Stuttgarter Senior-Experten unterstützen Flüchtlinge, Auszubildende und weltweite Vorhaben mit ihrem Wissen. Da kommt es durchaus vor, dass ein Ex-Landgerichts-Präsident einer angehenden Friseurin in die Spur hilft, oder ein früherer Daimler-Ingenieur einen brasilianischen Familienbetrieb unterstützt.

Stuttgart - Zum alten Eisen? Von wegen! Rund 400 Senior-Experten in der Region Stuttgart krempeln die Ärmel hoch und helfen, statt sich die Zeit im Ruhestand mit Reisen, Lesen und Faulenzen zu vertreiben. Spannende Begegnungen und tiefe Einblicke in Länder, die man sonst kaum kennenlernt, sind die reizvollen Nebeneffekte ihres Tuns. Am Donnerstag trafen sie sich zur Regionaltagung in Stuttgart.

 

Gegründet haben den Senior-Experten-Service, kurz SES, im Jahr 1986 Dachverbänden aus Industrie, Handel und Handwerk. Der SES soll deutsches Wirtschaftswissen weltweit anbieten. Auch wer in Deutschland Hilfe benötigt, kann unter Umständen einen SES-Kenner zur Seite gestellt bekommen. 5272 Einsätze haben die Helfer in der Region Stuttgart bereits absolviert, in der Regel auf Anfrage dessen, der die Unterstützung brauchte. „Experten werden immer gesucht“, sagt Klaus-Peter Wilcke vom SES-Büro Stuttgart. Wie vielseitig Teilnehmer und Einsatzfelder sind, zeigen die folgenden Beispiele:

Ex-Daimler-Ingenieur hilft in aller Welt

Früher hat Diplom-Ingenieur Karl Leitenberger aus Filderstadt für die Daimler AG an der Motorelektronik gefeilt, seit 2012 reist es als Senior-Experte durch die Welt. Stationen waren bislang Brasilien, China Marokko, Peru und der Senegal. Zum einen hat er Familienbetriebe und mittelständische Unternehmen besichtigt, sich ihre Probleme angehört und Verbesserungs- sowie Investitionsvorschläge gemacht. Bewusst habe er es bei Anstößen belassen. „Die Probleme müssen die Firmen selbst lösen.“ Darüber hinaus hat er Berufsschulorganisationen das Duale Ausbildungssystem nahegebracht. Er schätzt die tiefen Einblicke in andere Kulturen und freut sich, helfen zu können. Dass sein lebhafter „Ruhestand“ manchmal auch zu Kritik aus dem Umfeld führt, nimmt Leitenberger gelassen: „Es macht mir so viel Spaß, dass ich es weiterhin machen möchte. Kritik muss man auch mal aushalten.“

Ex-Landgerichtspräsident hilft Azubis

Als Jurist und ehemaliger Präsident des Landgerichts Ulm weiß Manfred Schmitz aus Stuttgart nur zu gut, wie wichtig eine gute Ausbildung für ein geregeltes Leben sein kann. Deshalb hat er sich 2010 dem SES verschrieben und unterstützt in Deutschland die Initiative VerA – Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen.

Sieben Jugendliche habe er betreut, vom Schornsteinfeger über die Floristin bis zur Friseurin. Fachlich konnte er natürlich wenig sagen, macht Schmitz deutlich, „aber es sind ohnehin ganz andere Probleme, die da auf einen zukommen.“ Gut in Erinnerung geblieben ist ihm der angehende Einzelhandelskaufmann, der irgendwann merkte, dass die Ausbildung nicht zu ihm passte. Er sattelte erst auf Erzieher um, entdeckte dann aber bei einem Verkehrserziehungstag sein Herz für die Polizei. Schmitz betont, dass er nur Anstöße geben möchte, damit die Jugendlichen über sich und ihre Situation nachdenken. Auf Problem und Lösung kämen sie meist allein, sagt der 72-jährige Jurist. „Man kann steuern, ohne den Besserwisser zu spielen“, beschreibt er seine Rolle bei der Betreuung der Azubis.

Ex-Hochschuldidakt hilft Flüchtlingen

Während seiner aktiven Laufbahn als Hochschuldidaktiker hat der Historiker Michael Rentschler den Lehrenden an allen Fachhochschulen in Baden-Württemberg das Unterrichten beigebracht. Inzwischen widmet er sich mit anderen Experten den Flüchtlingen in VABO-Klassen – das sind Vorbereitungsklassen für Schüler ohne Deutschkenntnisse an berufsbildenden Schulen – und unterstützt dort die Hauptamtlichen. Rentschler unternimmt Ausflüge mit den Schülern oder kümmert sich verstärkt um diejenigen, die beim Lernen mehr Zeit brauchen.

„Mir reicht es völlig, zu sehen, dass ich manchmal ein A-ha-Erlebnis hervorrufen kann“, sagt der Mann aus Reutlingen. Als er für den SES einmal als Hochschuldidakt in Pakistan gewesen sei, habe er etwas über die Kultur dort gelernt, das helfe ihm heute manchmal. Er sei dankbar für die friedliche Zeit, die er in Deutschland erleben durfte, sagt der 67-Jährige. „Mir ist bewusst, dass Migration, Flucht und Vertreibung historisch der Normalfall sind.“