Nach der Abstimmung im Bundestag verfügt die nächste Bundesregierung über nahezu unbegrenzte Finanzmittel. Sie muss sie verantwortungsbewusst nutzen, fordert StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Der „Zeitenwende“, die Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ausgerufen hatte, wurde zurecht eine historische Dimension attestiert. Doch verglichen mit dem, was der Bundestag nun beschlossen hat, muten die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr geradezu bescheiden an.

 

500 Milliarden für Infrastruktur und „whatever it takes“ für Sicherheit: auf über eine Billion Euro können sich die Ermächtigungen summieren, die der Bundestag bewilligt hat. Das sind unerhörte Dimensionen, die allerdings auch unerhörten Herausforderungen gerecht werden müssen. Es gilt, die Lebenslüge der Friedensdividende zu beerdigen sowie Deutschland militärisch und ökonomisch wieder zu einem Pfeiler in Europa zu machen.

Die Höhe des Finanzbedarfs ist erst nach der Wahl klar geworden.

Ist es skandalös, dass die Union nun einer Reform der Schuldenbremse und einem gewaltigen Sonderbudget zustimmt? Ja, CDU-Chef Friedrich Merz hätte vor der Wahl mehr Bereitschaft für höhere Ausgaben erkennen lassen müssen. Und doch: Erst nach der Wahl, erst nach der Münchener Sicherheitskonferenz und dem Eklat im Weißen Haus ist klar geworden, dass sich Deutschland ohne die Unterstützung der USA verteidigen können und größere Lasten bei der Ukraine-Hilfe schultern muss. In Sachen Notwendigkeit der Verteidigung hat das alles verändert. Und das Sonderbudget für Infrastruktur war der Preis, den SPD und Grüne eingefordert haben und ohne den es keine Erhöhung der Verteidigungsausgaben gegeben hätte.

Ist es skandalös oder gar demokratiewidrig, dass die Wahlverlierer SPD und Grüne nun Einfluss auf die Sondervermögen nehmen? Nein, ist es nicht. In parlamentarischen Demokratien entscheiden Mehrheiten in Parlamenten. Bei der Bundestagswahl 1976 holte Helmut Kohl für die CDU sagenhafte 48,6 Prozent der Stimmen. Bundeskanzler wurde jedoch Helmut Schmidt (SPD), weil er zusammen mit der FDP eine Mehrheit im Bundestag für die sozialliberale Koalition erzielte. Was gerade im Bundestag passiert, ist das Ergebnis eines Systems der Kompromissfindung. Fällt jemandem eine bessere Alternative ein?

Historische Schulden, historischer Auftrag

Historisch ist allerdings auch der Auftrag, der mit den gewaltigen Schulden einhergeht. Es geht nicht nur darum, Deutschlands Verteidigungsfähigkeit zu stärken und die Ukraine zu unterstützen. Es geht auch darum, den Staat zu modernisieren und leistungsfähig zu machen. Es gilt nun, semantische Verrenkungen zu vermeiden, um alles Mögliche unter den Großbegriff Sicherheit zu subsumieren. Sonst besteht die Gefahr, dass die neue Koalition lediglich die Dinge fortsetzt, für die der Ampel das Geld fehlte. Mit anderen Worten: es darf nun kein nachfrageorientiertes Strohfeuer abgebrannt werden. Vielmehr muss das Wachstumspotenzial der Wirtschaft nachhaltig gefördert werden. Dazu braucht es Deregulierung, Digitalisierung, Sozialreformen. Und es braucht Verzicht, vor allem derjenigen, die in den vergangenen 30 Jahren von der vermeintlichen Friedensdividende profitiert haben.

Die Ergebnisse der Sondierungen stimmen nicht verheißungsvoll. Sie klingen eher nach einem beherzten „Weiter so“ als nach Bereitschaft zur Veränderung. Erhöhung der Mütterrente, Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie, staatliche Förderung des Agrardiesels, Fortsetzung der Rente mit 63. Das alles zeugt von Klein-Klein-Denken und Klientelpolitik, die der historischen Dimension der Aufgabe nicht ansatzweise gerecht wird. Merz hat Recht: die eigentliche Arbeit beginnt jetzt. Mit dem Kreditrahmen trägt die neue Regierung Verantwortung für die kommenden Generationen.