Lakonisch, heiter und mit viel Tiefe: Im Stuttgarter Studio-Theater führt die großartige Britta Scheerer ein ganzes Frauenleben vor – bis zum gar nicht bitteren Ende.

Stuttgart - Was für ein doofer Name! Hätten ihre Eltern sie nicht Kim nennen können? Wer heißt schon Sophie? Die Zwölfjährige will lieber Pink heißen. Dann erzählt die Mutter, die noch einmal zum Gutenacht-Sagen hereingekommen ist, warum Sophie diesen Namen trägt: Weil damals in Paris, als der Vater und sie noch ein Paar waren und sich über die Schwangerschaft freuten, eine kleine, etwas dicke, sehr schüchterne Sängerin in einer Kneipe die Sterne vom Himmel gesungen hat. Und die hieß Sophie.

 

Roos Ouwehand, eine niederländische Schauspielerin und Autorin, hat in ihrem ersten Theaterstück das Leben dieser Sophie, deren Name von einer Sängerin inspiriert wurde, nachgezeichnet. Aber nicht als große Show, im Gegenteil. Das Leben von Sophie, die einem in dieser Inszenierung von Dieter Nelle im Studio-Theater ungemein nahe kommt, ist keine Ausnahmebiografie. Sophies Welt ist auch unsere: Da geht es um die unsäglichen Weihnachtsfeiern in einer Patchworkfamilie genauso wie um die Überforderung als Mutter von Kleinkindern. „Ich leide unter der Hausfrauenkrankheit“, diagnostiziert die schlaflose Sophie ihr Leiden. „Wenn ich mich in der Sauna entspannen soll, denke ich doch nur an den Termin mit dem Waschmaschinenmonteur.“

Die Fischstäbchen-mit-Apfelmus-Existenz

Mit 45 hält Sophie ihrer Mutter die Hand am Sterbebett, mit 77 freut sie sich immer noch jeden Tag aufs Aufstehen, auch wenn ihr Mann an Alzheimer leidet. In zweieinhalb Stunden, die schnell vergehen, wird dieses Frauenleben gezeigt, dessen Grundton ein leiser, lakonischer Humor ist. Gespielt wird dabei über Bande: Nicht die Szenen einer scheiternden Ehe werden gezeigt, sondern die Spuren, die sie hinterlassen haben. Wenn etwa Sophie ihrem Vater vorwirft, dass er doch nur eine „Fischstäbchen-mit Apfelmus-Existenz“, sprich Familie, für eine andere eingetauscht hat.

Zwölf Szenen zeigen Sophie in verschiedenen Lebensaltern: Am Anfang ist sie acht Jahre alt, am Ende 87. Mit fabelhafter Leichtigkeit spielt Britta Scheerer diese Sophie – als 17-Jährige genauso wie als heitere Greisin. Nie trägt sie zu dick auf – eine Erwachsene als Kind, das kann leicht ins Alberne kippen. Auch die Gebrechen des Alters deutet Britta Scheerer an, ohne sie zu karikieren.

Ihre Kinder und ihre Männer, die im Rollenwechsel von Sebastian Schäfer und Stefan Maaß gespielt werden, sind keine Nebenfiguren. Und doch ist dieser anrührende, tiefsinnige und von vielen Lachern begleitete Theaterabend ein Fest der Frauen. Gundi-Anna Schick als Sophies Mutter ist nicht nur in ihrer Abschiedsszene als lebensmüde, todkranke, aber immer noch eitle Frau überzeugend.

Das Grün verblasst zu Oliv

Es gibt einen weiteren Hauptdarsteller: Sophies Zimmer. Erst Kinderzimmer, dann Jugend- und Gästezimmer, später Sterbezimmer. Gesine Mahr hat es klug gestaltet: ohne Wände, ins Offene weisend. So sparsam wie die Requisiten eingesetzt sind, so minimal ist auch der Einsatz der Kostüme. Das hoffnungsvoll leuchtende Grün der Jugend in Sophies Kleidung verblasst zusehends zum müden oliv. Irgendwann leuchten nicht einmal mehr die Socken. Minimalismus kann einfallslos wirken. Hier wird mit wenigen Mitteln eine große Wirkung erzielt.

Dieter Nelle und Britta Scheerer ist mit dieser Arbeit wieder ein Theaterabend geglückt, in dem Tiefgründiges heiter, ohne dickes Pathos erzählt wird. Man wünscht den beiden, dass es auf sie bald nicht nur Applaus, sondern auch Preisgeld regnet: In Kürze wird der Monica-Bleibtreu-Preis für Inszenierungen von Privattheatern verliehen. Regisseur Dieter Nelle und seine Hauptdarstellerin Britta Scheerer sind mit „Emmas Glück“ nominiert.