Die Sozialdemokraten wollen ab jetzt ihr Profil schärfen und härter mit der Union verhandeln – aber vorerst nicht aussteigen aus der Koalition in Berlin.

Berlin - Andrea Nahles ist eine Parteichefin, die nur noch auf Sicht fahren kann. Sie wird deshalb zufrieden sein, dass sie auch diesen bitteren Nachwahl-Montag einigermaßen blessurenfrei überstanden hat. Den – für sie – entscheidenden Satz sagt sie, als sie im Willy-Brandt-Haus neben dem böse abgestraften hessischen Spitzenkandidaten Thorsten Schäfer-Gümbel steht, um vor der Presse erste Konsequenzen aus dem Wiesbadener Debakel zu erklären. „Eine personelle Neuaufstellung ist nicht in Rede in der SPD.“ In weniger gedrechselter Sprache heißt das, dass derzeit niemand an ihrem Stuhl sägt.

 

Die wesentlichen Machtzentren der SPD stehen zu Nahles

Tatsächlich zeigt dieser Montag in der SPD-Parteizentrale, dass die wesentlichen Machtzentren der Sozialdemokraten weder einen Sinn darin sehen, ihre Vorsitzenden schneller zu wechseln als der VfB seine Bundesliga-Trainer, noch einen raschen Auszug aus der großen Koalition zu provozieren – und auch das deckt sich mit der Linie von Andrea Nahles.

Der Niedersachse Stephan Weil gibt die Richtung vor

Sowohl Finanzminister Olaf Scholz als auch die in der Partei sehr einflussreiche rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer wollen in der Regierung bleiben. Entscheidend dafür, dass dieser Kurs auch trotz der notorischen Erfolglosigkeit in der Koalition durchsetzbar bleibt, ist die Haltung des niedersächsischen Regierungschefs Stephan Weil. Man mache schließlich nicht deshalb Politik, damit sich die SPD mit sich selbst beschäftige, sagte er schon am Morgen. Es sei bislang „nicht rübergekommen, was an guter Arbeit geleistet wurde“. Das sozialdemokratische Profil soll also poliert werden – bis auf weiteres innerhalb der Koalition. Das ist der Kurs, mit dem auch Nahles als Parteichefin leben kann. Ihre Position stünde erst zur Disposition, wenn mit dem Auszug der SPD aus der Regierung eine für die Partei völlig neue Situation entstünde.

Die Linken müssen zähneknirschend akzeptieren

Die Mehrheit für diesen Kurs steht allerdings auf wackeligen Füßen. Die Parteilinken tragen ihn allenfalls zähneknirschend mit. „Der Ruf der Wähler lautet nicht ,Zurück zur Sacharbeit!’, das Urteil über diese Groko ist final gesprochen“, twitterte Juso-Chef Kevin Kühnert schon am Montagmorgen. Sein Ruf drang nicht durch. Den Linken bleibt bis auf weiteres deshalb tatsächlich die Forderung nach inhaltlicher Profilierung. Am Montag wurde auch deutlich, wo sie nun zuerst gelingen soll: beim Thema Diesel. Die Auto-Industrie soll die Nachrüstung bezahlen. Für Kühnert eine Machtfrage: „Wer hat die Hosen an – die Politik oder die Wirtschaft?“ Und die programmatische Erneuerung der SPD soll schneller gehen. Eigentlich wollte die Partei bis Ende 2019 ein präsentables erneuertes Programm haben. Nun sollen wichtige Weichenstellungen bis zur ersten Klausur der Parteispitze im neuen Jahr fertig vorliegen. „Steuern, Hartz, Rente, Umwelt“ – in diesen Punkten, fordert Kühnert, müsse die SPD dann sprechfähig sein.