereinbart wurden, stellen eine nie gekannte Solidarität in Europa dar.“

Weil Griechenland und andere europäische Länder ein „Ausscheiden Griechenlands auf Zeit nicht wollten, war dieser Weg nicht gangbar“, betonte Merkel und dankte demonstrativ Wolfgang Schäuble für seinen unermüdlichen Einsatz, was die SPD ebenfalls demonstrativ ohne Beifall zur Kenntnis nahm. „Aus voller Überzeugung“ erbitte sie jetzt das Mandat der Abgeordneten, betonte Merkel, denn beim Gipfel hätten die Europäer sich geeinigt. „Mögen die Unterschiede noch so groß sein, wir setzen uns dafür ein, dass Griechenland Teil der Eurozone bleiben kann. Wir würden unverantwortlich handeln, wenn wir diesen Weg nicht wenigstens versuche würden.“

Linke und Grüne kritisieren historisches Versagen

Dass sie die Opposition damit nicht erreichen würde, war klar. Schäuble sei gerade dabei, Europa zu zerstören, Merkel und Gabriel hätten sich ihm untergeordnet, befand Links-Fraktionschef Gregor Gysi. „Sie alle drei begehen gerade den größten Fehler ihrer Karriere“, mahnte er. Deutschlands Kurs sei unsozial, undemokratisch und uneuropäisch. „Die deutschen Exporte sind gestiegen, und der Süden Europas muss den Preis dafür bezahlen“, kritisierte Gysi. Die Linke stimme nicht zu, weil die Bedingungen des Hilfspakets unerträglich seien. Auch Katrin Göring-Eckardt ( Grüne) sprach von einem „historischen Fehler“. Die Bundesregierung stehe heute für ein Europa, in dem die Starken den Schwachen ihre Regeln diktierten.

Gabriel weist Gysis Attacke zurück

„Wenn es denn so einfach wäre, Herr Gysi“, sagt Sigmar Gabriel und pariert staatsmännisch leise den Angriff von links. Es nützt leider nichts, Griechenland Geld zu geben und Schulden zu erlassen. „Wir müssen den Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen in den Mittelpunkt stellen“, forderte er. Die EU habe dank der deutsch-französischen Achse zu einer einheitlichen Position gefunden. Nachdem Griechenland die Bedingungen erfüllt habe, verdiene es jede Unterstützung. „Die Debatte über den Grexit muss jetzt der Vergangenheit angehören“, forderte Gabriel.

Auch Schäuble warb nachdrücklich für den Rettungskurs. Er sei überzeugt, „dass diese Lösung funktionieren kann“. Aber Schäuble mahnte auch: „Es muss ein Weg gefunden werden, der funktioniert. Und das ist sehr schwierig.“ Schäuble sprach ausdrücklich davon, dass das Paket ein „letzter Versuch“ sei. Gegen „verzerrende Polemik“, mit der man die Menschen verhetzen könne, sei er abgehärtet, betonte er. „Was mich wirklich quält, ist, meiner Verantwortung gerecht zu werden.“ Am Ende folgt das Parlament mit großer Mehrheit der Regierung. Die Zahl der Neinstimmen in der Union hat sich aber verdoppelt.