In der kommenden Komödie „The Interwiew“ wird Nordkoreas Diktator Kim Jong-un veräppelt. Seit Wochen wird das Studio Sony erpresst, es soll denn Film nicht starten. Seine Interna werden von Hackern im Netz verbreitet.

Stuttgart - Als vor drei Wochen, am Montag, dem 24. November, die Computer des Hollywood-Studios Sony Pictures Entertainment nicht mehr hochfuhren, als nur ein feixendes rotes Skelett und die Signatur einer sich Guardians of Peace nennenden Hackergruppe auf den Bildschirmen erschienen, war klar: Hier war jemand anders am Werk als nur eine Bande von Kids, denen es ohne Rücksicht auf fremden Schaden bloß um den eigenen Ruhm ging.

 

Seit drei Wochen ist das Studio einer in der Filmindustrie noch nie dagewesenen Erpressung ausgesetzt. Die Guardians of Peace forderten, den auf 25. Dezember geplanten Kinostart der Komödie „The Interview“ mit Seth Rogen und James Franco abzublasen. Darin geht es um einen Attentatsversuch auf Nordkoreas Diktator Kim Jong-un, dessen Diplomaten seit dem Frühsommer in der Tat versuchten, den Film zu stoppen und dafür sogar fruchtlos bei den Vereinten Nationen Beschwerde einlegten.

Bei Sony Pictures geht man denn auch davon aus, die hochprofessionelle Cyber-Attacke habe ihren Ursprung in Nordkorea. Die Guardians of Peace drohten verhohlen mit Angriffen auf Leib und Leben von Studioverantwortlichen und deren Familien, unverhohlen mit Veröffentlichung der gestohlenen Daten. Weil Sony Pictures „The Interview“ nicht zurückziehen wird, machten sie letztere Drohung wahr und publizierten Informationen, die ahnen lassen, dass sie tatsächlich alles abgeräumt haben, was auf den Rechnern des Studios lag.

Pikante Interna werden öffentlich

Zunächst haben sie mehrere noch gar nicht im Kino gestartete Filme ins Netz gestellt, wo sie seitdem in einschlägigen Piratennetzwerken munter weiter verteilt werden. Danach haben sie Geschäftsdaten publiziert, darunter auch die Gehälter der Manager. Und vergangene Woche haben sie damit begonnen, mal mehr, mal weniger pikante elektronische Kommunikationen zwischen Managern, Produzenten, Regisseuren und Autoren ins Netz zu stellen.

Schon bei der illegalen Veröffentlichung der Filme war relativ wenig Solidarität anderer Studios zu spüren. Knallhart verbuchte man das Debakel als Geschäftsvorteil für die eigenen Kino-Neustarts, denen Sony nun nicht mehr so viele Besucher streitig machen könnte. Mit der Veröffentlichung der Mails und Kurznachrichten aber begann nicht nur in den Branchenblättern, sondern auch in der allgemeinen Presse ein Wettlauf um die deftigste Aufbereitung der gestohlenen Post.

Wie da Strippenzieher der Traumfabrik aufeinander eindreschen, giftig um Projekte ringen und dabei Dritte, auch Megastars, rücksichtslos herunterputzen, das ist fraglos vergnüglich zu lesen. Die einen goutieren es schlicht als Schlammschlacht, die anderen als filmgeschichtlichen Einblick auf der Höhe der Zeit. Fragt sich nur: darf man die Nase in gestohlene Post stecken?

Die Medien als Komplizen?

Die Frage ist keine mehr, die nur vor dem Privatgewissen beantwortet wird. Anfang der Woche hat sie der von den Enthüllungen betroffene Produzent Aaron Sorkin in der „New York Times“ öffentlich gestellt. Sorkin, der fürs Fernsehen die Politikserie „The West Wing“ und die Medienserie „The Newsroom“ geschaffen hat, beschuldigt alle Nachrichtenkanäle, die Sony-Daten publiziert haben oder noch publizieren werden, das Geschäft von Verbrechern zu befördern. Und er trennt den Datendiebstahl scharf von dem, was Whistleblower wie Edward Snowden gewagt haben. „Enthalten die Informationen Hinweise, dass Sony Gesetze bricht?“, fragt Sorkin: „Gibt es auch nur einen Satz in einer der privaten Mails, der eine Verfehlung auch nur andeutet? Irgendetwas, das irgendjemandem helfen, ihn aufklären oder schützen könnte?“

Aber nicht nur Sorkin ruft zur Rückbesinnung auf journalistische Standards auf. Am Sonntag haben die Anwälte von Sony Pictures Entertainment amerikanische Medienhäuser kontaktiert. Sie haben die Vernichtung aller Kopien illegal entwendeter Sony-Daten und ein Ende der Weiterverbreitung gefordert sowie Schadensersatz angedroht. Das massive Vorgehen von Sony ist freilich nicht unproblematisch. Bleiben die Medienhäuser bei ihrem Kurs, könnte es zu Prozessen kommen, deren Urteile die Arbeit von couragierten Whistleblowern weiter erschweren.

Eine der Argumentationen der US-Presse ist nicht von der Hand zu weisen: Wenn die Daten im Netz von vielen Nutzern diskutiert werden, sind sie Teil der öffentlichen Debatte geworden – und die Medien können sie aus ihrem Abbild der Wirklichkeit nicht mehr ausblenden. Wahr ist aber auch, dass momentan just diese Medien zum Werkzeug von Verbrechern werden, die zum Nutzen eines Diktators die Kunst- und Meinungsfreiheit in einer offenen Gesellschaft einschränken wollen.

Der Hackerangriff bei Sony Pictures Entertainment ist keine Gaunerposse. Er sollte eine ernsthafte Debatte über Journalismus im Netzzeitalter anstoßen.