Auch wenn ihre Töchter und Söhne nicht in Deutschland leben, erhalten Migranten Kinder- und Betreuungsgeld. Die Ausgaben des Staates dafür steigen, aber ein Massenphänomen ist das nicht. Trotzdem fordert die CSU eine Gesetzesverschärfung.

Berlin - Deutschland hat ein neues Aufregerthema: Dass der deutsche Staat das Kindergeld auch an hier lebende EU-Bürger zahlt, deren Kinder im Ausland leben, bewegt die Gemüter. Einige Politiker und Medien verbreiten, dass jeder Erntehelfer, der nur ein paar Monate im Jahr bei der Weinlese hilft, das Kindergeld für die daheimgebliebenen Söhne und Töchter einstecken kann. Das ist so nicht richtig. Denn der Bezug des Kindergelds ist an einige Voraussetzungen gebunden.

 

In Gang ist die Diskussion durch neue Zahlen aus dem Bundesfinanzministerium gekommen. Sie zeigen, dass ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahr 2012 zu einem spürbaren Anstieg von Kindergeldanträgen polnischer oder tschechischer EU-Bürger geführt hat. Das EU-Gericht hat festgelegt, dass Saisonarbeitnehmer, die uneingeschränkt steuerpflichtig in Deutschland sind, auch für ihre in der Heimat lebenden Nachkommen Anspruch auf Kindergeld haben. Weil sich diese Entscheidung in einigen EU-Ländern wie ein Lauffeuer verbreitet und Kindergeldanträge rückwirkend für vier Jahre gestellt werden können, kommen die zuständigen Familienkassen mit der Bearbeitung nicht hinterher. Dennoch ist ein Blick auf die Größenverhältnisse wichtig.

Bei den Polen leben fast 30 Prozent der Kinder nicht hier

In diesem Jahr zahlt der deutsche Staat 38,3 Milliarden Euro Kindergeld an Familien. Nach einer Übersicht der Regierung vom Dezember 2013 wird die familienpolitische Leistung für 14,4 Millionen Kinder erstattet. Darunter sind 12,3 Millionen deutsche Kinder. Der Rest entfällt auf Familien ausländischer Herkunft. Auch bei den ausländischen Kindergeldempfängern lebt der überwiegende Teil der Kinder in Deutschland. Wegen des EuGH-Urteils erwartet das Bundesfinanzministerium jährliche Mehrkosten von 200 Millionen Euro. Auch wenn berücksichtigt werden muss, dass für die Jahre 2008 bis 2011 rückwirkend 400 Millionen Euro an zusätzlichen Ausgaben fällig werden, nimmt sich diese Summe im Vergleich zu den gesamten Kindergeldzahlungen gering aus. Die Warnung vor Milliardenrisiken wirkt jedenfalls übertrieben.

Richtig ist aber, dass beispielsweise bei EU-Bürgern aus Polen und Tschechien der Anteil der Eltern hoch ist, die für ihre in der Heimat lebenden Kinder vom deutschen Staat Kindergeld beziehen. Signifikant ist auch der Anteil bei Rumänen. Bei den hier lebenden polnischen und tschechischen Familien beträgt dieser Anteil knapp 30 Prozent, bei den Rumänen zehn Prozent. Der deutsche Staat zahlt für Kinder in EU-Ländern den Kindergeldsatz abzüglich des Kindergelds, das im Heimatland vergütet wird. Da Deutschland EU-weit mit das höchste Kindergeld hat, ist dies attraktiv.

Die Hürden für das Kindergeld sind gesunken: Kindergeld gibt es für diejenigen EU-Bürger vom ersten Monat an, die ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegen. Auch EU-Bürger, die vorübergehend in Deutschland tätig sind, können Kindergeld unter bestimmten Bedingungen beantragen. Früher gab es das Kindergeld bei vorübergehenden Jobs nur, wenn der Beschäftigte sechs Monate in Deutschland steuerpflichtig war. Das hat sich geändert.

Betreuungsgeld auch für Eltern in den Karpaten

Voraussetzung ist nun, dass sich der Beschäftigte in Deutschland uneingeschränkt besteuern lässt. Das kann für EU-Bürger aus armen Ländern mit vielen Familienangehörigen lukrativ sein. Für einen Teil der Saisonarbeiter, die zum Beispiel nur für einen kurzfristigen Ernteeinsatz kommen, lohnt sich das aber oft nicht. Saisonarbeitskräfte, die bis zu 50 Tage beschäftigt sind, können sozialversicherungsfrei angestellt werden. Das nutzen die Beschäftigten. In der Praxis sind es oft Arbeitnehmer, die mit Werkverträgen hier tätig sind und Kindergeld beziehen. Auch Beschäftigte von Unternehmen aus der EU, die vorübergehend nach Deutschland entsendet werden, erhalten die Sozialleistung.

In diesem Punkt schreibt das EU-Recht gleiche Bedingungen vor. So können beispielsweise Beschäftigte aus Deutschland, die in Luxemburg arbeiten, für ihre Kinder in der Heimat im Großherzogtum Kindergeld bekommen. Das luxemburgische Kindergeld gehört zu den höchsten in Europa.

EU-Bürger können aber nicht nur Kindergeld für ihre Familie in der Heimat erhalten, sondern auch das Betreuungsgeld. Das bestätigte das Familienministerium. Von den jeweils 100 Euro Betreuungsgeld pro Monat, die an Eltern fließen, die ihr Kleinkind nicht in die Kita schicken, profitieren somit auch Väter und Mütter mit Kindern in den Karpaten.

Nachdem die CSU zum Jahresbeginn schon schärfere Regeln gegen die Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien gefordert hat, macht sie sich nun für strengere Gesetze beim Kindergeldbezug stark. „Die Höhe des Kindergelds sollte abhängig sein vom Wohnort der Kinder und den dortigen Lebenshaltungskosten“, sagte die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt der „Passauer Neuen Presse“.

Ob die Gesetze geändert werden, ist fraglich. Die Regierung will bis Sommer Vorschläge zur Eindämmung von Missbrauch prüfen. Das Europarecht lässt dafür nur wenig Spielraum. Denn die EU-Freizügigkeit darf nicht angetastet werden.