Wie sehr vertrauen die Menschen ihren Mitmenschen – und den Institutionen? Wer fühlt sich am stärksten vernachlässigt und belastet? Die Bertelsmann-Stiftung hat in einer Studie untersucht, welche Spuren die Coronapandemie in Baden-Württemberg hinterlassen hat.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt in Baden-Württemberg ist in der Coronapandemie deutlich gesunken – das zeigt eine am Mittwoch vorgestellte Studie der Bertelsmann-Stiftung. „Die Studie zeigt uns, wo die inneren Strukturen unserer Gesellschaft schwächeln, und sie gibt Rückschlüsse darauf, was wir tun müssen, um unsere Gesellschaft krisenfester zu machen“, sagte Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) bei der Vorstellung des Berichts. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

 

Was sind die zentralen Ergebnisse der Studie?

Im Dezember 2021 und Januar 2022 wurden 2716 Menschen für die Studie befragt, die vom Land finanziell unterstützt wurde. Es ist eine Folgestudie – im Frühjahr hatten die Autoren bereits Ergebnisse einer ersten Befragung präsentiert. Demnach ist der Index für gesellschaftlichen Zusammenhalt von 2019 bis zum Jahreswechsel 2021/22 deutlich gesunken: von 64 auf 54 Punkte – auf einer Skala von 100 Punkten.

So zeigt sich, dass viele Menschen im Land soziale Netzwerke als weniger belastbar empfinden als vor der Pandemie, auch das Vertrauen in Mitmenschen sowie in Institutionen und die Hilfsbereitschaft sind zurückgegangen, psycho-emotionale Belastungen dagegen haben zugenommen. „Die Pandemie hat in allen Dimensionen von Zusammenhalt Spuren hinterlassen“, sagte Kai Unzicker von der Bertelsmann-Stiftung, ein Co-Autor der Studie. Heute sagen beispielsweise 24 Prozent, man könne sich auf niemanden mehr verlassen. Vor der Pandemie sagten dies Unzicker zufolge nur knapp 9 Prozent. Nach Auffassung der Studienautoren sei in der Krise auch das Potenzial für Verschwörungsglauben groß: So stimmen etwa 40 Prozent der Befragten Aussagen zu wie „die Regierung verschleiert die Wahrheit“, ein Drittel ist der Meinung, es gebe geheime Organisationen, die politische Entscheidungen beeinflussen.

Wen betrifft das am stärksten?

Vertrauensverluste und Gefühle von Belastung zeigen sich in manchen Bevölkerungsgruppen stärker als in anderen. So nehmen Personen mit geringerer formaler Bildung, Arme und Angehörige der unteren Mittelschicht, Nicht-Erwerbstätige, Alleinerziehende, chronisch Kranke oder auch Menschen mit Migrationshintergrund den sozialen Zusammenhalt zum Teil deutlich schwächer wahr als der Durchschnitt der Bevölkerung. „Das sind die Gruppen, die sich auch vor der Pandemie schon benachteiligt gefühlt haben und auch am meisten unter Krisensituationen leiden“, sagte Klaus Böhmke, Sozialwissenschaftler an der Jacobs-University Bremen und ebenfalls Co-Autor der Studie. „Es ist wichtig, daran zu arbeiten.“

Jüngere, höher Gebildete und Menschen auf dem Land weisen dagegen aktuell noch das stärkste Vertrauen in ihre Mitmenschen auf und erleben den Zusammenhalt insgesamt als relativ positiv.

Wie erging es jungen Menschen?

Jugendliche und Junge Erwachsene haben sich der Befragung zufolge in der Hochphase der Pandemie von der Politik vernachlässigt gefühlt. So geben knapp 60 Prozent an, unter den Maßnahmen gelitten zu haben – bei Älteren waren es nur knapp 40 Prozent. Fast die Hälfte der 16 bis 24-Jährigen fühlte sich der Befragung zufolge in der Pandemie generell müde und erschöpft, ein Drittel ängstlich. Auch diese Werte waren deutlich höher als bei älteren Befragten. Allerdings blicken die Jüngeren optimistischer in die Zukunft als Ältere – und empfinden den Zusammenhalt insgesamt als weniger gefährdet.

Was sind die politischen Konsequenzen?

Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, sei auch über die Pandemie hinaus wichtig, betonte Lucha. „Die Krise wird zum Normalzustand.“ Lucha hob verschiedene Programme etwa zur Förderung von Quartieren und zur Stärkung der Pflege, der medizinischen Versorgung auch auf dem Land sowie des Ehrenamts hervor, die man bereits veranlasst habe. Auch Dialogformate wolle man stärken, etwa mit Jugendlichen.