Am Dienstagabend hat es die erste Einigung bei den Jamaika-Sondierungsgesprächen gegeben. CDU, CSU, FDP und die Grünen entschieden, im neuen Bundeshaushalt keine neuen Schulden zu machen.

Berlin - Eine halbe Stunde vor Mitternacht erwachen in der Nacht zum Mittwoch endlich die Smartphones der Journalisten aus dem Tiefschlaf und mit ihnen manche Besitzer. Fünf Stunden haben die Verhandlungsgruppen von CDU, CSU, FDP und Grünen im Raum Berlin der Parlamentarischen Gesellschaft sondiert. Erstmals ist es dabei im Reichtagspräsidentenpalais hart zur Sache gegangen, nachdem die ersten drei Runden vergangene Woche von allen Beteiligten noch unter der Rubrik „Lockerungsübung“ verbucht wurden und nicht viel mehr hergaben als nette Balkonbilder lächelnder Menschen, die sich zuvor noch im Wahlkampf verbal an die Gurgel gegangen waren. Dieses Treffen galt nun als Start in die heiße Phase. Anders als bei den Sondierungsgesprächen vorangegangener Koalitionen ging’s dabei thematisch auch sofort ans Eingemachte. Es ging bei Maultaschen, Maronensuppe, Fleischbällchen und Sandwiches ums Geld. Und da hört bekanntlich der Spaß auf.

 

Im Berliner Nieselregen leuchten unmittelbar nach der Runde die ersten persönlich adressierten Kurznachrichten auf den Displays auf. Wenig später dann erreicht die frohe Kunde über Twitter vielleicht nicht die ganze Welt, aber immerhin jene paar Erdlinge, die sich in diesem Moment noch für die Anbahnung des ersten Jamaikabündnisses in Deutschland interessieren. FDP-Chef Christian Lindner ist der erste, der die vage inhaltliche Annäherung abfotografiert und als Tweet verbreitet, versehen mit der Bemerkung: „Zwischenergebnis heute – das KÖNNTE eine finanzpolitische Trendwende werden.“

Auch Grünen-Chef Cem Özdemir lässt auf dem Kurznachrichtendienst nicht lange mit einer ersten Einordnung auf sich warten: „Entlastung von Familien mit Kindern, Abbau klimaschädlicher Subventionen, energetische Sanierung, nachhaltige Finanzen. Könnte Anfang sein“.

Lange Sitzung mit Erfolg

CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt wenig später im benachbarten Jakob-Kaiser-Haus: „Das war ein langer Abend, aber er hat sich gelohnt.“ Auch FDP-Kollegin Nicola Beer spricht von einem „guten Gesprächsergebnis.“ CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer lobt die Festlegung auf einen „ausgeglichenen Haushalt“, landläufig „Schwarze Null“ genannt. Und Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner freut sich über die Bereitschaft, „in Zukunftsfragen und mehr Gerechtigkeit“ zu investieren. Erstmals treten die vier nach einer Sondierungsrunde übrigens gemeinsam und nicht nacheinander auf. Auch das, ein kleines Zeichen, nachdem man wenige Stunden zuvor im Bundestag bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments ja auch schon mal geübt hatte, durch gemeinsames Händchenheben einen Antrag der SPD platt zu machen.

Konkret streben die vier Parteien in dem Papier sieben finanz- und haushaltspolitische Ziele an:

– Die Entlastung von Familien und Kindern sowie von Beziehern von unteren und mittleren Einkommen – ein Ziel, dessen Gewichtung vor allem Grüne und CSU teilen, die FDP ist sowieso immer für Entlastungen.

– Den Abbau des Solidaritätszuschlag – eine zentrale Forderung der FDP, die angeboten hat, hierbei schrittweise vorzugehen und zunächst die niedrigen und mittleren Einkommen zu begünstigen, bis dann 2019 der „Soli“ für alle fallen soll.

– Die Förderung der energetischen Gebäudesanierung – gut für den Klimaschutz, gut für Eigentümer, akzeptabel deshalb für alle Parteien.

– Die Förderung des Mietwohnungsbaus einschließlich der Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen – wichtig für die Grünen und die CSU.

– Investitionen sollen besser steuerlich geltend gemacht werden können – ein Schmankerl für die FDP und den Wirtschaftsflügel der CDU.

– Die Einführung einer steuerlichen Forschungs- und Entwicklungsförderung – ganz wichtig für die FDP.

– Den Abbau von Subventionen, „insbesondere überprüfen wir Subventionen, die den Klimazielen widersprechen“ – ein Weg, den vor allem Grüne und FDP gemeinsam ausschildern dürften.

Die „Schwarze Null“ ist Gesetz

Diesen Zielen vorangestellt ist in dem Konsenspapier eine Art Präambel, in der es heißt, dass man einen „ausgeglichenen Haushalt“ anstrebe und „keine Substanzsteuern einführen“ wolle. Das bedeutet: Die „Schwarze Null“ ist Gesetz, Erbschaftssteuer und Vermögensteuer, wie die Grünen sie wollten, sind vom Tisch.

Wasser in den Wein gießt, kaum überraschend, umgehend Jürgen Trittin, der für die Grünen die Verhandlungen über Finanzen und Haushalt koordiniert. Alle Vereinbarungen stünden unter Vorbehalt, lässt er noch in der Nacht wissen, man wisse ja noch gar nicht, ob das alles finanzierbar sei. Der Parteilinke hatte kurz vor dieser Verhandlungsrunde, anders als die Parteispitze, auch die Schwarze Null in Frage stellte. Investitionen in bezahlbaren Wohnraum, bessere Pflege, sowie Entlastungen für Familien und Menschen mit schmalem Geldbeutel hätten allemal Vorrang, so Trittin, dem seitens der Union noch immer unterstellt wird, bereits 2013 die schwarz-grünen Sondierungen mit der Forderung nach üppigen Steuererhöhungen sabotiert zu haben. Umso aufmerksamer wurde deshalb bei Schwarzen wie Grünen registriert, wie innig und lange sich Kanzlerin Angela Merkel mit Trittin am Nachmittag im Bundestag am Rande der Sitzung unterhalten hatten.

Die Kosten der jetzigen Annäherung sind noch ungewiss

CDU-Finanzexperten, die für einen ausgeglichen Haushalt streiten, hatten ihrerseits zuletzt davor gewarnt zu überziehen. Lediglich 30 Milliarden Euro stünden laut Bundesfinanzministerium in den nächsten vier Jahren als Spielraum zur Verfügung. Addiere man aber nur die bezifferbaren Forderungen, mit denen die vier Parteien um Wähler gekämpft hätten, würde dies die Haushaltskasse mit etwa 100 Milliarden Euro belasten.

Wie viel die jetzige Annäherung kosten würde, kann freilich noch keiner sagen, denn dieses erste Schriftstück der Sondierungen kann noch kaum in Zahlen übersetzt werden. Es ist in den meisten Punkten völlig unklar, mit welchen Instrumenten und erst recht mit welchem Finanzvolumen man etwa den Mietwohnungsbau fördern will. Vor konkreten Festlegungen will man jetzt erst mal die Steuerschätzung vom 7. bis 9. November abwarten. Vor allem FDP und Grüne misstrauen den Zahlen des Finanzministeriums. Aber auch die CSU, die unter anderem gern die Mütterrente ausweiten würde, geht dem Vernehmen nach davon aus, dass erheblich mehr Geld im Topf ist. „Wenn die Finanzminister anfangen zu jammern, ist das noch lange kein Grund zur Sorge“, heißt es im weiß-blauen Lager.

Der Weg nach Jamaika ist noch lang

Allseits wird mit einem Abschluss der Sondierungen bis Mitte November gerechnet, danach müssen die Parteigremien von Union und FDP und ein Parteitag der Grünen darüber entscheiden, ob der Wille zur endgültigen Einigung verlässlich ist und Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden. Wie weit der Weg nach Jamaika noch ist, zeigt sich im Streit über die Europapolitik, die nach dem Finanzkapitel in der Nacht zum Mittwoch erstmals verhandelt wurde. Der Umgang mit der Türkei ist nicht minder umstritten wie die Frage, wie die Euro-Zone noch zu retten ist. Für die nächsten Beratungen der Parteispitzen zum Thema Europa an diesem Donnerstag soll deshalb nun ein Kompromisspapier erarbeitet werden. Der Tag hat es ohnehin in sich. Verhandelt werden soll nämlich außerdem noch über Bildung, Digitales, Umwelt, Einwanderung und Flüchtlinge. „Da geht es endgültig ans Eingemachte“, heißt es in Verhandlungskreisen. Im Vergleich dazu seien die Finanzfragen „Peanuts“ gewesen.