Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hat am Tag nach der Europawahl ein seit Jahren von ihm betriebenes Prestigeprojekt ins Abseits geschoben. Die Landespflegekammer wird es nicht geben.
Die schlechte Nachricht für einen Teil der Pflegekräfte im Land hatte sich angedeutet – wohl ganz bewusst hat Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) ihre Bekanntgabe auf den Tag nach den Europawahlen gelegt. Demnach wird es nicht zur Errichtung einer Landespflegekammer in Baden-Württemberg kommen; ein seit Jahren verfolgtes Projekt ist damit erst einmal erledigt.
Nach Angaben des Ministeriums wurde das für ein Zustandekommen der Kammer notwendige Quorum von 60 Prozent der registrierten Pflegefachkräfte um 3377 Registrierungen verfehlt. Mehr als 53 000 Pflegefachkräfte hätten Einwendungen gegen ihre Registrierung und damit auch gegen die Errichtung der Kammer erhoben.
Lucha: Jetzt gilt es, das Ergebnis zu akzeptieren
„Es ist kein Geheimnis, dass ich mir die Errichtung einer Pflegekammer gewünscht hätte“, äußerte Lucha am Montag. Mit dem Quorum habe man der Institution von Anfang an eine starke Legitimation geben wollen. „Dies ist leider nicht der Fall – jetzt gilt es, dieses Ergebnis zu akzeptieren.“ Der Errichtungsprozess findet damit sein Ende; der Gründungsausschuss werde aufgelöst, alle personenbezogenen Daten würden gelöscht.
Dies ist wohl auch als Mahnung an den Gründungsausschuss – das operative Organ zur Errichtung der Kammer – zu verstehen, das Aus widerstandslos hinzunehmen. Das Gremium war erst am vorigen Freitag über die endgültige Entscheidung unterrichtet worden und reagierte nun tief frustriert. „Von Anfang an hat der politische Wille für eine Kammer in Baden-Württemberg gefehlt“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Peter Bechtel. Entgegen allen Bekundungen werde die Profession Pflege nicht ausreichend in politische Prozesse eingebunden. „Wir fordern jetzt den Sozialminister, die Regierung und die Oppositionsparteien auf, zu ihren Beteuerungen aus der Vergangenheit zu stehen, die vor uns liegenden Herausforderungen mit der Profession anzugehen“, so Bechtel. Der Landespflegerat müsse künftig finanziell unterstützt und Ansprechpartner für die Politik werden.
Die Führung des Ausschusses sieht sich speziell von Lucha im Stich gelassen – immer wieder habe sich gezeigt, dass er tatsächlich nicht hinter dem Projekt stehe, heißt es. Von Anfang an habe er Steine in den Weg gelegt. Trotzdem sucht der Gründungsausschuss wohl nicht den Weg einer juristischen Auseinandersetzung. Eine Klage gegen die Entscheidung Luchas ist kein Thema mehr, obwohl der Ausschuss in seinem Bericht vom 4. April zu dem Resultat gekommen war, dass das Quorum um 743 Stimmen übertroffen wurde, sodass die Voraussetzungen erfüllt seien.
Ministerium hält lediglich 769 Einwendungen für unwirksam
Laut dem Sozialministerium hingegen wurden im Verlauf der Gründungsphase insgesamt 120 619 Pflegefachkräfte auf der Basis von Arbeitgebermeldungen vom Gründungsausschuss angeschrieben. Folglich wäre es laut Gesetz erforderlich gewesen, dass mindestens 67 757 Pflegefachkräfte keine Einwendungen gegen ihre Registrierung und die Errichtung einer Landespflegekammer erhoben hätten. Tatsächlich lag diese Zahl nur bei 64 380, wie sich bei der Einzelfallprüfung der vom Gründungsausschuss als unwirksam beurteilten Einwendungen gezeigt hätte. Zusätzlich sei eine Stichprobenprüfung von 1000 Fällen aus der Gesamtzahl aller Einwendungen vorgenommen worden.
Das Ministerium hält nun 769 und nicht (wie der Ausschuss) 1823 Einwendungen für unwirksam – dabei vertritt es die Rechtsauffassung, dass jede unterschriebene Einwendung als wirksam gilt, sofern eine eindeutige persönliche Zuordnung erfolgen kann, unabhängig von weiteren fehlenden Angaben. Daher wurden eine fehlende Wiederholung der Namensangabe oder die fehlende Angabe des Geburtsdatums nicht als unwirksame Einwendung angesehen, da aufgrund einer im Formular vorgedruckten ID-Nummer zusammen mit der Unterschrift eine eindeutige persönliche Zuordnung möglich gewesen sei.
Unklarheit, was als Zustimmung oder Ablehnung zu werten ist
Darüber hinaus seien, so das Sozialministerium, für die Berechnung des Quorums von den 120 619 angeschriebenen Pflegefachkräften noch 3066 abzuziehen, da ihnen das Anschreiben des Gründungsausschusses nicht zugestellt werden seien und sie somit keine offizielle Kenntnis vom Registrierungsverfahren erlangt hätten. Der Gründungsausschuss wertet diese Fälle als Zustimmung, weil es diesen Personen trotz nicht erfolgter postalischer Zustellung möglich gewesen wäre, von sich aus Einwendungen zu erheben oder dem Gründungsausschuss die korrekte Adresse mitzuteilen.
Letztlich scheinen die Gruppen derer, die für oder gegen eine Pflegekammer sind, fast gleich groß zu sein, so Lucha. Dennoch sei das notwendige Quorum verfehlt worden, eine Pflegekammer werde nicht kommen. Jetzt gelte es, die berufspolitischen Fragen der Zukunft gemeinsam zu bearbeiten. Dafür traf sich der Minister am Montag zu einem Austausch mit dem Vorstand des Landespflegerates.
Verdi: Ende eines undemokratischen Verfahrens
Die Gewerkschaft Verdi hatte die Errichtung einer Landespflegekammer jahrelang bekämpft und zeigt sich nun erleichtert: Lucha haben seinen „ganzen Respekt, dass er, obwohl selbst vehementer Befürworter der Kammer, den Gründungsausschuss in seine rechtsstaatlichen Schranken verwiesen hat“, sagte Landesbezirksleiter Martin Gross. Bemängelt wird weiterhin: „Wer sich enthalten wollte, wurde als Ja-Stimme gezählt – wer mit nein abstimmen wollte, musste einen begründeten Einwand erheben.“ Insofern „findet ein ausgesprochen undemokratisches Verfahren doch noch einen demokratischen Ausgang“. Nun müsse der Minister „verloren gegangenes Vertrauen bei Zigtausenden Pflegekräften wiederherstellen“.
SPD: Lucha hat Pflege im Land gespalten
Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Florian Wahl, zeigt sich nicht überrascht: „Lucha hat die Stimmen der Betriebs- und Personalräte sowie der Mitarbeitervertretungen und Gewerkschaften bewusst ignoriert.“ Er habe Verdi sogar als eine der Organisationen bezeichnet, die die Wirklichkeit in der Pflege nicht kennen würden. „Nie hat er die Pflegefachkräfte für voll genommen und sie gefragt, ob sie eine Pflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft und Pflichtbeitrag wirklich wollen.“ Mit seinem Verhalten habe er die Pflege in Baden-Württemberg gespalten.