Gewerkschaften und kommunale Arbeitgeber haben einen Kompromiss im Sozial- und Erziehungsdienst erzielt. Möglich wird dies durch eine Umschichtung der Lohnzuwächse gegenüber dem Schlichterspruch. Nun bekommen alle Erzieherinnen mehr Geld.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Hannover - Den Seitenhieb konnte sich Thomas Böhle, Präsident der kommunalen Arbeitgeber (VKA), trotz des vorläufigen Friedensschlusses nicht verkneifen: Mit einer „gewissen Zuversicht“ hoffe er, dass die Vereinbarungen für den Sozial- und Erziehungsdienst bei den Gewerkschaftsmitgliedern diesmal auf Akzeptanz stoßen, sagte der Chefunterhändler gleich zu Beginn. Zehn Verhandlungsrunden seien genug. Ein erneutes Veto der Gewerkschaftsbasis mag er sich nicht vorstellen.

 

Verdi-Chef Frank Bsirske sicher auch nicht. Denn würden ihn die Streikdelegiertenkonferenz und die Mitgliederbasis wie nach der Schlichtung Mitte August bremsen und erneut eine Nachbesserung fordern, wäre Bsirske rücktrittsreif – obwohl der Bundeskongress in Leipzig ihn doch gerade erst wiedergewählt hat. So schiebt er in Hannover jeden Zweifel fort, dass er die Vereinbarung diesmal wirklich für zufriedenstellend hält. Sie sei ein wichtiger Schritt in Richtung einer Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes, „dem weitere Schritte folgen werden“. Die jahrzehntelange Lohndiskriminierung sozialer und frauentypischer Berufe lasse sich nicht „im Handstreich“ beseitigen. „Ich bin davon überzeugt, dass ein substanziell besseres Ergebnis als das jetzt erzielte durch eine Fortsetzung des Streiks kaum erzielbar gewesen wäre“, sagte Bsirske.

Die Bereitschaft der Arbeitgeber, das Schlichtungsabkommen „deutlich zu verändern“, machte der Verdi-Chef für die Trendwende verantwortlich. Nun werde den Wünschen der Beschäftigten eher Rechnung getragen, weshalb die erneuten Verhandlungen richtig gewesen seien.

Bis zu 4,5 Prozent mehr im Schnitt für Erzieherinnen

Die Erzieherinnen dürfen sich damit über ein Mehreinkommen von vier bis 4,5 Prozent freuen. Aus ihrem Bereich profitieren mehr Kräfte vom Abschluss, als noch im Schlichterspruch vorgesehen. Die seinerzeit stark abweichenden Gehaltserhöhungen wurden allerdings gleichmäßiger verteilt. Dies habe den nötigen Handlungsspielraum verschafft, sagte Bsirske, der das Ergebnis nun als ausgewogener und gerechter bewertet. Dazu muss man wissen, dass die Beschäftigten ihrer Aufgabe entsprechend einerseits in Entgeltgruppen eingeordnet sind, andererseits je nach Dienstzugehörigkeit in sogenannten Erfahrungsstufen. Die sogenannten Vordienstzeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes werden trotz des Verdi-Beharrens nicht generell angerechnet.

Jüngere Erzieherinnen in den unteren Erfahrungsstufen werden dafür jetzt zügiger besser gestellt als im Schlichterspruch – wer schon lange dabei ist, profitiert nicht ganz so deutlich wie geplant. Somit bleibe das Berufsfeld Kindererziehung für Berufseinsteigerinnen attraktiv, sagte Bsirske, der von einer Verdoppelung bis Verdreifachung der fraglichen Erhöhungsbeträge sprach. Konkret erhalten Vollzeitbeschäftigte monatlich zwischen 93 und 138 Euro mehr als noch vor dem Tarifkonflikt.

Die Leitungskräfte werden kräftig aufgewertet

Viel stärker sollen die Leitungen von Kindertagesstätten und Behindertenhilfeeinrichtungen begünstigt werden: Sie bekommen 300 bis 600 Euro mehr. Dies hatten die Tarifparteien von vorneherein angestrebt. Weil der Gehaltsabstand zur Normalerzieherin bisher gering ist, hatten die Arbeitgeber Probleme, neue Leitungskräfte zu finden. Zudem sei diese Gruppe bei der ersten Verdi-Kampagne im Erziehungsdienst vor sechs Jahren „komplett leer ausgegangen“, argumentierte Bsirske.

Die Beschäftigten des „allgemeinen Sozialdienstes“ (Entgeltgruppe S 14) – die sich zum Beispiel um vernachlässigte Kinder kümmern – sollten zunächst fast alle leer ausgehen. Hier war die Unzufriedenheit besonders groß. Künftig erhalten sie Zuschläge zwischen 30 und 80 Euro pro Monat, im Schnitt 75,75 Euro, also gut zwei Prozent mehr. Für Sozialarbeiter außerhalb dieses Bereichs konnten die Gewerkschaften keine Zuwächse herausholen.

Neun Millionen Euro teurer als der Schlichterspruch

VKA-Präsident Böhle nannte ein Mehrkostenvolumen für die Kommunen von 315 Millionen Euro pro Jahr. Das sind neun Millionen Euro mehr als im Schlichterspruch – je viereinhalb Millionen im Erziehungs- und Sozialdienst. Dieses „geringfügige Plus ist der Preis, um Eltern und Kindern weitere Strapazen zu ersparen“, sagte er. Insgesamt veranschlagen die Arbeitgeber eine Steigerung ihrer Personalkosten um gut 3,3 Prozent gegenüber 3,19 Prozent im Schlichterspruch. Bsirske wiederum nannte eine Erhöhung des Volumens von 3,73 Prozent. „Das müssen wir abgleichen“, fügte er an. Zu Beginn der Kampagne hatte Verdi ein Gehaltsplus von im Schnitt zehn Prozent verlangt, was allzu hohe Erwartungen in den Belegschaften geweckt hatte.

Ein besonderes Ärgernis aus Gewerkschaftssicht war schon im Schlichterspruch die fünfjährige Laufzeit des Tarifvertrags vom 1. Juli 2015 bis Ende Juni 2020. Dabei ist es geblieben. Bsirske zufolge wurde für 2019 eine „Evaluierung“ vereinbart. Böhle ergänzte, dass man frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2019 darüber reden werde. Vor Mitte 2020 sei kein neuer Tarifkonflikt möglich. Allerdings würden die Beschäftigten weiterhin von den Entgeltabschlüssen im öffentlichen Dienst der Kommunen profitieren.