Entwicklungshilfeminister Gerd Müller will, dass deutsche Textilunternehmen menschenwürdige Arbeitsbedingungen in ausländischen Fabriken sicherstellen. Es gibt jedoch einen Haken: Nur ein paar Firmen machen mit.

Berlin - Unterbezahlte Arbeiterinnen, die in einsturzgefährdeten Fabriken Kleider für den deutschen Markt nähen, Kinder, die auf Baumwollfeldern schuften: diesen in Billiglohnländern verbreiteten Szenarien will Entwicklungsminister Gerd Müller ein Ende setzen. Der CSU-Politiker hat am Donnerstag ein Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Ziel sind soziale und ökologische Mindeststandards in der gesamten Produktions- und Handelskette. Damit will Müller gegen Sicherheitsmängel und Verstöße gegen elementare Arbeitsschutzbedingungen vorgehen. Bei dem Besuch einer Gerberei in Marokko hatte er mit eigenen Augen gesehen, wie Kinder in säuregetränkten Bädern Lederwaren herstellen – im Namen der Glitzerwelt in den Industriestaaten.

 

Was soll das Textilbündnis bringen?

Der Entwicklungsminister will die Textilwirtschaft und den Handel in Deutschland dazu bewegen, dass sie bei der Herstellung in Schwellen- und Entwicklungsländern menschenwürdige Arbeitsbedingungen sicherstellen. Für die Produktion in Asien und Afrika sollen sich Firmen verpflichten, dass Arbeiter nicht ausgebeutet, Kinder nicht in Fabriken beschäftigt und keine giftigen Stoffe eingesetzt werden. „Geiz ist geil kann nicht unser Antrieb sein“, sagt Müller. Er argumentiert, dass höhere Löhne für Textilarbeiter im Ausland sowie die Einhaltung von Gesundheits- und Arbeitsschutzrichtlinien Kleidung nur unwesentlich verteuerten. Verbraucher müssten aber bereit sein, einen Euro mehr für die Jeans auszugeben. Die deutschen Konsumenten seien sich beim Kleidungskauf oft nicht darüber bewusst, unter welchen Bedingungen ihre Kleider hergestellt werden, meint Müller: „Was wir bei uns nicht akzeptieren, nehmen wir billigend in Kauf.“ Dies will der Minister mit Aufklärung verhindern – und genau dazu dient das Textilbündnis. Organisationen und Unternehmen verpflichten sich, auf die Einhaltung der Mindeststandards zu achten. Dies soll auch kontrolliert werden. Das Textilbündnis ist auf Deutschland beschränkt.

Wer beteiligt sich?

Der Start ist holprig. Bislang sind erst 28 Organisationen und Unternehmen dem Bündnis für nachhaltige Textilien beigetreten – eine Enttäuschung, denn bis vor Kurzem hatte die Bundesregierung gehofft, dass auch die großen Handelsketten und Branchenverbände unterzeichnen. Zu den Mitgliedern zählen derzeit der Deutsche Gewerkschaftsbund, Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam und Transparency International sowie kirchliche Gruppen und die Stiftung Warentest. Aus dem Kreis der Unternehmen gehören die Sportbekleidungshersteller Vaude, Hess Natur und Trigema dazu.

Für das Bio-Label Hess Natur aus dem hessischen Butzbach etwa ist es „logisch und konsequent“, dem Bündnis für nachhaltige Textilien beizutreten: „Ökologisch saubere und sozial fair produzierte Mode ist Gründungsimpuls und Erfolgsformel für unser Unternehmen“, sagt Marc Sommer, Vorsitzender der Geschäftsführung. In dem vom Entwicklungshilfeminister initiierten Bündnis sieht Sommer eine große Chance, „die gesamte Textilproduktion menschlicher und umweltfreundlicher zu gestalten“. Der Beitritt sei aber auch eine Möglichkeit, sich positiv von der Konkurrenz abzuheben: „Gerade als mittelständisches Unternehmen sehen wir im Textilbündnis eine große Chance zur Profilierung im Wettbewerb, weil wir zeigen, dass eine qualitativ hochwertige Produktion modischer Kleidung in Verantwortung möglich ist.“

Auch zwei Hersteller aus Baden-Württemberg finden sich auf der äußerst kurzen Liste der unterzeichnenden Unternehmen: Trigema aus Burladingen (Zollernalbkreis) und der Outdoor-Ausstatter Vaude aus Tettnang (Bodenseekreis). Die Vaude-Geschäftsführerin Antje von Dewitz sagte in Berlin, für Mittelständler sei es nicht einfach, Änderungen durchzusetzen. Vaude habe schon bisher den Anspruch gehabt, gerechte Löhne zu zahlen. Wenn im Ausland produziert werde, sei das deutsche Unternehmen bei einem Produzenten aber nur einer von vielen Auftraggebern. Dies mache es schwer, für die gefertigten Mengen Mindeststandards durchzusetzen.

Warum sperrt sich die Wirtschaft?

Es sind mehr oder weniger freundliche Umschreibungen für das Wort „Nein“, mit denen praktisch alle großen deutschen Bekleidungshersteller – vom Billiganbieter bis zum Edelschneider – Müllers Einladung ausschlagen. „Eine lückenlose Überwachung sämtlicher Produktionsstufen vom Baumwollfeld bis zum Bügel ist unrealistisch“, teilte die Außenhandelsvereinigung des deutschen Einzelhandels mit. Dass sie dem Bündnis zu einem späteren Zeitpunkt beitreten könnten, wollen einzelne Unternehmen nicht ausschließen: „Das Ministerium ist erst vor einigen Tagen mit unvollständigen Unterlagen an uns herangetreten“, heißt es etwa bei Marc O’Polo im bayerischen Stephanskirchen. Man werde einen Beitritt prüfen, so bald alle Informationen vorliegen. Auch bei S.Oliver im unterfränkischen Rottendorf wird eine Beteiligung nach eigenem Bekunden geprüft.

Die großen Hersteller reden sich heraus

Eine Reihe von Herstellern – darunter Discounter wie Aldi, Lidl und Kik, große Bekleidungsketten wie Adler und C&A sowie Konzerne wie Metro und die Otto Gruppe – haben sich hinter eine Erklärung vom Handelsverband Deutschland gestellt, in der nicht mehr als eine grundsätzliche Bereitschaft zur Mitwirkung signalisiert wird. Weiter heißt es darin: „Der Aktionsplan ist jedoch in seiner jetzigen Fassung noch nicht geeignet, Verbesserungen für die in Schwellenländern arbeitenden Menschen in der notwendigen Breite zu erreichen.“

Drastischer fällt die Absage beim umsatzstärksten deutschen Bekleidungshersteller Adidas aus: „Generell halten wir einen deutschen Aktionsplan für wenig sinnvoll, da wir den weltweiten Herausforderungen in der Textilindustrie mit globalen Ansätzen wesentlich wirkungsvoller begegnen können.“ Die Herzogenauracher wollen sich stattdessen auf die Weiterentwicklung globaler Standards fokussieren. Selbstbewusst formuliert eine Adidas-Sprecherin: „Minister Müller möchte, dass die deutsche Textilindustrie Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit wird. Das sind wir seit mehr als einem Jahrzehnt.“ Adidas will dem Aktionsbündnis „gerne Einblicke in unsere branchenführenden Initiativen“ gewähren. Müller habe eine Einladung in eine der Zuliefererfabriken bereits angenommen.

Eine Sprecherin vom drittgrößten deutsche Hersteller Hugo Boss bezeichnet die Initiative des Entwicklungsministers als „sehr wichtig, da sie eine allgemeinverbindliche Grundlage anstrebt, um nachhaltige Veränderungen bewirken zu können“. Aus der Sicht der Metzinger sei eine „europäische Lösung jedoch entscheidend“, um international agierende Unternehmen in ein solches Bündnis einzubinden. Boss sei für einen Dialog „selbstverständlich offen“. Klare Vorbehalte gegen die freiwillige Selbstverpflichtung äußert derweil ein Sprecher des Textildiscounters NKD: „Ob wir dem Bündnis beitreten, entscheiden wir, wenn wir Klarheit über die uns daraus erwachsenden wirtschaftlichen Folgen gewonnen haben.“

Wie will die Regierung vorgehen?

Der Entwicklungshilfeminister hofft, dass sich weitere Verbände und Unternehmen dem Bündnis anschließen. In einem zweiten Schritt will das Ministerium ein Informationsportal für Verbraucher mit der Bezeichnung „Wahrheit und Klarheit in der Textilindustrie“ schaffen, das Anfang 2015 an den Start gehen soll. Darin sollen Verbraucher über die bestehenden Umwelt- und Sozialsiegel aufgeklärt werden. Müller hat außerdem das Ziel, ein neues Siegel mit dem Namen „grüner Knopf“ einzuführen. Das Zeichen soll an die Unternehmen vergeben werden, die sich auf die Standards des Textilbündnisses verpflichten.

Umfrage – was halten Kunden von der Initiative?

Charlotte Allkemper (20), Auszubildende aus Hamburg: „Wenn ich meine Klamotten im Laden aussuche, achte ich nicht darauf, woher sie kommen. Wenn sich die Produktionsbedingungen verbessern würden, wäre ich auch bereit, mehr dafür zu zahlen. Mein Bruder beispielsweise kauft seine Klamotten nur in Fair-Trade-Geschäften. Die Kleider, die es dort gibt, sind aber nicht nach meinem Geschmack. Leider bekomme ich die Auswahl, die ich bei den

charlotte Allkemper Foto: Lichtgut
größeren Läden bekomme, nicht im Fair Trade-Laden. Ein Bündnis mit klaren Regeln fände ich gut. Wenn eine große deutsche Marke den Anfang macht, würden die anderen sicher mitziehen.“

Aljosha Rösch (26), Student aus Stuttgart: „Ich finde, dass die Produktionsbedingungen in Fernost verbessert werden müssten, um die Einheimischen vor der Ausbeutung zu schützen. Wenn ich die

Aljosha Rösch Foto: Lichtgut
finanziellen Mittel habe, dann versuche ich auch auf die Herkunft der Klamotten zu achten – trotzdem gehe ich ab und an zu H&M und kaufe mir dort ein T-Shirt. Die Scheinheiligkeit, mit der die Leute einkaufen gehen, ist einfach schon zu tief in der Gesellschaft verankert. Zudem ist es für mich als Konsument schwierig, die Unternehmen und deren Produktionsbedingungen zu überblicken.“

Gunja Schreck (38), Verkäuferin aus Stuttgart: „Die Politik sollte sich mehr für bessere Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern einsetzen. Es schreckt ja inzwischen einige Kunden ab, wenn da ‚Made in Bangladesh’ eingenäht ist. Es gibt genug Leute, die gerne

Gunja Schreck Foto: Lichtgut/
hätten, dass wieder mehr in Deutschland produziert wird. Bei Kinderkleidung achte ich auf die Herkunft, bei Klamotten für mich selbst nicht. Manche riechen so nach Chemie, dass ich mich davon fernhalte. Die Firmen machen es sich recht einfach, wenn sie die Schuld an ihre Lieferanten weitergeben.“

Jean Heß (25), Student aus Stuttgart: „Wenn man am jetzigen Zustand etwas ändern möchte, sollte die Politik für die Industrie verbindliche Gesetze ins Leben rufen. Ein Siegel ist da leider nicht die optimale Lösung, da auch das Fair-Trade-Siegel bisher keine hundertprozentige Klarheit schafft. Wie viel Fair Trade in einem Produkt wirklich steckt, wissen oft nur die Produzenten. Neulich habe ich gesehen, dass in

Jean Heß Foto: Lichtgut
Italien ein ganzes Dorf voller Chinesen unter üblen Bedinungen an Nähmaschinen sitzt, nur damit ‚Made in Italy’ in die Kleidung eingenäht werden kann. Wie soll man so etwas kon-trollieren?“